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Full text of "Die Madonna in ihrer Verherrlichung durch die bildende Kunst aller Jahrhunderte"

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Walter  Rothes 


DIE  MADONNA 


Digitized  by  the  Internet  Archive 
in  2012  with  funding  from 
Brigham  Young  University 


http://archive.org/details/diemadonnainihreOOroth 


Abb.  1.     Raffael  Sanzio,  Madonna  del  Granduca. 
Florenz,  Palazzo  Pitti. 

i  Siehe  Seite  67.) 


70  /,  f4*6 


^ 


DIE  MADONNA 


IN   IHRER  VERHERRLICHUNG   DURCH   DIE 
BILDENDE   KUNST  ALLER  JAHRHUNDERTE 


VON 

DR.  PHIL.  WALTER   ROTHES 

DOZENT  DER  KUNSTWISSENSCHAFT  AN  DER  KÖNIGLICHEN  AKADEMIE 

ZU  POSEN 

ZWEITE    WESENTLICH     UMGEARBEITETE     UND    VERMEHRTE    AUFLAGE 


MIT    163    TEXT-    UND    8    EINSCHALTBILDERN 


KÖLN   A.  RH. 

VERLAG  UND  DRUCK  VON  J.  F.  BACHEA 


Alle  Rechte,  besonders  das  der  Uebersetzung  in  fremde  Sprachen, 
vorbehalten. 


Verlags-Nr.  599 
(seit  1900i 


THE  LIBRARY 

ÖK1GHAM  YOUNG  UNIVERSITY 

PROVO,  UTAH 


Seiner  Hochwürden 
HERRN  DR.  THEOL.  A.  KELLER, 

SEINER  HEILIGKEIT  HAUSPRÄLATEN  UND  GEISTLICHEM  RAT, 
DEKAN  UND  STADTFFARRER  VON  WIESBADEN, 


in  Verehrung  zugeeignet 

vom  Verfasser 


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VORWORT  ZUR  ERSTEM  AUFLAGE. 


^agnificat  anima  mea  Dominum.  Et  exultavit  Spiritus  meus  in  Deo, 
salutari  meo.  Quia  respexit  humilitatem  ancillae  suae.  Ecce 
enim  ex  hoc  beatam  me  dicent  omnes  generationes.  (Lucas,  1.) 
Hochpreiset  meine  Seele  den  Herrn.  Und  es  frohlocket 
mein  Geist  in  Gott,  meinem  Heile.  Denn  er  hat  angesehen  die  Niedrigkeit 
seiner  Magd.     Siehe,  von  nun  an  werden  mich  selig  preisen  alle  Geschlechter. 

So  beginnt  der  Lobgesang,  den  Maria  in  prophetischem  Geiste  anstimmte. 

Die  Seligpreisung  der  Gottesmutter  hat  seit  Beginn  der  christlichen 
Zeitrechnung  auch  die  bildende  Kunst  in  ihrer  Art  mit  großem  Eifer  zum 
Ausdruck  gebracht.  Unendlich  viel  ist  seitdem  zu  Ehren  der  Himmelskönigin 
gemalt,  gemeißelt  und  geschnitzt  worden. 

Hier  zu  sichten  und  an  der  Hand  der  besonders  charakteristischen 
Schöpfungen  der  Kunst  der  christlichen  Völker  ein  Bild  der  Gestaltung  und 
Entwicklung  des  Madonnen-Ideals  in  den  Wiedergaben  der  christlichen  Kunst 
zu  liefern,  ist  der  Zweck  vorliegender  Arbeit. 

Für  einzelne  Abschnitte  konnte  bereits  vorhandene  Literatur  —  so  für 
die  Katakombenzeit:  Liell;  für  die  Italienische  Renaissance:  Venturi  —  die 
Mühewaltung  zur  Heranziehung  des  nötigen  Materials  in  etwa  erleichtern;  im 
übrigen  mußte  mühsam  klassifiziert  und  ausgewählt  werden.  Den  Darstellungen 
der  verschiedenen  Zeiten,  Völker  und  künstlerischen  Richtungen  in  mög- 
lichster Objektivität,  in  gleicher  Weise  gerecht  zu  werden,  bot  ebenfalls 
Schwierigkeiten.  Für  vereinzelte  Unebenheit  darf  daher  Nachsicht  vom  strengst- 
kritischen   Standpunkt  gefordert  werden. 

Möge  denn  dies  Buch  eine  neue  Blüte  sein  in  dem  Ehrenkranze,  den 
menschliche  Dankbarkeit  dem  Andenken  der  hehrsten  Mutter  hienieden  windet! 

Möge  das  Buch  aber  auch  die  Achtung  weiter  Kreise  vor  der  Kunst, 
der  „hehren  Himmelstochter",  erhöhen,  die  so  Erhabenes  und  Heiliges 
wunderbar  verewigte. 

Möge  es  endlich  —  und  gerade  darum  wurde  bei  der  Illustrierung  des 
Werkes  auch  der  neuesten  Kunst  nicht  weniger  reichlich  gedacht  —  schaffende 


*  VIII  * 

Künstler  und  weitere,  kunstliebende  Kreise  in  stets  engere  Beziehung  bringen; 
denn  ohne  namhaftes,  sich  betätigendes  Interesse  letzterer  können  erstere  nicht 
im  Sinne  ihrer  großen  künstlerischen  Vorfahren  wirken. 

WIESBADEN,  im  Marienmonat  Mai  1905. 

Der  Verfasser. 


VORWORT  ZUR  ZWEITEN  AUELAGE. 


äiehr  als  alle  wohlwollenden  und  anerkennenden  Kritiken  meines 
Madonnenbuches  erscheint  mir  jene  Tatsache  als  erfreulichster 
Erfolg,  daß  schon  innerhalb  drei  Jahren  die  Bereitung  einer 
neuen  Auflage  nötig  wurde.  Dieselbe  gab  zu  einer  teilweise 
wesentlichen  Umarbeitung  und  Vermehrung  des  Stoffes  Gelegenheit.  Das 
Prinzip:  „Beschränkung  auf  das  Allernotwendigste"  durfte  dabei  selbstver- 
ständlich nicht  fallen  gelassen  werden.  Von  der  Vermehrung  und  Um- 
arbeitung wurde  die  italienische  Kunst  kaum  getroffen,  dagegen  weitgehend 
die  deutsche,  niederländische  und  französische.  Auch  der  Abschnitt  über  die 
Katakombenzeit  wurde  umgeändert.  Joseph  Wilperts  Forschungen  wurden 
hier  berücksichtigt.  Die  umstrittene  Madonna  mit  der  Wickenblüte  bleibt  für 
mich  auf  Grund  der  Argumente  von  Bode  und  Firmenich-Richartz,  sowie 
eigener  Untersuchungen  ein  wertvolles  Original  der  altkölnischen  Schule.  Be- 
züglich des  Dürerschen  Marienbildes  lagen  neue  Ansichten  von  Lorenz,  Heidrich 
und  Wölfflin  vor,  die  Stellungnahme  verlangten.  Zur  altniederländischen 
Madonnenmalerei  lieferten  Voll  und  Siebert  einige  Bausteine.  Für  die  von 
Voll  neuerdings  dem  Willem  Key  zugeschriebene  „Pietä"  der  Münchener 
Pinakothek  habe  ich  die  traditionelle  Bezeichnung  Quinten  Massys  festgehalten. 
Auf  Massys  geht  die  Komposition  zweifellos  zurück.  Die  ausführende  Hand 
mag  die  Willem  Keys  gewesen  sein.  Diese  entdeckt  zu  haben  bleibt  dann  Volls 
Verdienst.  Im  übrigen  war  mir  für  die  Kapitel  über  niederländische 
und  zumal  französische  Marienbilder  ein  Studienaufenthalt  in  Paris,  in  den 
dortigen  Museen  und  Archiven,  recht  ersprießlich.  Betreffend  die  Kunst  der 
neuesten  Zeit  wurde  diesmal  die  Beuroner  Benediktiner-Schule  nicht  vergessen. 
Die  Zahl  der  Abbildungen  wurde  bedeutend  vermehrt;  besonders  gute, 
entwicklungsgeschichtlich  wichtige,  wenig  bekannte,  zum  Teil  bisher  über- 
haupt noch  nicht  reproduzierte  Darstellungen  wurden  zur  Wiedergabe  er- 
worben.    Auch  Tafeln  in  Farbendruck  wurden  diesmal  beigegeben. 

Möge  dann  die  zweite  Auflage  meines  Madonnenbuches  eine  nicht 
minder  herzliche  Aufnahme  finden  wie  die  erste  und  im  gleichen  Sinne  Gutes 
wirken.     Diesen  Wunsch  gebe  ich  mit. 

POSEN,  im  Marienmonat  Mai  1909. 

Der  Verfasser. 


Inhalts-Verzeichnis. 


Seite 


Vorwort VII 

Einleitendes 1 

A.  Das  eigentliche  Marienbild. 

Maria  in  den  Katakomben 3 

Byzantinische  Kunst 8 

Sienesische  Meister 11 

Anfänge  der  Florentiner  Kunstentfaltung 20 

Verfall  der  Sienesischen  Kunst 23 

Florentiner  Maler 24 

Florentiner  Bildhauer 40 

Paduas  Meister 50 

Venezianische  Kunst 52 

Die  Norditaliener 61 

Umbrische  Malerschule 66 

Deutsche  Malerschulen  (Prager,  Kölner,  Fränkische,  Schwäbische) 73 

Deutsche  Bildhauer 87 

Deutsche  Kupferstecher  und  Holzschneider 92 

Dürers  Madonnen 94 

Niederländische  Malerschulen  (Vlamen  und  Holländer) 106 

Die  Franzosen 121 

Spanische  und  portugiesische  Kunst 125 

Mariendarstellungen   der   neueren   und   neuesten   Zeit.     (Overbeck   und   die 

Nazarener;  Münchener  und  Düsseldorfer;  Fremde  Kunst) 129 

Die  Malerschule  der  Beuroner  Benediktiner 143 

B.  Darstellungen  aus  dem  Leben  Maria. 

Folgen  des  Marienlebens 152 

Maria  Geburt 154 

Erziehung  Maria 154 

Darstellung  im  Tempel 157 

Vermählung 159 

Verkündigung 161 

Heimsuchung 168 

Maria  und  die  Kindheit  Jesu 172 

Die  Mater  dolorosa 184 

Der  Tod  Maria 199 

Himmelfahrt 203 

Krönung 209 

Die  Rosenkranzkönigin 212 

Die  Immaculata 216 

Schlußwort 221 


X 


1.  VERZEICHNIS    DER    ABBILDUNGEN 


in  der  Reihenfolge. 


Seite 


1.  Madonna  del  Granduca,  von  Raffael  Sanzio Titelbild 

2    Aeltestes  Muttergottesbild  ans  dem  Anfang  des  zweiten  Jahrhunderts 4 

3.  Wandbild  der  Katakomben  des  hl.  Petrus  und  Marcellinus 5 

4.  Gnadenbild  Maria  Schnee  in  Rom 9 

5.  Mosaik  des  IX.  Jahrh.  Santa  Maria  in  Dominica  od.  della  Navicella  in  Rom       .  10 

6.  Madonna,  von  Guido  da  Siena 12 

7.  Madonna  Ruccellai,  von  Duccio  di  Buoninsegna 14 

8.  Thronende  Madonna  der  Domopera  zu  Siena,  von  Duccio  di  Buoninsegna.    .    .  15 
Q.  Madonna,  von  Simone  Martini-Siena,  Stadthaus 16 

10.  Madonna  mit  Kind,  von  Carlo  Dolci vor  Seite  17 

11.  Madonna,  von  Simone  Martini.     Pisa,  Museo  civico 18 

12.  Madonna  del  Iatte,  von  Ambr.  Lorenzetti 19 

13.  Die  Madonna  mit  dem  Kinde  und  Engeln,  von  Cimabue 21 

14.  Die  Jungfrau  mit  dem  Kinde  und  Engeln,  von  Giotto 22 

15.  Madonna  mit  dem  Kinde  und  Engeln,  von  Fra  Giovanni  Angelico  da  Fiesole  .  25 

16.  Madonna  der  Linajuoli,  von  Fra  Angelico 26 

17.  Madonna  mit  dem  Kinde,  umgeben  von  Heiligen,  von  Fra  Angelico 28 

18.  Madonna  im  Walde,  von  Fra  Filippo  Lippi 30 

19.  Madonna,  von  Fra  Filippo  Lippi 31 

20.  Maria  erscheint  dem  heiligen  Bernard,  von  Filippino  Lippi 32 

21.  Madonna  aus  der  Casa  Canigiani,  von  Sandro  Botticelli 34 

22.  Die  Jungfrau  Maria  mit  Jesus  und  Johannes,  von  Sandro  Botticelli 36 

23.  Magnificat,  von  Sandro  Botticelli 38 

24.  Madonna  mit  Kind  von  der  Kathedrale  in  Prato,  von  Giov.  Pisano 41 

25.  Madonna  der  Via  dell'  Agnolo,  von  Luca  della  Robbia 42 

26.  Jungfrau  im  Rosenhain,  von  Luca  della  Robbia 43 

27.  Die  Madonna  der  Architekten,  von  Andrea  della  Robbia .    .  45 

28.  Die  Anerkennung  des  Kindes,  von  Donatello 47 

29.  Madonna   an   der  Treppe  der  Casa    Buonarroti   zu    Florenz,   von   Michelangelo 

Buonarroti 48 

30.  Die  Heilige  Familie,  von  Palma  Vecchio vor  Seite  49 

31.  Madonna  in  der  Liebfrauenkirche  zu  Brügge,  von  Michelangelo  Buonarroti     .    .  49 

32.  Madonna  della  Vittoria,  von  Andrea  Mantegna 51 

33.  Madonna  in  der  Sakristei  der  Redentorekirche  zu  Venedig,  von  Luigi  Vivarini  .  53 

34.  Madonna  mit  St.  Paulus  und  St.  Georg,  von  Giovanni  Bellini 55 

35.  Madonna  mit  sechs  Heiligen  und  drei  Engeln,  von  Giovanni  Bellini 56 

36.  Madonna  zwischen  S.  Franziskus  und  S.  Liberalis,  von  Giorgione 57 

37.  Madonna  mit  den  Kirschen  (Heilige  Familie),  von  Tiziano  Vecellio 59 

38.  Madonna  del  Pesaro,  von  Tiziano  Vecellio ...  60 

39.  Sta.  Maria  degli  angeli,  von  B.  Luini 62 

40.  Vierge  au  rocher,  von  Lionardo  da  Vinci 63 

41.  Madonna  mit  schlafendem  Jesuskind,  von  Carlo  Dolci 64 

42.  Madonna  aus  dem  Hause  Tempi,  von  Raffael  Sanzio 67 


*  XI   * 

Seite 

43.  La  belle  jardiniere,  von  Raffael  Sanzio 68 

44.  Madonna  della  Sedia,  von  Raffael  Sanzio 69 

45.  Madonna  di  Foligno,  von  Raffael  Sanzio 70 

46.  Madonna  di  S.  Sisto,  von  Raffael  Sanzio 72 

47.  Madonna  mit  der  Wickenblüte,  von  Meister  Wilhelm     .    .  74 

48.  Madonna  mit  dem  Veilchen,  von  Stefan  Lochner 75 

49.  Madonna  aus  dem  Altarbild  im  Dom  zu  Köln,  von  Stefan  Lochner 76 

50.  Madonna  in  der  Rosenlaube,  von  Stefan  Lochner 77 

51.  Madonna  mit  Engeln  und  Stifter.     Kölner  Schule 78 

52.  Madonna  im  Rosenhag,  von  Martin  Schongauer 79 

53.  Madonna  des  Iseiiheimer  Altars  in  Colmar,  von  Matthias  Grünewald 80 

54.  Ruhe  auf  der  Flucht,  von  van  Dyck vor  Seite  81 

55.  Madonna  von  Stuppach,  von  Matthias  Grünewald 81 

56.  Madonna  mit  der  Traube,  von  Lukas  Cranach 82 

57.  Madonna  mit  Stifter,  von  Lukas  Cranach 83 

58.  Madonna  von  Solothurn,  von  Hans  Holbein  d.  Jüngern 85 

59.  Madonna  des  Bürgermeisters  Meyer,  von  Hans  Holbein  d.  Jüngern 86 

60.  Muttergottesstatue  Ludwigs  d.  B.     Unbek.  Meister  d.  XIV.  Jahrhunderts  ....  88 

61.  Madonna,  von  Tilm.  Riemenschneider 89 

62.  Madonna,  von  Hans  Multscher 90 

63.  Maria,  Königin  der  Engel,  von  H.  Daucher 91 

64.  Madonna  auf  der  Mondsichel,  von  Meister  E.  S 92 

65.  Maria  mit  dem  Kinde  in  einer  Loggia,  von  Hans  Burgkmair 93 

66.  Madonna  mit  der  Birne,  von  Albrecht  Dürer 95 

67.  Madonna  mit  der  Meerkatze,  von  Albrecht  Dürer 96 

68.  Madonna  mit  der  Birne,  von  Albrecht  Dürer 97 

69.  Die  Madonna  an  der  Mauer,  von  Albrecht  Dürer 98 

70.  Maria  mit  dem  Kinde  auf  der  Mondsichel,  von  Albrecht  Dürer 99 

71.  Madonna  mit  den  zwei  Engeln,  Albrecht  Dürers  frühestes  Marienbild 100 

72.  Madonna  mit  Heiligen  und  Sankt  Joseph,  von  Albrecht  Dürer 101 

73.  Madonna  mit  krönenden  Engeln,  von  Albrecht  Dürer 103 

74.  Madonna  mit  musizierenden  Engeln,  von  Albrecht  Dürer 104 

75.  Entwurf  für  ein  Altarbild,  von  Albrecht  Dürer 105 

76.  Maria,  von  Hub.  und  Jan  van  Eyck 107 

77.  Madonna  des  Canonicus  Pala,  von  Jan  van  Eyck 108 

78.  Madonna  des  Kanzlers  Rolin,  von  Jan  van  Eyck 109 

79.  Der  hl.  Lukas,  die  Madonna  malend,  von  Rogier  van  der  Weyden 111 

80.  Madonna,  von  Emanuel  Dite vor  Seite  113 

81.  Maria  mit  dem  Kinde,  von  Hans  Meinung 115 

82.  Madonna  im  Blumenkranz,  von  Peter  Paul  Rubens 119 

83.  Madonna  mit  dem  kl.  Jesuskinde  und  Johannes,  von  Anton  van  Dyck 120 

84.  Madonnen-Statue  aus  Moissac,  französ.  Schule  des  XIII.  Jahrhunderts 122 

85.  Regina  Angelorum.     Mittelstück  einer  französ.  Miniatur  des  XIV.  Jahrhunderts  .  123 

86.  Madonna  mit  dem  göttlichen  Kinde.     Marmor-Statue  des  XVI.  Jahrhunderts    .    .  124 

87.  Maria  mit  Kind,  von  B.  E.  Murillo 126 

88.  Madonna  im  Palazzo  Corsini  in  Rom,  von  Bartolome  Esteban  Murillo     ....  127 

89.  Maria  und  Elisabeth  mit  Jesus  und  Johannes,  von  J.  F.  Overbeck 128 

90.  Regina  Apostolorum,  von  Jos.  v.  Führich 130 

91.  Mutter  Gottes  mit  dem  Jesuskinde,  von  E.  v.  Steinle 131 

92.  Madonna  mit  dem  Kinde,  von  E.  Deger 132 

93.  Mutter  des  Erlösers,  von  Karl  Müller 133 


*  XII  * 

Seite 

94.  Jungfrau  Maria,  von  Karl  Müller 134 

95.  Mater  Christi,  von  Franz  Ittenbach 135 

96.  Regina  Coeli,  von  H.  Sinkel 136 

97.  Die  Mutter  Gottes,  von  H.  Ballheim 137 

98.  Madonna  mit  dem  Jesuskinde,  von  H.  Nüttgens 138 

99.  Madonna  mit  dem  Jesusknaben,  von  N.  Sichel 139 

100.  Madonna  mit  Kind.    Marmor-Statue  von  Drake 140 

101.  Salvator  mundi,  von  S.  Parker 141 

102.  Madonna  mit  dem  Lilienzweige,  von  S.  Waters     142 

103.  Hl.  Jungfrau  mit  dem  Jesus-  und  Johannesknaben,  von  Humbert 143 

104.  Pietä,  von  Quinten  Massys  und  W.  Key vor  Seite  145 

105.  Vorahnung  der  hl.  Jungfrau,  von  Ch.  Landelle 145 

106.  Madonna  mit  Kind,  von  Viktor  Wasnetzow 146 

107.  Thronende  Madonna  mit  dem  Heiligen  Benediktus  u.  Scholastika.  Beuroner  Schule  148 

108.  Mittelstück  a.  d.  Bilde  i.d.Scholastika-Kapelle  auf  Monte  Cassino.  Beuroner  Schule  149 

109.  Thronende  Madonna  mit  musizierenden  Engeln.     Beuroner  Schule 150 

110.  Geburt  Maria,  von  Bart.  Esteb.  Murillo 153 

111.  Erziehung  Maria,  von  Bart.  Esteb.  Murillo 155 

112.  Die  Erziehung  der  hl.  Jungfrau,  von  Pet.  Paul  Rubens 156 

113.  Erziehung  der  hl.  Jungfrau  Maria,  von  Karl  Müller.    ...       157 

114.  Maria  Tempelgang,  von  Cimo  da  Conegliano ■ 158 

115.  Tempelgang  Maria.     Fresko   in  der  Apollinariskirche   zu   Remagen,   von    Franz 

Ittenbach 159 

116.  Vermählung  Maria  (Sposalizio),  von  Raffael  Sanzio 160 

117.  Verkündigung.     Altes  Gewebe  des  V. -VIII.  Jahrhunderts 162 

118.  Maria  Verkündigung,  von  Lionardo  da  Vinci 163 

119.  Die  Verkündigung,  von  Albrecht  Dürer 164 

120.  Verkündigung,  von  Lukas  Cranach 165 

121.  Maria  Verkündigung,  von  Bart.  Esteb.  Murillo 166 

122.  Heimsuchung,  von  Luca  della  Robbia 167 

123.  Heimsuchung  Maria,  von  J.  E.  v.  Steinte 168 

124.  Maria  Heimsuchung,  von  Karl  Müller 169 

125.  Maria  Heimsuchung,  von  Karl  Müller 170 

126.  Der  Gang  Maria  über  das  Gebirge,  von  Joseph  von  Führich 171 

127.  Geburt  Christi,  von  Albrecht  Dürer 172 

128    Die  Geburt  Christi,  von  Albrecht  Dürer 173 

129.  Anbetung  der  Hirten,  von  Bart.  Esteb.  Murillo 174 

130.  Anbetung  der  Weisen,  von  Nie.  Poussin 175 

131.  Anbetung  der  hl.  drei  Könige.     Meister  der  hl.  Sippe 176 

132.  Madonna  auf  der  Mondsichel,  von  Marlin  Feuerstein vor  Seite  177 

133.  Ruhe  auf  der  Flucht  nach  Aegypten,  von  Lukas  Cranach 177 

134.  Ruhe   auf  der  Flucht   nach    Aegypten.     Bez.   m.  d.  geflügelten   Drachen,  von 

Lukas  Cranach 178 

135.  Ruhe  auf  der  Flucht  nach  Aegypten,  von  Bart.  Esteb.  Murillo 179 

136.  Heilige  Familie  bei  der  Arbeit  in  Aegypten,  von  Albrecht  Dürer 180 

137.  Sankt  Anna  selbdritt,  von  Lionardo  da  Vinci 181 

138.  Die  heilige  Anna  selbdritt,  von  Albrecht  Dürer 182 

139.  Die  heilige  Familie,  von  Pet.  Paul  Rubens 183 

140.  Christus  nimmt  Abschied  von  seiner  Mutter,  von  Albrecht  Dürer 185 

141.  Die  Mutter  Gottes  beim  Anblick  ihres  kreuztragenden  Sohnes,  von  Gebh.  Fugel  186 

142.  Veronika  überbringt  Maria  das  Schweißtuch,  von  Jos.  Janssens 187 


*  XIII  * 

Seite 

143.  Die  Schmerzensmutter,  von  Matthias  Grunewald 188 

144.  Die  schmerzhafte  Mutter  Gottes  am    Fuße  des  Kreuzes  wird  von  einem  Engel 

getröstet,  von  B.  Plockhorst 189 

145.  Kreuzabnahme,  von  Duccio .    .  190 

146.  Beweinung  Christi,  von  Fra  Bartolommeo 191 

147.  Pietä  in  der  Peterskirche  zu  Rom,  von  Michelangelo  Buonarroti 192 

148.  Pietä,  von  Jaspar  de  Crayer 193 

149.  Pietä,  von  Hendrik  Goltzius 194 

150.  Pietä  in  der  St.  Antoniuskirche  zu  Frankfurt  a.  M.,  von  G.  Busch 195 

151.  Pietä,  von  G.  Dupre 196 

152.  Mater  dolorosa,  von  Carlo  Dolci 197 

153.  Mater  dolorosa,  von  Guido  Reni 198 

154.  Der  Tod  Maria.     Mosaik  des  XII.  Jahrhunderts 200 

155.  Tod  Maria,  vom  Meister  des  Todes  Maria 201 

156.  Tod  Maria,  von  Jan  Macip 202 

157.  Maria  Himmelfahrt,  von  Tiziano  Vecellio 204 

158.  Maria  Himmelfahrt,  von  Bart.  Esteb.  Murillo 205 

159.  Maria  Himmelfahrt,  von  Albrecht  Dürer 207 

160.  L'Assomption  de  Ia  Vierge,  von  N.  Poussin 208 

161.  Madonna    mit   dem    hl.   Dominikus    und    der   hl.    Katharina   von    Siena,    von 

Georg  Kau vor  Seite  209 

162.  Krönung  Maria,  von  Diego  Velasquez 210 

163.  Krönung  Maria,  von  Joh.  Schraudolf 211 

164.  Rosenkranzfest,  von  Albrecht  Dürer 213 

165.  Königin  des  Rosenkranzes,  von  E.  v.  Steinle 214 

166.  Königin  des  Rosenkranzes  mit  Papst  Leo  XIII.,  von  M.  Ribustini 215 

167.  Unbefleckte  Empfängnis,  von  Bart.  Esteb.  Murillo      217 

168.  Unbefleckte  Empfängnis,  von  Franz  Ittenbach 218 

169.  Maria  mit  dem  Einhorn 219 

170.  Maria  erscheint  dem  hl.  Bernard  von  Clairvaux,  von  Bart.  Esteb.  Murillo   .    .    .  222 

171.  Maria  als  Kind.     Altar-Figur 223 


*  XIV  * 


2.  VERZEICHNIS  DER   KÜNSTLERNAMEN, 

(Die  Zahlen  bedeuten  die  Seitenzahlen.     Die  beigesetzten  Sterne  bezeichnen  Abbildungen.) 


Albani,  Francesco,  167 

Albertinelli  170 

Albrecht,  Joseph,  138,  184, 
219 

Alfaro,  Francesco,  154 

Almedina  202 

Altdorfer  94,  181 

Altheimer  138 

Alunno,  Niccolo,  66 

Fra  Angelico  da  Fiesole  24, 
25*,  26*,  27,  28*,  160, 
166,  174,  176,  179,  189, 
193,    199,  212,  220,  221 

Armitage  140 

Avanzi,  Jacopo,  177,  189, 
199 

Baldovinetti  39 
Balducci,  Matteo,  203 
Ballheim,  H.,  137*,  138 
Banco,  Nanno  di,  203 
Barna  181,  210 
Bartolo  di,  Taddeo  166,  199 
Bartolo  di,  Fredi  154 
Bartolome,  Maestro,  129 
Fra  Bartolommeo  191*,  193 
Becerra,  Gaspar,  196 
Begarelli  193 
Bellini,  Giovanni,  54,  55*, 

56* 
Bellini,  Jacopo,  54 
Benedetto  da  Maiano  49 
Beraud  140 
Bianchi,  Francesco,  61 
Böcklin,  Arnold,  139 
Boltraffio,    Giovanni    An- 
tonio, 63 
Bordone,  Paris,  221 
Borgognone  212 
Borgogiia,  Juan  de,  154 
Botticelli,  Sandro,  33,  34*, 
35,  36*,  37,  38*,  166,  174, 
193,  203 
Bougouereau  140 
Bourdon,    Sebastian,     125, 

177 
Bouts,  Dirk,  114 


Brown,  Ford  Madox,  140 
Bruyn,  Barthel,  174 
Buglioni,  Benedetto,  47 
Burgkmair  93*,  94,  212 
Busch  138,  195* 
Campana  181 
Cano,  AI.,    128,   154,  167, 

196,  218 
Caracci,  Annibale,  65 
Caroto  64 
Carpaccio,  V.,  154,  159, 160, 

170,  177 
Castillo,  Juan  del,  170,  206 
Catena,  Vincenzo,  54 
Champaigne,    Philipp    de, 

125 
Christus,  Petrus,  110,  167 
Cima    da   Conegliano    56, 

158*,  159 
Cimabue   13,  20,  21*,  174, 

203 
Coello  127 
Collier  140 

Coppus,  Marcoaldus,  20 
Cornelius,  Peter  von,  131 
Cornicelius  138 
Correggio65,  174,  181,  183, 

184,  203 
Cranach,  Lucas,  d.  Aeltere, 

82*,  83*,  165*,  167,  177*, 

178*,  181 
Crayer,  Jaspar  de,  193*,  195 
Credi,  Lorenzo  di,  39,  167, 

174 
Crivelli,  Carlo,  54,  166 

Daucher  91* 

David,  Gerard,  117,  181 

Defregger  133 

Deger,  Ernst,  131,  132*,  138 

Delacroix,  Eugene,  125 

Delaroche,  Paul,  125 

Diana,  Benedetto,  56 

Dite,    Emanuel,    vor   113*, 

138 
Dolci,  Carlo,  vor  17*,  64*, 

65,  196,  197* 


Donatello  47*,  48,  166, 
193,  203 

Drake  138,  140* 

Duccio  di  Buoninsegna  14*, 
15*,  17,  166,  190*,  191, 
199 

Dürer,  Albrecht,  94,  95*, 
96*,  97*,  98*,  99*.  100*, 
101*,  102,  103*,  104*, 
105*,  152,  154,164*  170, 
172*,  173*,  174, 176,  179, 
180*,  181,182*,  183,  184, 
185*,  190,  194,  206,207*, 
209,  213*,  215,221 

Dupre,  Giovanni,  141,  195, 
196* 

Dyce  140 

Dyck.  Anton  van,  vor  81*, 
120*,  121,  174,  181,  194 

Elsheimer  179 

Eyck,   Hubert  u.  Jan  van, 

106,  107* 
Eyck,  Jan  van,   106,   107*, 

108*,  109*,  167 

Feldmann  138 

Feuerstein    138,    vor  177*, 

184 
Firle  174 

Flandrin,  Hippolyte,  140 
Forment,  Damian,  206 
Fouquet,  Jean  125 
Francia,  Francesco,  61,  167, 

177,  193 
Fries,  Hans,  161 
Führich,  Joseph  von,  130*, 

131,  171* 
Fugel,  Gebhard,    138,  184, 

186*,  188 
Fungai,  Bernardino,  210 

Gaddi,  Agnolo,  23, 166, 170 
Gaddi,  Taddeo,  23,  154 
Gagini,  Antonello,  66 
Gaudenzio,  Ferrari,  62 
Geertgen,  von  Haarlem,  181 
Gentile  da  Fabriano  52, 176, 
179,  210 


XV 


Gerini,  Niccolo,  186,  210 
Ghirlandajo   39,   152,   166, 

170,   176,  503,  212 
Giacomo  di  Venezia  210 
Giordano,  Luca,  199,  218 
Giorgio,  Francesco  di,  210 
Giorgione  57*,  58 
Giottino  190,  192 
Giotto    13,    21,    22*,    152, 

154,    159,    166,  170,  174, 

177,   179,   181,  186,  190, 

192,  210 
Giovanni  daMilano  23, 154 
Girolamo  del  Pacchia  218 
Goes,  van  der,  113,  174,201 
Goltzius,    Hendrik,     194*, 

195 
Gossaert,  Jan,  gen.  Marbuse, 

118 
Gozzoli,  Benozzo,   39,  174 
Grün,  Hans  Baidung,  176, 

179,  181,  215 
Grünewald,  Matthias,    81*, 

82,  167,  188*,  190 
Fra  Guglielmo  da  Pisa  166, 

170,  174,  199 
Guido  da  Siena  11,  12*,  13 

Hackl,  von,  138 
Heß,  H.  von,  131 
Hesse,  Jean  Baptiste,  140 
Hofmann,  H.,  139 
Holbein,   Hans,  d.  Aeltere, 

84,  181,  202 
Holbein,  Hans,  d.  Jüngere, 

84,  85*,  86*,  94,  174,  181, 

189,  196 
Holman,  Hunt,  179 
Humbert  140 
de  la  Hyre,  Laurent,  125 

Ittenbach,  Franz,  131,135*, 
138,  159,  184,  203,218*, 
219 

Jakob  (Mönch),  154,  162, 
170 

Janssens,  Joseph,  187*,  188 
Joest,   Jan    v.  Calcar,    167, 

201,  215 
Juanes  170 
Juni,  Juan  de,  155 

Kau,  Georg,  138,  vor  209*, 

216 
Kaulbach,  Hermann,  139 
Klinger,  Max,  195 


Knoller  209 
Kodex,  Rabulas,  221 
Krafft,Adam,89,184,194,212 
Kramer,  von,  138 
Kulmbach,  Hans  von,    176 
Kupelwieser  140 
Landelle  140,  145* 
Leal,  Juan  Valdes,  161,  206 
Le  Sueur,  Eustache,  125 
Leyden,  Lukas  van,  118 
Liebermann,  Max,  181 
Lienhart  93 
Lionardo  da  Vinci  62,  63*, 

163*,  167,  176,  181*,  182 
Lippi,  Filippo,  29,  30*,  31*, 

154,  166,  212,  221 
Lippi,    Filippino,    32*,    33, 

167,  221 
Llanos,  202 
Lochner,    Stefan,   75*,  76*, 

77*,  78,   176 
Lombardi,  Tommaso,  61 
van  Loo  125,  161 
Lorenzetti,  Ambruogio,  18, 

19* 
Lorenzetti,  Pietro,  19,  154, 

166,  186,  203 
Lorenzo  da  Viterbo,  160 
Lotto,  Lorenzo,  184 
Luini,  Bernardino,  62*,  160, 

181 

Maccari,  Cesare,  141 
Macip,  Jan,  202*,  203 
Macip,  Vicente  Juanes,  206 
Mantegna,  Andrea,  50,  51* 
Maratta,  Carlo,  206,  218 
Marconi,  Rocco,  56 
Marescalco  193 
Marr,  Karl,  174 

Martini,  Simone,  14,  16*, 
17,  18*,  166,  181,  186 

Masaccio  24,  181,  199 

Masolino  24,  181,  203 

Massys,  Quinten,  118,  vor 
145*,  181,  195 

Matteo  di  Giovanni  24 

Matteo,  Civitalis,  49 

Max,  Gabriel,  139 

Mazzolino,  Ludovico,  181 

Meckenem,  Israhel  von,  152 

Meister  B.  M.  221 

Meister  der  hl.  Sippe   176* 


Meister  der  Pellegrinikapelle 

40 
Meister  der  Miniatur  167 
Meister      des     Münchener 

Marienlebens  177,  197 
Meister    des   Todes   Maria 

201* 
Meister  E.  S.  92 
Meister  F.  V.  B.  167 
Meister  V.  S.  208 
Meister  von  Flemalle   113, 

161 
Meister  von  Großgmain  221 
Meister  von  Liesborn  174 
Meister  von  S.  Bento    170, 

177,  181 
Meister  von  St.  Severin  177 
Memling.  Hans,  114,  115*, 

176,  177,  179,  197 
Memmi,  Lippo,  166,  203 
Menzel,  Adolf,  181 
Michelangelo      Buonarroti, 

48*,   49*,  50,  183,  192*, 

193 
Mignard,  Pierre,  125,  196 
Mino  da  Fiesole  49 
Monaco,  Lorenzo,  24,  176, 

210 
Montagna,  Bartolomeo,  58, 

177 
Montanez,  129,  218 
Morales  177,  196 
Moretto,  Alessandro,  61 
Müller,  Andreas,  131 
Müller,  Franz,  131,  167 
Müller,    Karl,     131,     133*, 

134*,  138,  140,  154,  157*, 

169*,  170*,  171,  174,  184, 

219 
Müller- Warth  138 
Multscher,    Hans,   90*,  91, 

201 
Murano,  Antonio  di,  52 
Murano,  Giovanni  di,  52 
Murillo,  Bartolome  Esteban, 

126*.  127*.  128, 153*,  154, 

155,166*,  167, 174*,  179*, 

181,183,  195,  196,  205*, 

206,216,217*,  221,222* 

Nelli,   Ottaviano,   66,   154, 

199 
Nenci,  Francesco,  141 
Nüttgens,  138*,  174 
Nunez,  Juan,  195 


*  XVI  * 


Oer,  Theobaldvon,131,174 
Oer,  Frl.  von,  167,  219 
Orcagna  24,  154,  166,  174, 

199 
Ostsanen,Corneliszvon,  118 
Ostendorfer,  Michael,  94 
Overbeck,  Friedrich,   128*, 

129,  161 

Pacheco,  167 

Pacher,   Michael,    91,   176. 

212 
Palma, Vecchio,  vor  49*,  183 
Palmezzano,  Marco,  189 
Paolo,  Giovanni,  203 
Parker  140,  141* 
Parsons  140,  167 
Patinir,  Joachim,  181 
Paton  140 

Penni,  Francesco,  209 
Perugino.  Pietro,  66,   160, 

167,   174,  189,  190,  193, 

221 
Peruzzi  179 
Pfannschmidt  139,  176 
Pier,  Francesco,  39,  166 
Pier,  Paolo  di  Venezia,  212 
Piero  della  Francesca  39 
Pinturricchio  66,  212 
Piombo,  Sebastian  del,  170, 

193 
Pisanello  166 
Pisano,  Giovanni,  40* 
Pisano,  Nicola,  190,  191 
Pisani  174,  176,  177 
Plockhorst  139,  189*,  190 
Pollaiuolo,  Pietro,  210 
Poussin,  Nicolaus,  125,175*, 

176,  208*,  209 
Previati,  Gaetano,  141 
Prudhon,  Pierre,  125,  209 

Quercia,  Jacopo  della,  40 

Raffael,    Sanzio,    Titelbild, 
66,  67*,  68*,  69*, 70*,  72*, 
160*,  161,  170,  182,  186, 
193,  209 
Rembrandt,  121,  174,  184 
Reni,  Guido,  196,  198*. 218 
Ribalta,  Francesco,  127,212 
Ribera  127,  196,  218 
Ribustini  215*,  216 


Riemenschneider,    Tilman, 

89*,  90,  194 
Robbia,   Andrea  della,   44, 

45*,  166,  221 
Robbia,  Giovanni  della,  46, 

166 
Robbia,  Luca  della,  40,42*, 

43*    167*,  170,  212 
Robert,  Leopold,  125 
Roelasjuandelas,  176,218 
Romano,  Giulio,  209 
Rosselino  49 
Rossetti,  Dante  Gabriel,  140, 

157,  167 
Roy  er  141 
Rubens,    Peter   Paul,    118, 

119*,    156*,    174,    183*, 

184,  206,  212,  221 

Sano  di  Pietro  23 
Sansovino,  Andrea,  66,  181 
Sarrocchi,  Tito,  141 
Sarto,  Andrea  del,  65,  154, 

167 
Sassoferrato  65,  196,  216 
Schaffner,  Martin,  167,  202 
Scheffer,  Ary,  125,  141 
Schleibner  138 
Schnetz,  Victor,  125 
Schongauer,  Martin,  79*,  80, 

93,  183,  189,  194,  221 
Schramm,  Friedrich,  221 
Schraudolf,    Johann,     131, 

211*,  212 
Schüchlin  194 
Sebastiani,  Lazzaro,  56 
Segantini, Giovanni.  141,167 
Seitz,  Ludwig,  141 
Shields  140,  167 
Sichel,  N.,  138,  139* 
Signorelli  190 
Sinkel,  H.,  136*,  138,  174 
Sippe,  Meister  der  hl.,  176* 
Skorel,  Jan,  181 
Slüter,  Klaus,  125 
Sodoma  159,  170,  183,  203 
Spinello,  Aretino,  166,  210 
Steinte,  Eduard  von,  131*, 

138,  167,  168*,  171,214*, 

216 
Stimmer,  Tobias,  170 
Stoß,  Veit,  90,  94,  167,198, 

202,  212,  214 


Strathmann  176 

Striegel,  Bernhard,  159,  181 

Suner  218 

Taddeo  di  Bartolo,  166,  199 
Theotocopuli,      Domenico, 

gen.  Greco,  212,  221 
Thoma,  Hans,  179 
Tiepolo,  183,  186,  206,216, 

218,  221 
Tintoretto  61,159,  167,  190, 

193,  206,  221 
Tiziano,  Vecellio,   58,  59*, 

60*,   159,   167,  181,  182, 

193,  196,  204*,  206 
Traini,  Francesco,  203 

Uhde,  Fritz  von,  139,  171, 
174 

Vanni,  Francesco,  218 
Vargas,  Louis  de,  218 
Vecchio,  Palma,  vor49*,  183 
Veit,  Philipp,  131,  137 
Veit,  Johannes,  131 
Velasques,  Diego,  174,210*, 
212 

Velasco  da  Coimbra,    129, 

154 
Veneziano,  Bonifazio,  181 
Verdiguier,  167,  206 
Veronese,  Paolo,  61,  167 
Vischer,  Peter,  212 
Visconti,  Angiolo,  141 
Viterbo,  Lorenzo  da  160 
Vivarini,  Bartolommeo,  53, 

154 
Vivarini,  Luigi,  53* 
Vogeler-Worpswede  167 
Vouet,  Simon,  125 

Wadere  138 
Wasnetzow  142,  146* 
Waters,  S.,  140,  142* 
Wechtlin,  Hans,  94 
Weyden,    Rogier  van    der, 

110,  111*,  112,  176 
Wilhelm,  Meister,   74*,   75 
Wirsching  184 
Wohlgemuth,  Michael,  89 
Wurmser,  Nikolaus,  73 
Wynrich,  Hermann,  74 
Zimmermann  138 
Zurbaran,  127 


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EIM  LEITENDES. 


„Selber  die  Kirche,  die  göttliche,  stellt  nicht 
Schöneres  dar  auf  dem  himmlischen  Thron, 
Höheres  bildet   selber  die  Kunst   nicht,   die 

göttlichgebor'ne, 
Als  die  Mutter  mit  ihrem  Sohn."     (Schiller.) 


[er  Dichter  hat  nicht  übertrieben.  Wären  Raffaels  Sixtinische  Ma- 
donna, Michelangelos  Darstellungen  der  schmerzhaften  Mutter 
in  Rom  und  Florenz,  Tizians  Madonna  von  Pesaro,  Dürers 
Rosenkranzbild,  Holbeins  Madonna  des  Bürgermeisters  Meyer,  Murillos 
Verherrlichungen  der  unbefleckten  Empfängnis  Maria  nicht  geschaffen 
worden  —  welch  ein  Verlust  bedeutete  das  für  die  bildende  Kunst!  Und 
was  für  diese  berühmtesten  Werke  bekanntester  Meister  Gültigkeit  hat, 
gilt  ebenso  für  Hunderte  von  anderen  Werken  dieser  und  anderer  Meister. 
Ihr  genialstes  Können,  ihr  begeistertstes  Wollen  haben  die  größten  Künstler 
zum  Ruhme  der  Gottesmutter  verwandt.  Gleich  einer  musikalischen 
Symphonie,  die  mit  anspruchsloser  schlichter  Melodie  beginnt,  dann  aber, 
in  ihrem  Gehalte  gleichsam  stetig  wachsend,  in  quellenden  Akkorden,  in 
effektvoller  Instrumentierung  zu  vollendeter,  erschütternder  Harmonie  her- 
anreift, hat  sich  das  Marienbild  aus  schlichten  rohen  ja  unschönen  An- 
fängen im  Laufe  der  Jahrhunderte  zu  künstlerischer  Vollendung  und  an 
das  Unüberbietbare  grenzender  Vollkommenheit  emporgearbeitet.  Alle 
Zeiten  seit  ihrem  Dasein,  alle  gebildeten  Völker  haben  in  der  bildenden 
Kunst  Mariens  gedacht,  wenn  auch  nicht  alle  mit  gleichem  Erfolge,  nicht 
alle  mit  gleicher  Kraft. 


Rothes,   Madonna. 


rM'?'   'M'f  i'M'f  1'ri'rrM'M'M'M'rl 


ft.  DAS  EIGENTLICHE  MARIENBILD. 


Maria  in  den  Katakomben. 

Im  die  allerfrühesten  bildnerischen  Darstellungen  der  Gottesmutter 
zu  suchen,  müssen  wir  in  die  dunkeln,  unterirdischen  Gänge 
und  Grabkammern  der  römischen  Katakomben  hinabsteigen. 
Hier,  in  den  Tiefen  der  Erde,  wo  sich  die  ersten  Christen,  verfolgt 
von  den  heidnischen  Obrigkeiten,  verbannt  von  dem  Lichte  der  Sonne, 
verbergen  mußten,  wenn  sie  ihre  Gottesdienste  feiern,  ihre  Angehörigen 
christlich  begraben  wollten,  hier,  wo  christliche  Liebe,  christliche 
Selbstaufopferung  am  frühesten  heldenmütig  sich  betätigte,  hier  findet 
auch  die  Verehrung  Mariens  ihren  ersten  künstlerischen  und  symbolischen 
Ausdruck. 

In  dem  ältesten  Teil  der  Priscilla- Katakomben,  der  noch  in  die 
apostolische  Zeit  gehört,  sieht  man  über  der  Wölbung  eines  Grabes  Maria 
sitzend  dargestellt.  Ihr  zugewandt  sitzt  auf  ihrem  Schöße  das  göttliche 
Kind,  das  sie  soeben  nährte  und  das  nun,  sehr  befriedigt,  sein  Köpfchen 
nach  dem  Beschauer  umdreht.  Entgegen  der  Ansicht  Liells,  die  Wilpert 
teilt,  bleibt  des  de  Rossi  Feststellung  richtig,  daß  es  sich  hier  um  ein 
Stillungsbild  handelt.  Zwar  ist  es  ungenau  ausgedrückt,  wenn  de  Rossi 
behauptet,  daß  Maria  dem  Kinde  die  Brust  gerade  darreicht,  aber  keinen 
Zweifel  läßt  die  Haltung  des  Säuglings  an  der  Mutter  Brust,  besonders 
des  rechten  Aermchens  und  Händchens,  daß  die  Nährung  gerade  statt- 
gefunden hat.  Vor  Maria  steht  ein  Mann  mit  einer  Rolle,  bartlos,  mit  dem 
Pallium  bekleidet,  und  mit  Sandalen  angetan.  Wie  nun  ein  Stern  über 
dem  Haupte  der  heiligen  Jungfrau  andeutet,  haben  wir  in  diesem  Manne 
den  Propheten  Isaias  zu  erkennen,  der  die  Geburt  des  Sohnes  Gottes, 
des  Sternes  aus  dem  Hause  Jakobs   (4.   Moses,   24,    17)   geweissagt  hat. 


*  4  * 


„Die  Jungfrau  wird  empfangen  und  einen  Sohn  gebären  und  seinen 
Namen  wird  man  Emanuel,  Gott  mit  uns,  nennen."  Insbesondere  ver- 
herrlicht Isaias  dann  das  Licht,  das  bei  der  Geburt  des  Emanuel  über 
Jerusalem  aufgehe,  und  in  dem  die  Könige  wandeln  werden. 

Das  Bild  ist  be- 
reits in  der  ersten 
Hälfte  des  II.  Jahr- 
hunderts gemalt 
worden.  Frische 
Natürlichkeit,  ja 
selbst  Anmut  in 
Gesichtsausdruck 
und  Formen  der 
Madonna  bewei- 
sen die  erfreuliche, 
naive  Schaffenslust 
desmalendenNeu- 
bekehrten.  Dieses 
früheste  Marien- 
bild der  Katakom- 
ben unterscheidet 
sich  von  allen 
späteren,  die  mehr 
in  Maria  eine  der 
Erde  entrückte  kör- 
perlose, himm- 
lischhohe Wesen- 
heit betont  wissen 
möchten,  ganz  auf- 
fallend. Bruch- 
stücke einer  ande- 
ren Muttergottes- 
darstellung      mit 


Abbildung  2.     Aeltestes  Muttergottesbild  aus  dem  Anfang 

des  II.  Jahrhunderts.     In  der  Katakombe   der  hl.  Priscilla. 

(Siehe  Seite  3.) 


Isaias  aus   der  zweiten  Hälfte  des  III.  Jahrhunderts  entdeckte  Wilpert  im 
April  1902  in  dem  Schutte  eines  Arkosols  der  Domitillakatakomben. 

Ein  großer  Teil  der  Katakombengemälde  zeigt  uns  Maria  auf  einem 
Lehnstuhl  sitzend  mit  dem  Kinde  auf  dem  Schöße.  Die  Gottesmutter  mit 
der  Tunika  oder  der  breitärmeligen  Dalmatika  bekleidet,  hält  dann  gewöhn- 
lich einen  Arm  vor,  breitet  —  wie  in  gleicher  Weise  auch  das  Kind  — 
eine  Hand  aus,  als  warte  sie  darauf,  die  Gaben,  die  Gebete  der  Gläubigen 


*   5  * 

in  Empfang  zu  nehmen.  Zwei  bis  drei  Personen  sind  der  thronenden 
Madonna  in  der  Regel  beigesellt,  die  ihr  Gaben  darreichen.  Man  ist  trotz 
der  orientalischen  Tracht  der  Spender  durchaus  nicht  gezwungen,  in  diesen 
Personen  immer  —  meistens  dürfte  es  der  Fall  sein  —  Anspielungen  auf 
die  Weisen  aus  dem  Morgenlande  zu  finden.  Mitunter  mag  es  sich  um 
die   symbolische   Darstellung    der  Maria    huldigenden    Christen    handeln. 


—  ■  ■ ""  • — 


Abbildung  3.     Wandbild  der  Katakomben  des  hl.  Petrus  und  Marcellinus. 

S.  5  aus  Venturi-Schreiber,  Die  Madonna.     Leipzig,  J.  J.  Weber. 
(Siehe  Seite  5.) 


Zehn  derartige  Darstellungen  sind  noch  vorhanden.  1.  Trennungsbogen 
der  cappella  greca  in  der  Katakombe  der  heiligen  Priscilla  aus  dem  Anfang 
des  II.  Jahrhunderts.  Auf  diesem  frühesten  Bilde  allein  sitzt  die  Jungfrau 
auf  einem  Stuhl  ohne  Rücklehne  und  tragen  die  Gabenspender  ihre  Ge- 
schenke in  bloßen  Händen.  In  den  übrigen  Darstellungen  hat  der  Sessel 
immer  eine  hohe  abgerundete  Rücklehne  und  werden  die  Geschenke  auf 
flachen  Schüsseln  angeboten.  2.  Lünette  des  Arkosols  der  Marienkrypta 
in  Santi  Pietro   e  Marcellino.     3.  Decke   der  Kammer  54  in  der  gleichen 


*  6  * 

Katakombe.  4.  Eingangswand  der  Kammer  14,  ebenda;  die  drei  letzt- 
genannten Darstellungen  stammen  aus  dem  III.  Jahrhundert,  die  zwei  letzten 
zeigen  nur  zwei  Gabenspender.  5.  Ueber  einem  Grabe  in  der  Domitilla- 
Katakombe  malte  der  Künstler  dagegen  vier  solche,  je  zwei  zu  Seiten  der 
Madonna.  Erste  Hälfte  des  IV.  Jahrhunderts.  6.  Bogen  des  Arkosols  der 
Madonna  in  San  Callisto.  Erste  Hälfte  des  IV.  Jahrhunderts.  7.  Grab  einer 
Frau  in  der  Nähe  der  Basilika  der  hh.  Petrus  und  Marcellinus.  Hier 
huldigen  fünf  männliche  und  drei  weibliche  Gestalten  der  Madonna. 
8.  Grabstätte  in  der  Katakombe  unter  der  Vigna  Massimo.  9.  Front  des 
Arkosols  15  in  der  Annonaregion  der  Domitilla- Katakombe.  Maria  ist  hier 
auffallend  ältlich  gegeben.  Um  den  Hals  trägt  sie  eine  Perlenschnur.  Die 
erste  ihr  dargebotene  Schüssel  ist  mit  Goldstücken  belegt.  10.  Linke  Wand 
der  Krypta  der  Magier  in  der  gleichen  Katakombe.  Die  vier  letzten  Dar- 
stellungen stammen  ebenfalls  aus  dem  IV.  Jahrhundert.  —  Genannt  seien 
dann  noch  in  diesem  Zusammenhange  die  drei  Muttergottesdarstellungen 
mit  den  drei  Magiern  und  dem  Stern  im  Coemeterium  majus  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  IV.  Jahrhunderts. 

Die  Prophetie  des  Michäas:  „Und  du,  Bethlehem,  bist  keineswegs  die 
geringste  unter  den  Fürstenstädten  Judas,  denn  aus  dir  wird  hervorgehen 
der  Fürst,  der  mein  Volk  Israel  regieren  soll,"  in  Verbindung  mit  einer 
Muttergottesdarstellung  findet  sich  auf  einem  Fresko  des  Cubiculum  IV. 
in  Santa  Domitilla.  Der  bärtige  Prophet  in  hohenpriesterlicher  Gewandung 
zeigt  auf  die  durch  zwei  turmartige  Bauten  repräsentierte  Stadt  Bethlehem, 
vor  welcher  Maria  mit  dem  Jesuskinde  auf  dem  Schöße  sitzt.  Das  eigen- 
artige Gemälde  stammt  aus  der  zweiten  Hälfte  des  IV.  Jahrhunderts.  — 
Ganz  originell  mutet  auch  eine  Malerei  in  der  Lünette  der  Hinterwand 
der  Kammer  5  der  Priscilla-Katakombe  an,  in  die  auch  eine  Madonnen- 
darstellung hineinverflochten  ist,  aus  der  zweiten  Hälfte  des  III.  Jahrhunderts. 
Veranschaulicht  soll  uns  die  Uebergabe  eines  Schleiers  an  eine  gottge- 
weihte Jungfrau  werden.  Gemeint  ist  die  alte  Sitte,  von  der  schon  Tertullian, 
De  velandis  virginibus,  erzählt.  „Während  die  weltlichen  Bräute  zu  ihrer 
Vermählung  mit  dem  Schleier  auf  dem  Kopf  erschienen  und  dann  ver- 
hüllt ihrem  Bräutigam  übergeben  wurden,  empfingen  die  Bräute  Christi  den 
Schleier  bei  der  Zeremonie  ihrer  mystischen  Vermählung  selbst."  Auf 
unserem  Gemälde  spricht  der  auf  einer  Kathedra  thronende  bärtige  Bischof 
zu  der  neben  ihm  stehenden,  noch  unverschleierten  weiblichen  Gestalt, 
welche  die  offene  Schriftrolle  mit  der  Formel  des  Gelübdes  in  Händen 
hält.  Hinter  ihr  steht  ein  ministrierender  Diakon  mit  dem  Schleier  im 
Arm.  Der  Bischof  weist  nun  mit  Hand  und  Blick  nach  der  Seite  hin,  wo 
wir  Maria  mit  dem  göttlichen  Kinde  auf  dem  Schöße  gewahren;  so  stellt 


*  7  * 

er  der  einzukleidenden  Jungfrau  die  Allerreinste  als  Vorbild  hin;  denn 
„Maria  ist  ein  Spiegel  der  Jungfrauschaft,  das  Leben  der  einen  ist  eine 
Schule  für  alle".     (Ambrosius,  de  virginibus,  2,  2  Migne,  208  ff.) 

Ein  Typus  der  Mariendarstellung,  der  besonders  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten der  Christenverfolgungen  in  den  Katakomben  beliebt  wird, 
gibt  Maria  als  virgo  orans,  als  Fürbitterin,  mit  ausgebreiteten  Armen 
betend,  meist  in  halber  Gestalt  und  ohne  das  Jesuskind.  Derartig  ist 
Maria  wiedergegeben  z.  B.  auf  sieben  Goldgläsern  (die  z.  Zt.  in  verschie- 
denen Sammlungen  altchristlicher  Kunst  zerstreut  sind)  mit  beigefügtem 
Namenszug:  „Maria",  teils  allein,  teils  in  Gesellschaft  von  Heiligen,  und 
zwar  meist  von  Petrus  und  Paulus.  Auf  einem  Grabstein  in  den  Kallistus- 
Katakomben  sowie  auf  einem  Deckengemälde  in  jenen  der  heiligen  Agnes 
steht  die  virgo  orans  zwischen  zwei  Lämmern  als  Fürbitterin  des  christ- 
lichen Volkes,  das  die  Lämmer  symbolisieren.  Diese  Symbolik  des  der 
Fürbitte  bedürftigen  christlichen  Volkes  findet  sich  noch  wiederholt,  so  auf 
Grabsteinen  mit  Darstellungen  des  besonderen  Gerichtes.  Unter  solchen 
Tierbildern  verstanden  sich  die  Hinterbliebenen,  die  als  Orans  gegebene 
gläubig  Dahingeschiedene  so  gleichsam  bittend  sich  ihrer  am  Throne 
Christi  zu  erinnern.  In  diesem  Sinne  zeigt  z.  B.  ein  Graffito  in  der  In- 
schriftengalerie des  Lateranensischen  Museums  eine  verschleierte  Orans 
zwischen  zwei  Schafen  und  rechts  von  ihr  den  Heiland  als  Richter  auf 
der  Kathedra.  Doch  wohl  mehr  als  hundert  Jahre  später,  etwa  aus  dem 
Ende  des  V.  Jahrhunderts,  stammt  das  die  Maria  orans  gebende 
Graffito  aus  Berre  in  der  Krypta  des  heiligen  Maximin  bei  Tarascon. 
Das  gleichartige  Fresko  in  der  Katakombe  von  Albano  aus  dem  IX. 
Jahrhundert  beweist,  wie  lange  die  Darstellung  der  mit  ausgebreiteten 
Armen  Fürbitte  einlegenden  heiligen  Jungfrau  volkstümlich  blieb.  In  diesen 
Kreis  gehört  schließlich  auch  das  aus  dem  IV.  Jahrhundert  her- 
rührende Madonnenfresko  im  Ostrianum  der  Agnes-Katakomben.  Vor  der 
in  feierlicher  Haltung  betenden,  in  halber  Gestalt  gegebenen  Gottesmutter 
sehen  wir  diesmal  ausnahmsweise  auch  noch  Köpfchen,  Hals  und  Schulter 
des  Christusknaben.  Gerade  der  Umstand,  daß  wir  in  dem  Knaben  sicher 
das  Jesuskind  zu  erkennen  haben,  beweist,  daß  die  das  Kind  haltende  Frau 
die  Mutter  Gottes  und  nicht  eine  beliebige  Verstorbene  ist.  Es  handelt 
sich  nämlich  hier  um  eines  der  zehn  Gräber,  die  mit  dem  Brustbild  Christi 
geschmückt  sind.  Alle  stammen  wie  unsere  Malerei  aus  dem  IV.  Jahr- 
hundert und  in  den  anderen  neun  Fällen— also  auch  in  diesem  zehnten  — 
existiert  außer  der  Büste  Christi  wenigstens  noch  ein  anderes  Bild  an  der 
betreffenden  Grabstätte,  welches  den  Heiland  irgendwie  zum  Gegenstande 
hat.      Außerdem    weist   übrigens    noch    das    Monogramm    Christi,    das 


beigegeben  ist,  auf  das  göttliche  Kind  und  damit  auch  auf  seine  himmlische 
Mutter  hin.  Dieser  Madonnenkopf  ist  der  am  sorgfältigsten  ausgeführte, 
am  feinsten  modellierte  und  am  besten  erhaltene,  der  sich  überhaupt  in 
den  Katakomben  findet.  Dank  Wilperts  sorgfältigen  Waschungen  sind 
Konturen  und  Farben  wieder  ganz  deutlich  geworden.  Maria  trägt 
prächtige  Gewandung,  dunkelgelbe  Dalmatika,  an  den  Aermeln  wie  an 
der  Brust  mit  breiten  Streifen  von  sattem  Purpur  verziert,  und  fein  ge- 
webten Schleier.  Um  den  Hals  hat  sie  ein  aus  Perlen  und  Edelstein 
bestehendes  Halsband.     In   ihren  Ohren    glänzen   zwei   funkelnde  Perlen. 

Beide  Auffassungen,  jene,  die  Maria  im  Lehnstuhl  sitzend,  Gaben 
entgegennehmend,  zeigt  und  jene  der  virgo  orans  gehen  auf  antike 
Vorbilder  zurück.  Für  letztere  sei  auf  die  bekannte  altgriechische  Bronze- 
statue des  mit  ausgebreiteten  Armen  betenden  Knaben  der  Antiken  Sammlung 
des  Berliner  Museums  verwiesen;  für  erstere  sei  an  die  Grabstelle  der 
Hegeso  auf  der  Gräberstraße  zu  Athen  erinnert:  Auf  dem  Lehnstuhl  sitzt 
Hegeso,  die  vornehme  Frau,  und  nimmt  von  der  vor  ihr  stehenden  Unter- 
gebenen eine  Gabe  entgegen. 

In  dem  zuletzt  erwähnten  Fresko  der  Agnes-Katakomben  und  in 
einem  anderen  der  Valentinus-  Katakomben  aus  dem  VII.  Jahrhundert 
weisen  der  Umstand,  daß  Maria  gleichsam  als  Brustbild  gegeben  ist,  die 
en  face-Stellung  des  Kindes  vor  der  Mutter,  erhöhtes  Bestreben:  körperlos, 
ja  wesenlos  zu  erscheinen,  vor  allem  die  aus  dem  Orient  nach  Rom  ver- 
pflanzte Liebe  zur  Pracht,  zu  prunkender  Kleidung,  bereits  auf  die  Art  der 
frühesten  Marienbilder,  die  über  der  Erde  entstanden  sind,  hin. 

Byzantinische  Kunst. 

)er  heilige  Evangelist  Lukas,  so  erzählt  die  Legende,  habe  das 
Malerhandwerk  betrieben,  und  von  seiner  Hand  sei  die  heilige 
Jungfrau  zum  erstenmal  gemalt  worden.  Obwohl  nun  einmal 
in  früher  Zeit  Väter  einer  orientalischen  Synode  dazu  neigten, 
in  Jerusalem  damals  aufbewahrte,  angebliche  Sankt  Lukasbilder  für 
Acheropoieta,  das  heißt:  für  authentische  Porträts  Mariens  zu  halten,  so 
wollen  wir  doch  lieber  den  Versicherungen  der  heiligen  Bischöfe  und 
Kirchenlehrer  Ambrosius  und  Augustinus  glauben,  daß  das  glaubwürdige 
Bildnis  der  Gottesmutter  nicht  erhalten  sei.  Diese  sog.  Sankt- Lukas- 
Madonnen  gehen  vielmehr  auf  den  der  klassisch -antiken  Kunst  ent- 
nommenen Junonischen  Typus  zurück.  Behandlung  von  Augen,  Nase  und 
Kinn  ist  hierfür  besonders  charakteristisch.  Als  älteste  Marienbilder  des 
heiligen  Lukas,  die  geschichtlich  erwähnt  werden,  galten  die  Hodegetria, 


9  * 


die  im  Kloster  der  Hodegen  verehrt  wurde  und  im  IV.  Jahrhundert  auf 
dem  Wege  der  Schenkung  in  den  Besitz  der  Kaiserin  Pulcheria  kam,  dann 
die  Nikopeia,  der  die  Römer  ihren  Sieg  über  die  Avaren  und  über  Phokas 
verdanken  zu  müssen  glaubten,  und  die  später  im  Kaiserpalast  der  Blachernen 
einen  Ehrenplatz  erhielt. 

Dem    heiligen   Lukas   zugeschriebene,    jedenfalls    uralte   Madonnen- 
bilder finden  sich  heute  noch;  es  sei  nur  erinnert  an  jenes  in  der  Capeila 
Borghese  in  Santa  Maria  Mag- 
giore  zu  Rom  und  an  ein  an- 
deres hochverehrtes  im  Kloster 
von  Montserrat  in  Spanien. 

Im  Anschluß  an  die  aus  der 
Antike  geborenen  Sankt  Lukas- 
Bilder  entstand  nun  für  den 
Marien  typ  us  in  der  by- 
zantinischen Kunst  folgen- 
der Kanon :  großer,  fast  un- 
förmiger Kopf,  große,  meist 
längliche,  geschlitzte  Augen, 
lange,  schmale  Nase,  kleiner 
Mund  mit  zusammengepreßten, 
oft  wulstigen  Lippen,  hervor- 
stehendes, spitzes  Kinn.  Die 
Gewandung  ist  breit,  bauschig, 
mit  groben  Falten,  läßt  nur  Ge- 
sicht und  die  langfingerigen, 
unrichtig  gegliederten  Hände 
frei.  Maria  sitzt  entweder  auf 
breitem  Throne  und  hält  das 
meist  in  unschöner,  hockender 
Stellung  mitten  auf  ihrem 
Schöße   befindliche  Jesuskind, 

das  mit  dem  rechten  Händchen  segnet,  oder  Maria  ist  —  allerdings  weit 
seltener  —  stehend,  allehvmit  ausgebreiteten  Armen  betend,  gegeben.  Der 
Gesichtsausdruck  ist  vorderhand  leer,  der  Blick  leblos,  der  Gesamtein- 
druck idolenhaft. 

Dieses  so  geformte  sogenannte  byzantinische  Marienbild  war  nicht 
nur  für  den  Osten  eigentlich  für  alle  Zeiten  maßgebend,  sondern  blieb 
auch  für  die  Kunst  des  Abendlandes  bis  in  das  XIII.  Jahrhundert  hinein 
typisch. 


Abbildung  4.  Gnadenbild  Maria  Schnee  in  Rom, 

nach  frommer  Ueberlieferung  vom  hl.  Lukas  gemalt. 

(Siehe  Seite  S.) 


10 


Als  das  Konzil  zu  Ephesus  (431  n.  Chr.)  die  Irrlehre  des  Nestorius 
verdammt  hatte  und  Maria  feierlich  ex  cathedra  zur  Gottesgebärerin  er- 
klärt worden  war,    wünschte  Papst  Sixtus  III.,   daß  in  bildnerischen  Dar- 


Abbild.  5.  Mosaik  des  9.  Jahrhunderts.  Santa  Maria  in  Dominica  oder  della  Navicella  in  Rom. 

S.  8  aus  Venturi-Schreiber,  Die  Madonna.    Leipzig,  J.J.Weber. 
(Siehe  Seite  11.) 

Stellungen  der  im  Konzil  zu  Ephesus  definierte  Glaubenssatz  künstlerischen 
Ausdruck  fände.  Als  früheste  Frucht  dieser  päpstlichen  Bemühungen 
darf   das   noch    aus    der   ersten    Hälfte    des    V.  Jahrhunderts    stammende 


*  11  * 

Mosaik  am  Triumphbogen  von  Santa  Maria  Maggiore  in  Rom 
gelten.  Ein  kostbares  gesticktes  Kleid  schmückt  hier  die  zu  höchster 
Würde  Erkorene.  Ein  Edelstein-Diadem  ziert  ihr  Haupt.  Edelsteine  funkeln 
auf  ihrer  Stirn  und  in  ihren  Ohren.  Zwei  Perlenbänder  erglänzen  am 
Halse.    Scharen  huldigender  Engel  grüßen  ihre  Königin. 

Das  Modell  war  nun  vorhanden,  das  durch  königliche  Insignien, 
Glanz,  Farbenpracht  die  hohe  Würde  der  Gottesmutter  kennzeichnete. 
Und  in  der  byzantinischen  Kunst  wurden  die  hier  zur  Verwendung  ge- 
brachten Motive  gern  wiederholt. 

Es  erübrigt  nun,  die  hauptsächlichsten  der  primitiven  Kunst  an- 
gehörigen  Mariendarstellungen  zu  nennen.  Erwähnt  seien  die  Mosaik- 
darstellung der  heiligen  Jungfrau  mit  dem  Kinde  aus  dem  VI.  Jahrhundert 
in  der  Basilika  San  Appollinare  Nuovo  zu  Ravenna,  die  beiden  betenden 
Madonnen  aus  dem  Oratorio  di  San  Vincenzo  bei  der  Taufkirche  des 
Laterans  in  Rom  aus  dem  VI.  und  in  der  Kirche  San  Marco  zu  Florenz 
aus  dem  VIII.  Jahrhundert.  In  dem  zeitlich  kaum  späteren  Mosaik  in 
der  Apsis  der  Kathedrale  von  Parenzo  ist  die  Madonna  zum  erstenmal 
außer  von  Engeln  auch  von  Heiligen  umgeben.  Wie  eine  durch  Edel- 
steine, durch  Gemmen  und  Perlenschmuck  gleichsam  erdrückte  Mumie 
war  die  auf  Veranlassung  Johanns  VII.  zur  Verpönung  der  Bilder- 
stürmer für  den  päpstlichen  Palast  angefertigte  Madonna  anzusehen,  zu 
deren  Füßen  die  miniaturenhafte  Figur  des  Papstes  kniend  angebracht 
war.  In  dem  Mosaik  der  Apsis  von  Santa  Maria  Navicella  zu  Rom  huldigt 
ebenso  Papst  Paschalis  I.  der  von  zahlreichen  Engeln  umgebenen  Mutter 
Gottes  (s.  Bild).  Zeugnisse  des  rasch  vorwärts  schreitenden  Verfalls  der  Mosaik- 
kunst sind  dann  die  Madonnen  in  Santa  Francesca  Romana  zu  Rom,  in 
der  Apsis  des  Doms  auf  der  Insel  Torcello,  in  der  Kirche  der  Martorana 
in  Palermo  aus  dem  XII.  und  in  San  Marco  zu  Venedig  aus  dem  XIII. 
Jahrhundert.  Doch  nicht  nur  in  Mosaik  wurde  die  also  versteinerte,  leb- 
lose byzantinische  Madonna  damals  dargestellt.  Ein  Bild  in  der  Dom- 
opera zu  Siena,  ein  Relief  aus  der  Sammlung  Stroganoff  in  Rom  wären 
z.  B.  sehr  charakteristische  Beispiele  für  Malerei  und  Plastik. 

Sienesische  Meister. 

er  hauchte  nun  zuerst  dem  starren,  leblosen  Idol  Seele  und 
Empfindung  ein?  Welcher  Künstler  schuf  die  neue  Epoche 
in  der  Geschichte  des  Marienbildes?  Dieses  Verdienst  muß 
einem  sienesischen  Maler  zuerkannt  werden,  dem  Guido 
da  Siena,  der  im  XIII.  Jahrhundert  lebte.  Dieses  Meisters  für  San 
Domenico    in  Siena   gearbeitete,    jetzt   im    Rathause   daselbst   befindliche 


12  * 


Abbildung  6.     Guido  da  Siena,  Madonna. 

Siena,  Palazzo  Comunale. 

(Siehe  Seite  11.) 


*  13  * 

große  Madonna  ist  sicherlich  die  überhaupt  früheste  Mariendarstellung, 
in  welcher  mit  voller  Absichtlichkeit  inneres  Leben,  Empfindung  zum 
Ausdruck  zu  bringen  versucht  wurde.  Wie  weit  dem  Künstler  sein 
Bestreben,  innerlich  belebte  Gesichtszüge  zu  schaffen,  wirklich  gelang, 
ist  infolge  der  späteren  Uebermalung  des  Bildes  durch  Duccio  nicht 
mehr  mit  völliger  Sicherheit  festzustellen.  Daß  aber  Guido  dieses 
Bestreben  hatte,  ist  schon  erkenntlich  aus  der  leichten,  aber  entschiedenen 
Neigung  des  Kopfes  nach  links  anstatt  der  herkömmlichen  en  face-Stellung. 
Auch  das  Gesichtchen  des  Jesuskindes  auf  der  Mutter  Schoß  blickt  nicht 
mehr  starr  auf  den  Beschauer.  Das  Köpfchen  ist  vielmehr  der  Mutter 
zugewandt.  Und  gerade  dieser  von  Guido  zum  erstenmal  geschaffene 
Kontakt  zwischen  Mutter  und  Kind  bedeutete  für  die  Gestaltung  des  Ma- 
rienbildes ein  neues,  belebendes,  hochwichtiges  Moment.  Anstatt  der  auf 
byzantinischen  Bildern  üblichen,  steif  zu  Häupten  Mariens  stehenden  zwei 
Engel  malte  der  Sienese  sechs  durch  Körperhaltung  und  Gestikulation 
lebhafte  Verehrung  bezeugende.  An  Stelle  des  Starren  und  Toten  tritt 
überall  Wärme  und  Leben.  Und  so  bedeutet  des  Guido  von  Siena 
Madonna  von  San  Domenico  eine  schöpferische  Tat.  Das  Bild  ist  laut 
Inschrift  1221  entstanden.  Alle  Versuche,  die  an  der  Authentizität  dieses 
Datums  Zweifel  setzen  wollten,  erwiesen  sich  als  willkürliche  Zweifel- 
sucht und  sind  mit  völligem  Recht  zurückgewiesen  worden.  Und  so 
gilt  es  als  völlig  ausgeschlossen,  daß  irgend  ein  anderes  Marienbild, 
das  eine  Spur  innerer  Belebung  zeigt,  vor  diesem  Werke  geschaffen 
worden  wäre.  (Vergl.  Walter  Rothes,  Die  Blütezeit  der  Sienesischen 
Malerei  und  ihre  Bedeutung  für  die  Entwicklung  der  Italienischen 
Kunst,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Sienesischen  Malerschule.  Heitz, 
Straßburg  1904.  S.  33  ff.) 

Man  hat  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  daß  die  Anfänge  der  Re- 
naissance-Kunst in  Italien  nicht  nur  zeitlich  zusammenfallen,  sondern  auch 
untrennbar  verbunden  sind  mit  dem  kulturgeschichtlich  epochemachenden 
Wirken  des  großen  heiligen  Franziskus  von  Assisi.  Die  Liebe  zur  Natur 
und  poetische  Begeisterung  für  dieselbe,  die  den  Seraph  von  Assisi  ent- 
flammten man  denke  an  den  Sonnenhymnus  — ,  die  Rückkehr  zur 
Natürlichkeit  und  warmer  Nächstenliebe,  die  sein  Orden  predigte,  mußte 
auch  die  in  byzantinischer  Verknöcherung,  ja  im  Absterben  begriffene  bil- 
dende Kunst  neu  und  warm  beleben. 

In  der  Zeit  der  höchsten  franziskanischen  Begeisterung  ist  unseres 
Sienesen  für  die  Geschichte  des  Marienbildes  epochemachendes  Werk 
entstanden.  Wie  in  Florenz  des  Cimabue  und  des  genialen  Giotto  Ge- 
mälde gleichsam  Früchte  der  vom  heiligen  Franz  angefachten  Bewegung 


*   14  * 

sind,  so  sind  es  in  Siena  die  des  Guido,  dann  des  Duccio  und  des  Simone 
Martini.  Guido  aber  war  der  früheste  von  diesen  Meistern;  seine  Madonna 
von  San  Domenico  das  erste  Werk  der  neuen  Kunst. 


Abbildung  7.    Duccio  di  Buoninsegna,  Madonna  Ruccellai. 

Florenz    Santa  Maria  Novella. 
(Siehe  Seite  15.) 


Ohne  dem  Ruhm,  der  Kunst  von  Florenz,  Cimabues  und  besonders 
Giottos  Eintrag  tun  zu  wollen,  muß  doch  betont  werden:  das  Verdienst, 
das  Madonnenbild  aus  dem  Zustande  byzantinischer  Erstarrung  erweckt  und 


*  15  * 

zuerst  künstlerisch  gehoben  zu  haben,  gebührt  Siena  und  nicht  Florenz. 
Diese  Tatsache  ist  um  so  weniger  anzugreifen,  als  es  jetzt  zweifellos  fest- 
steht, daß    die   als   angeblich  Cimabues   bekanntestes  Werk    berühmt  ge- 


Abbildung 8. 
Duccio  di  Buoninsegna,  Thronende  Madonna  der  Domopera  zu  Siena. 

(Siehe  Seite  16.) 


wesene  sog.  Madonna  Ruccellai  in  Santa  Maria  Novella  zu  Florenz  nicht 
von  diesem  Maler,  sondern  von  dem  Sienesen  Duccio  (1260-1318)  herrührt. 
Typus  und  Gesichtsmodellierung  Mariens  sowie  der  sechs  umgebenden 
knienden  betenden  Engel  in  diesem  Bilde  sind  ganz  entschieden  siene- 
sisch  und  auch  speziell  ducciesk.     Das  Ruccellai-Bild  erscheint   wie   eine 


*  16  * 

Vorarbeit  zu  jenem  großen  vortrefflichen  Werke  Duccios,  das  für  den 
Hochaltar  des  Domes  zu  Siena  bestimmt  war  und  sich  jetzt  in  der  Dom- 
opera daselbst  befindet.     Diese  am  9.  Juni  1310  unter  Glockengeläute  und 


Abbildung  9. 
Simone  Martini,  Madonna.     Siena,  Stadthaus. 

(Siehe  Seite  17.) 


Posaunenschall  feierlich  zur  Kathedrale  geleitete  Maiestas  Beatae  Mariae 
Virginis  blieb  das  vollgültige,  prächtige  Modell  für  alle  italienischen 
thronenden  Madonnen  auf  Jahrhunderte  hinaus.  Sanft  und  ernst  gestimmte 
Heilige,  reizvolle  Engel,  von  welchen  vier,  wie  traumverloren,  über  die 
Lehne  des  Thrones  der  Jungfrau    herniederschauen,    umgeben    huldigend 


Abb.  10.     Carlo  Dolci,  Madonna  mit  Kind. 
München,  alte  Pinakothek. 

(  Siehe  Seite  65.  i 


*   17  * 

des  Himmels  Königin.  Vor  allem  hat  Duccios  Genius  erreicht,  was  Guidos 
hohes  künstlerisches  Verständnis  erstrebt  hatte.  Mit  diesem  Bilde  hat 
Duccio  Seele  und  Schönheit  in  die  italienische  Kunst  eingeführt. 
Das  fünfteilige  Altarbild,  das  in  der  Akademie  zu  Siena  die  Madonna 
mit  dem  Kinde  zwischen  den  Heiligen  Augustinus  und  Paulus,  Petrus 
und  Dominikus  zeigt,  darf  ebenfalls  als  Originalarbeit  dieses  Meisters 
gelten. 

Duccios  Maiestas  war  Vorbild  für  eine  solche,  mit  der  Simone 
Martini  (1283—1344)  im  Jahre  1315  die  Sala  del  consiglio  im  Stadthause  zu 
Siena  schmückte.  In  der  vordersten  Reihe  knien  wieder,  wie  bei  Duccio, 
rechts  und  links  vom  Throne  die  vier  Stadtpatrone,  Ansanus  und  Savinus, 
Creszenzius  und  Viktor.  Engel  und  Heilige,  von  welch  letzteren  acht  die 
Tragstäbe  des  Baldachins  halten,  unter  welchem  die  der  Madonna  huldi- 
gende Versammlung  weilt,  umstehen  ferner  in  großer  Zahl  Maria,  der 
Siena  seit  1260  in  besonderer  Weise  geweiht  war  und  die  als  Advocata 
Senensium  hoch  verehrt  wurde.  Sinnig  wirken  die  beiden  Engel,  die  am 
Fuße  des  Thrones  knien  und  mit  dem  Ausdrucke  tiefster  Ehrerbietung 
der  heiligen  Jungfrau  gefüllte  Blumenkörbe  mit  emporgehobenen  Armen 
entgegenhalten.  Blumenkränze,  meist  aus  Rosen  und  Lilien  geflochten, 
schmücken  der  Engel  Lockenhaar.  Die  Sienesen  liebten  Blumenpracht. 
Und  so  ließ  es  sich  auch  Simone  Martini  in  seiner  phantasievoll-poetischen 
Art  nicht  nehmen,  der  Blumen  leuchtende,  bunte  Menge  zur  festlichen 
Gestaltung  des  Maria  verherrlichenden  Zeremonienbildes  recht  reichlich 
zu  verwenden. 

Wie  hat  Simone  Marias  Antlitz  verklärt!  Eine  Welt  von  Empfin- 
dungen lebt  in  diesen  Augen.  Kaum  werden  wir  uns  darüber  klar, 
was  sie  alles  uns  zu  sagen  haben.  Ein  Schwärmerisches,  ja  Unergründ- 
liches hält  unseren  Blick  gebannt.  Ihre  Gedanken  sind  offenbar  umfassen- 
der, beschäftigen  sich  nicht  mit  dem  göttlichen  Kinde  allein,  das  auf  ihrem 
Knie  steht,  in  priesterlichem  Gewände,  übrigens  mit  wohltuend  frischem 
Gesichtchen,  den  rituellen  Gestus  des  Segnens  vollzieht.  Wie  andere 
Madonnenbilder  des  Meisters  bezeugen  —  z.  B.  Nr.  13  und  26  im  Museo 
civico  zu  Pisa  (s.  Bild)  — ,  ist  Simone  Martini  aber  auch  derjenige  Künstler, 
dem  das  hohe  Lied  von  der  Mutterliebe  wie  vielleicht  kaum  einem  zweiten 
erklungen  ist.  Mit  einem  rührenden  Kinderlächeln  auf  den  Lippen  hat 
diesmal  Klein-Jesus  der  Mutter  Schleier  ergriffen  und  guckt  ihr  herziglieb 
in  die  Augen.  Und  dieser  Blick  wird  von  Maria  mit  einer  Innigkeit  und 
Wärme  erwidert,  wie  ihn  nur  die  treueste  Mutter  ihrem  höchsten  Kleinod 
spenden  kann.  Man  muß  bedenken,  daß  Simone  Martini  im  XIV.  Jahr- 
hundert im  Trecento  bereits  gewirkt  hat.     Trotzdem  zählen  seine  Marien- 

Rothes,  Madonna.  2 


*  li 


bilder  zu  den  schönsten  Kunstwerken,  welche  die  Verehrung  der  Gottes- 
mutter jemals  gezeitigt  hat. 

Ein  anderer  Sienese,    ein  Zeitgenosse    des  Simone,    war   wohl    nach 
diesem  der  hervorragendste  Madonnenmaler  des  Jahrhunderts,  Ambruogio 

Lorenzetti  (ca.  1315 
bis  1348).  Auch  in 
dieses  Meisters  Bildern 
wird  die  Mutterliebe 
gefeiert.  In  seiner  Ma- 
donna del  latte  in  San 
Francesco  zu  Siena 
greift  Ambruogio  zu 
dem  das  intimste  Ver- 
hältniszwischen  Mutter 
und  Kind  bezeugenden 
Motiv  zurück,  das 
schon  jener  Maler  in 
den  Priscilla- Kata- 
komben anwandte:  er 
zeigt  Maria,  wie  sie  ihr 
Kind  nährt.  Auf  einem 
mehrteiligen  Altarwerk 
Ambruogios  in  der 
Galerie  zu  Siena  steht 
-  in  halber  Gestalt  — 
dieMadonna  mit  ihrem 
Knaben  zwischen  Ma- 
ria Magdalena ,  der 
heiligen  Elisabeth  von 
Thüringen  und  den  bei- 
den Johannes.  Mutter 
und  Söhnchen  halten 
sich  fest  umschlungen. 
Zärtlich  preßt  sich 
Wange  an  Wange.  In 
anderen  Bildern  betonte  unser  Meister  mehr  als  das  familiäre  Moment 
die  hohe  Würde  der  Königin  des  Himmels.  Auf  einer  weiteren  Tafel  der 
Akademie  huldigen  der  thronenden  Madonna  kniend  die  vier  Stadtpatrone 
von  Siena.  Sankt  Katharina  und  Sankt  Elisabeth  stehen  ihr  zur  Seite.  Je 
drei  Engel  rechts  und  links  schließen  sich  an. 


Origioal-Aufoahme. 

Abbildung  11.    Simone  Martini,  Madonna. 

Pisa,  Museo  civico. 
(Siehe  Seite  17.) 


*  19  * 


In  Gegensatz  zu  der  von  Simone  Martini  und  Ambruogio  Lorenzetti 
beliebten,  für  sienesische  Art  so  charakteristischen  weichen  und  vollen  Ge- 
sichtsmodellierung ver- 
rät der  Marientypus, 
wie  ihn  Ambruogios 
älterer  Bruder,  Pietro 
Lorenzetti,  (um  1309 
— 1348)  geschaffen  hat, 
herbe,  ja  strenge  Züge. 
Im  übrigen  sind  auch 
die  Madonnendarstel- 
lungen Pietros  einzu- 
teilen in  solche,  welche 
die  Mutterliebe  und 
in  solche,  welche  die 
Königin  des  Himmels 
in  erster  Linie  verherr- 
lichen. Zu  ersteren 
zählen  die  Altartafeln 
in  der  Akademie  zu 
Siena  aus  San  Ansano 
und  Santa  Maria  della 
scala  sowie  jene  in  den 
Uffizien  zu  Florenz,  zu 
letzteren  die  in  der 
Pieve  zu  Arezzo. 

Die  Namen  Martini 
und  Lorenzetti  be- 
deuten den  Höhepunkt 
nicht  nur  für  diesiene- 
sischen  Mariendarstel- 
lungen überhaupt,  son- 
dern auch  den  —  man 
darf  es  kühn  aus- 
sprechen—  für  die  ge- 
samteinternationale Trecento-Kunst.  Dem  zartbesaiteten,  weich  empfindsamen 
sienesischen  Volksstamm  war  es  vorbehalten,  durch  die  Genialität  eines  Guido, 
eines  Duccio,  eines  Martini  und  der  Lorenzetti  den  Samen  gleichsam  zu  legen 
zu  dem  mächtigen,  mit  seinen  Zweigen  alle  Länder  beschattenden  Baume, 
der  für  die  bildende   Kunst  später   allüberall   die   herrlichsten  Blüten  der 


1  Photogr.  Alioari. 

Abbildung  12.    Ambr.  Lorenzetti,  Madonna  del  latte. 
Siena,  Kirche  S.  Francesco. 
(Siehe  Seite  18.1 


*  20  * 

Marienminne  getrieben  hat.  Die  sienesische  Mal  er  schule  genoß 
damals  speziell  für  die  Anfertigung  von  Marienbildern  einen  Weltruf.  Und 
ihre  sienesische  Eigentümlichkeit  überall  hin  verbreitende  Tätigkeit  erstreckte 
sich  bis  in  die  fernsten  Länder.  Simone  Martini  arbeitete  selbst  zu  Avig- 
non  in  Frankreich  in  der  Residenz  der  Päpste.  In  deutschem  Land 
berief  Karl  IV.  für  die  Kapellen  der  Burg  Karlstein  in  Böhmen  sienesische 
Künstler,  Martini -Schüler.  Sienesische  Maler  waren  am  Hofe  Juans  I. 
und  Juans  II.  in  Spanien  beschäftigt.  Es  besteht  gar  kein  Zweifel,  daß,  be- 
sonders was  die  Gestaltung  des  Marienbildes  angeht,  sienesische  Einflüsse 
weit  stärker  und  verbreiteter  sind  als  florentinische.  Das  gilt  nicht  nur 
für  das  Ausland,  sondern  auch  für  Italien  selbst.  Für  San  Gimignano 
z.  B.  steht  es  urkundlich  fest,  daß  bis  in  die  letzten  Jahrzehnte  des  Tre- 
cento  hinein  ausschließlich  sienesische  Maler  berufen  wurden,  um  bei 
ihnen  zu  lernen,  während  man  die  Florentiner  absichtlich  vernachlässigte. 
Aehnliches  wäre  von  anderen  Städten  zu  berichten.  Die  Madonna  des 
Margeritone  von  Arezzo  in  der  Pinakothek  zu  Arezzo  erscheint  völlig  ab- 
hängig von  jener  Guidos;  die  einem  Cavallini  zugeschriebene  in  Assisi, 
die  Mutter  und  Kind  in  so  innigem,  seelischem  Verein  zeigt,  gänzlich  von 
jenen  des  Simone  Martini.  Des  Fra  Barnaba  von  Modena  Madonnen 
verleugnen  keinen  Augenblick  den  sienesischen  Einfluß.  Man  denke  nur 
an  dieses  Künstlers  Marienbilder  im  Museo  civico  zu  Pisa  und  im  Städel- 
schen  Institut  zu  Frankfurt  am  Main. 


Anfänge  der  Florentiner  Kunstentfaltung. 

Jie  altflorentinischen  Marienbilder  haben  sicherlich  auch 
zur  Kunst  eines  Guido,  später  eines  Duccio  von  Siena  in  Be- 
ziehung gestanden.  CoppusMarcoaldus  aus  Florenz  arbeitete 
in  Siena.  Seine  Madonna  aus  dem  Jahre  1261  in  der  dortigen 
Servitenkirche  beweist,  daß  er  es  noch  nötig  hatte,  von  Guido  zu  lernen. 
Auch  Cimabue  (ca.  1240^1302)  und  Giotto  (1266  —  1336)  standen, 
wenn  auch  vielleicht  unbewußt,  wenigstens  was  die  innere  Belebung  der 
Darstellung  von  Mutter  und  Kind  anbetrifft,  unter  dem  Einfluß  Guidos. 
Noch  steif  und  seelenlos  wirken  die  frühesten  Madonnen  von  Cimabue 
in  der  Akademie  zu  Florenz  und  in  Santa  Chiara  zu  Assisi,  schon  inner- 
lich belebter  die  aus  San  Francesco  in  Pisa  stammende,  im  Louvre  zu 
Paris  und  die  aus  Santa  Croce  in  Florenz  herrührende  in  der  National- 
galerie zu  London.  Am  höchsten  aber  steht  die  ebenfalls  diesem  Meister 
zugeschriebene  thronende  Madonna    mit  dem   heiligen  Franziskus   in    der 


*  21    * 

Unterkirche  von  San  Francesco  zu  Assisi.  Wie  in  diesem  Fresko  das 
Kind  sich  zur  Mutter  wendet,  sowie  Typik  und  Haltung  der  den  Thron 
umgebenden  Engel  weisen  unbestreitbar  auf  sienesische  Vorbildung  hin. 


Photogr.  Alinati. 

Abbildung  13. 
Cimabue,  Die  Madonna  mit  dem  Kinde  und  Engeln.    Assisi,  Unterkirche. 

(Siehe  Seite  20.) 


Auch  in  den  Madonnen  von  Giotto  erkennt  man,  gemäß  der  zeitlichen 
Entstehung,  wachsend  innere  Lebendigkeit.  In  feierlicher  Majestät  trägt  \ 
Maria  in  dem  Giotto  benannten  Bilde  in  der  Akademie  zu  Florenz  den 
segnenden  Knaben.  Die  Heiligen,  die  sich  um  den  Thron  gruppieren, 
besonders  die  beiden  Engel,  die  vorn  mit  Blumenvasen  knien,  erinnern 
sofort  an  Martinis  Fresko  in  Siena.  Auf  dem  Bilde  in  der  Sakristei  von 
Sankt  Peter  zu  Rom   steckt  das   Kindlein   den  Finger   in   den  Mund.     In 


22  * 


Photogr.    Alioari. 

Abbildung  14. 
Giotto,  Die  Jungfrau  mit  dem  Kinde  und  Engeln.  Florenz,  Akademie. 

(Siehe  Seite  21. ) 


*  23  * 

den  Gemälden  der  Akademie  zu  Bologna  und  der  Brera  zu  Mailand  läßt 
Giotto  den  Knaben  lebhaft  nach  der  Mutter  Schleier  fassen.  In  der  Ober- 
kirche zu  Assisi  schaut  der  kleine  Jesus  freudig  lächelnd  zu  Maria  empor. 
Spezialität  ist  bei  Giottos  Madonnen  mitunter  das  weiße,  um  das  Kinn 
gebundene  Kopftuch. 

Es  kann  nicht  geleugnet  werden,  daß  der  sonst  doch  epoche- 
machende Giotto  in  der  Geschichte  des  Bildes  der  heiligen  Mutter  mit 
dem  Kinde  nicht  die  gleiche  Stellung  einnimmt  wie  ein  Duccio  oder 
Simone  Martini.  Für  die  Ikonographie  der  Szenen  aus  dem  Marienleben 
schuf  Giotto  dagegen  in  den  Fresken  der  Arenakapelle  zu  Padua  Hoch- 
bedeutendes, nachhaltig  Wirkendes. 

Auf  einem  Lorenzetti-Madonnenbilde  in  der  Akademie  zu  Siena 
spielt  das  Jesuskind  zum  ersten  Male  mit  einem  kleinen  Vogel.  Dieses 
Motiv  hat  dann  dem  lange  Zeit  in  der  sienesischen  Provinz  arbeitenden 
Giotto-Schüler  Taddeo  Gaddi  (1300 — 1366)  außerordentlich  gefallen ;  er 
übernimmt  es  und  bringt  es  auf  seinen,  übrigens  in  keiner  Weise  einen 
Fortschritt  darstellenden  Marienbildern  in  San  Felicita  zu  Florenz,  San 
Giovanni  zu  Pistoja  und  San  Pietro  a  Megognano  bei  Poggibonsi. 
Agnolo  Gaddi  (1333 — 1396)  benutzt  es  in  San  Spirito  und  in  der 
Akademie  zu  Florenz.  In  einem  anderen  Bilde  Agnolos  ebendaselbst 
hält  das  Jesuskind  eine  Blume.  Daß  das  Christkind  Vögel,  Blumen  oder 
auch  Früchte  in  der  Hand  hält,  sind  demnach  bereits  aus  dem  Trecento 
stammende  Erfindungen,  die  in  der  späteren  Kunst  —  besonders  auch  bei 
deutschen  Meistern  —  allgemein  beliebt  werden.  Giovanni  da  Milano 
(geb.  1300)  gibt,  im  Anschluß  an  sienesische  Vorbilder,  den  Knaben  fast 
unbekleidet,  nur  mit  einem  Tuche  leicht  verhüllt.  Auf  der  Portal-Lünette 
von  San  Niccolo  in  Prato  wiederholt  ein  Künstler  eine  bereits  von  Giotto 
gebrachte  Nuance:  Der  kleine  Jesus  steckt  verlegen  den  Finger  in  den 
Mund. 

Verfall  der  sienesischen  Kunst. 

)m  XV.  Jahrhundert,  dem  Quattrocento,  ging  die  sienesische  Kunst 
einem  sicheren  Verfall  entgegen.  Ein  Sano  di  Pietro  mit  seiner 
quantitativ  äußerst  fruchtbaren  Madonnenmalerei  kann  hierfür  als 
trauriger  Beweis  gelten.  Aeußerliche,  süßliche  Empfindelei  ohne 
innere  Kraft  und  Wahrheit  sind  das  Merkmal  seiner  Kunst.  Die  Galerie  von 
Siena  besitzt  an  zwanzig  Marienbilder  von  ihm.  Das  Franziskanerkloster  all' 
Osservanza  bei  Siena  besitzt  in  seiner  Madonna  delle  grazie  eines  seiner 
relativ  besten  Werke.   Das  Kind,  das  außerdem  mit  dem  rechten  Händchen 


*  24  * 

einen  Apfel  festhält,  greift  mit  beiden  Armen  nach  der  Mutter  Brust.  Vier 
Engel  umstehen  den  Thron,  zwei  halten  schwebend  eine  Krone  über 
Marias  Haupt.  Madonnen  in  den  Gemeinden  Buonconvento  und  Sinalunga 
unweit  Siena  zählen  zu  seinen  besten  Stücken. 

Im  allgemeinen  ist  die  Qualität  der  sienesischen  Quattrocento- 
Madonnen  nicht  eine  derartige,  daß  sie  hier  eine  besondere  Erwähnung 
verdienten.  Am  ehesten  kann  noch  das  auf  einen  wunderbaren  Schnee- 
fall im  Sommer  bezügliche  Altarwerk  des  Matteo  di  Giovanni 
(1430—1475)  in  Santa  Maria  delle  Nevi  beanspruchen,  hier  genannt  zu 
werden.  Die  zahlreichen  Engel,  die  den  Thron  umschwärmen,  die  teils 
Schalen  voll  frisch  gefallenen  Schnees  halten,  teils  solche  voll  sorglich 
geformter  Schneeballen,  teils  einen  solchen  Schneeballen  wie  wurfbereit 
in  der  Hand  haben,  sowie  die  zwei  die  Thronlehne  schmückenden,  mit 
Schnee  gefüllten  Vasen  geben  diesem  Bilde  der  thronenden  Madonna  ein 
eigenartig  winterlich-romantisches  Gepräge. 

Florentiner  Maler. 

)ie  künstlerische  Oberherrschaft  Italiens  besaß  im  Quattrocento, 
fast  konkurrenzlos,  Florenz.  Zum  wenigsten  hatte  sich  diese 
Stadt  im  Laufe  dieses  Jahrhunderts  zur  unbestrittenen  Metropole 
für  toskanische  Kunst  emporgearbeitet.  Seitdem  die  im  Trecento 
so  mächtige,  in  der  Gestaltung  des  Marienbildes  damals  geradezu  führende 
Rivalin  Siena  ohnmächtig  darniederlag,  konnten  die  Florentiner  Quattrocento- 
Künstler  getrost  ernten,  was  die  sienesische  Trecentisten  gesäet  hatten.  In 
der  Tat!  Nicht  die  mehr  oder  minder  auf  sienesische  Einflüsse  ganz  ver- 
zichtenden Madonnenbilder  eines  Masolino  oder  Masaccio  —  zweier 
Männer,  deren  Schaffen  für  die  Kunstentwickelung  von  Florenz  im  übrigen 
von  höchster  Bedeutung  war  —  in  Bremen,  München,  Pisa,  sondern  die 
bewußt  sienesische  Kunstelemente  mit  florentinischen  verbindenden 
eines  Orcagna,  eines  Lorenzo  Monaco,  besonders  eines  Fra  Giovanni 
Angelico  da  Fiesole  bedeuten  einen  künstlerischen  Fortschritt  in  der 
Geschichte  des  Marienbildes.  Man  gedenke  der  Auffassung  der  heiligen 
Jungfrau  von  Seiten  Lorenzo  Monacos  und  Orcagnas  in  ihren  Werken 
in  den  Uffizien,  in  Or  San  Michele  und  in  dem  Paradiesesbilde  der 
Strozzikapelle  von  Santa  Maria  Novella. 

Man  bezeichnet  gerne  die  Bilder  des  Fra  Angelico  da  Fiesole 
(1387—1455)  als  »gemalte  Gebete".  Und  sicherlich!  Seine  Marienbilder  hat 
er  gleichsam  mit  in  Devotion  getauchtem  Pinsel  gemalt.  So  innerlich  tief 
empfundene,  zur  Andacht  stimmende  Madonnendarstellungen  konnten  nur 


25  * 


Photogr.  Alinari. 

Abbildung  15. 
Fra  Giovanni  Angelico  da  Fiesole,  Madonna  mit  dem  Kinde  und  Engeln. 

Perugia,  Pinakothek  Vaiinucci. 
(Siehe  Seite  24.) 


26 


einem  treuen  Diener  Mariens,  einem  ihrer  begeistertsten  Verehrer  gelingen. 
Des  Frate  früheste  Arbeiten  aus  Cortona  und  Perugia  beweisen  völlig 
seine   Sympathien   für   die  sienesische  Trecentokunst.    Auf  dem  Altarbild 

von  San  Domenico  zu  Cor- 
tona steht  der  Knabe,  mit 
dem  rechten  Händchen  seg- 
nend, auf  der  Mutter  Schoß. 
Der  kleine  Kopf  ist  dem 
zart  modellierten  Mariens 
zugewandt,  deren  sanfter 
Blick  voller  mütterlicher 
Freude  auf  dem  kleinen 
Jesus  ruht.  Vier  Engel  um- 
geben den  Thron,  einer  von 
ihnen  hält  einen  Blumen- 
korb. Auch  das  Jesuskind- 
chen trägt  in  der  linken 
Hand  eine  Rose.  Die  beiden 
Seiten  desTriptychonsbilden 
die  Heiligen  Markus  und 
Maria  Magdalena,  Johannes 
der  Täufer  und  Matthäus. 

Des  Dominikanerbruders 
zweites  Madonnenbild  aus 
San  Domenico  zu  Perugia, 
jetzt  in  der  Pinakothek  da- 
selbst, ist  diesem  ersten  in 
der  Auffassung  durchaus 
ähnlich.  Der  diesmal  fast 
unbekleidete,  reizvoll  lieb- 
liche Jesusknabe  hält  statt 
der  Rose  einen  Granatapfel. 
Die  zwei  vorderen  der  vier 
sich  eng  um  den  Thron 
schließenden  Engel  tragen 
Körbe  voller  Rosen.  Rote  und  weiße  Rosen  leuchten  aus  den  drei  Vasen, 
die  zu  Füßen  der  Madonna  stehen.  Die  Heiligen  Johannes  und  Katharina, 
Dominikus  und  Nikolaus  leisten  diesmal  der  hl.  Jungfrau  Gesellschaft. 

Im  Jahre  1433   malte   der   mittlerweile   in   das  Kloster   nach  Fiesole 
versetzte   Fra   Giovanni   Angelico    das    jetzt   in   den    Uffizien  zu    Florenz 


Photogr.  Alioari. 

Abbildung  16. 
Fra  Angelico,  Madonna  der  Linajuoli. 
Florenz,  Uffizien. 
(Siehe  Seite  27.) 


*  27  * 

befindliche  Altarwerk  für  die  Zunft  der  Linajuoli.  Das  Bild  trägt  mehr 
als  die  vorigen  den  Stempel  überirdischer  Feierlichkeit.  Maria  erscheint 
unnahbarer,  wesenloser.  Das  hagere,  ältliche  göttliche  Kind,  das  in 
priesterlicher  Kleidung  auf  dem  linken  Knie  der  Mutter  steht,  segnet 
mit  der  rechten  Hand  und  hält  in  der  linken  die  Weltkugel.  Zu  Mariens 
Häupten  schwebt  —  als  Taube  —  der  Heilige  Geist.  Den  Ruhm  dieses 
Bildes  machen  die  zwölf  musizierenden  Engel  auf  dem  Rande  der  Tafel 
aus,  die  himmlischsten,  ätherischsten  Engel,  die  wohl  der  bildenden  Kunst 
jemals  gelungen  sind.  Sankt  Johannes  und  Sankt  Markus  sind  auf  den 
inneren,  Sankt  Petrus  und  noch  einmal  Sankt  Markus  auf  den  äußeren 
Flächen  der  Seitenflügel  des  Altarwerks  angebracht. 

Die  miniaturenhafte  Madonna  della  Stella  auf  dem  Reliquienschrein 
des  Maso  —  jetzt  in  San  Marco  zu  Florenz  —  dürfte  ihre  Entstehung 
gleichfalls  dem  Aufenthalt  unseres  Mönches  in  San  Domenico  zu  Fiesole 
noch  verdanken.  Die  —  und  das  ist  in  der  Malerei  ein  Ausnahmsfall  — 
stehend  gegebene  Madonna  trägt  ihren  Knaben  auf  dem  linken  Arm. 
Dieser  sucht  mit  beiden  Aermchen  die  Mutter  zu  umschlingen  und 
drückt  Stirne  und  Näs'chen  fest  an  der  Mutter  Wange.  Zwei  auf  Harfen 
musizierende  Engel  sind  zu  Füßen  der  Madonna,  durch  eine  Vase  voller 
Blumen  getrennt,  gelagert,  sechs  weitere,  ihr  zur  Seite,  verehren  sie  betend. 
Ueber  ihrem  Haupte  schwebt  eine  Krone.  Oberhalb  derselben  —  und 
nun  kommt  des  Fra  Giovanni  symbolische  Art  zur  Geltung  —  blickt  aus 
einer  von  Seraphim  gebildeten  Mandorla  heraus  in  gereiftem  Mannesalter 
der  Erlöser  voller  Genugtuung  auf  Maria  herab,  wie  sie  ihn  als  Kind 
auf  den  Armen  trägt. 

Bedeutende  Darstellungen  der  von  Heiligen  umgebenen  Madonna 
von  unserem  Frate  fallen  dann  noch  in  die  Zeit  seines  ersten  (1436 — 45) 
und  zweiten  (1450 — 52)  Aufenthalts  in  San  Marco  zu  Florenz.  Zu  nennen 
wären  das  Hochaltarbild  von  San  Marco,  die  Madonna  von  Annalena 
und  Mugello  in  der  Akademie  und  das  Fresko  im  oberen  Korridor  von 
San  Marco.  Auf  dem  Hochaltarbild  von  San  Marco  umgeben  noch  dicht- 
gedrängt zahlreiche  Engel  den  Thron  der  Madonna,  auf  dem  Mugello- 
Bilde  nur  noch  zwei;  auf  den  anderen  Gemälden  sind  sie  ganz  weg- 
gelassen. Auf  dem  Hochaltarbild  stehen  zur  Rechten  des  Thrones  die 
Heiligen  Dominikus,  Franziskus  und  Petrus  Martyr,  zur  Linken:  Markus, 
Johannes  der  Evangelist  und  Stephanus.  Vorne  knien  die  Mediceer- 
Patrone  Cosimo  und  Damian.  Die  Madonna  von  Annalena  umstehen 
links:  Cosimo,  Damian  und  Petrus  Martyr,  rechts:  Franziskus,  Laurentius 
und  Johannes  der  Evangelist,  die  von  Mugello  rechts  Franziskus, 
Antonius    und    Ludwig,    links:     Petrus    Martyr,    Cosimo    und    Damian. 


28 


*  29  * 

In  dem  Fresko  von  San  Marco  sieht  man  zur  Rechten  der  heiligen  Jung- 
frau: Matthäus,  Thomas  von  Aquin,  Laurentius  und  Petrus  Martyr,  zur 
Linken:  Johannes  den  Evangelisten,  Cosimo,  Damian,  Dominikus. 

Fra  Angelico  hat  ersichtlich  in  seinen  letzten  Madonnendarstellungen 
sein  Interesse  von  den  Engeln  ab-  und  den  Heiligen  zugewandt.  Schon 
Cimabue  hatte  in  seiner  Madonna  al  fresco  in  der  Unterkirche  von  San 
Francesco  zu  Assisi  den  heiligen  Franziskus  als  Fürsprecher  für  die 
Menschen  am  Throne  der  mächtigsten  Fürbitterin  seiner  Komposition 
beigesellt.  Hieraus  entwickelten  sich  die  Darstellungen  der  sogenannten 
sacra  conversazione,  der  Heiligen  späterer  Jahrhunderte  am  Throne  der 
Mutter  des  Herrn.  Der  Dominikaner  von  San  Marco  befaßte  sich  zuerst 
eingehender  mit  solcher  Idee  und  brachte  sie  zu  künstlerisch  hoher  Ge- 
staltung. In  seinen  Frühwerken  zu  Cortona  und  Perugia  stehen  die 
Heiligen  noch  steif,  hölzern,  teilnahmlos  zu  seiten  der  Madonna.  Wirkungs- 
voll gruppiert  und  innerlich  belebt  agieren  sie  in  den  späteren  Gemälden. 
Ein  Reflektieren,  ein  Sich-Versenken  in  religiöse  Wahrheiten,  ein  Mitein- 
ander-in-Beziehungtreten,  ein  gegenseitiges  Austauschen  geistiger  Erfah- 
rungen spricht  nunmehr  aus  diesen  ausdrucksvollen  Heiligen-Physiogno- 
mien. Und  Maria  scheint  als  Schutzgeist  heiliger,  zu  Gott  führender 
Wissenschaft  in  der  Mitte  zu  thronen. 

Schon  die  Auffassung  und  Vervollkommnung  der  Madonnendar- 
stellung durch  Fra  Angelico  zeigt  diesen  Künstler  nicht  nur  als  den 
kindlich -gläubigen,  naiven  Mönch,  sondern  auch  als  den  geistig  tiefen, 
intelligenten  Mann  von  schwungvoller  Phantasie  und  gründlicher  Gelehr- 
samkeit. Eine  ganze  Reihe  noch  von  der  Quattrocento -Kunst  neu  ge- 
brachter Motive  dürften  nämlich  auf  die  Erfindung  resp.  Weiterbildung 
unseres  Frate  zurückgehen.  Daß  Vorhänge  hinter  dem  Throne  Mariens 
aufgezogen,  Teppiche  ausgebreitet,  Mauern  aufgeführt  oder  ein  Stück 
Natur,  Bäume  sichtbar  sind,  findet  sich  in  reicher  Abwechselung  zuerst 
auf  seinen  Werken.  Lebendig,  mannigfach  auch  sind  die  Beziehungen 
zwischen  Mutter  und  Kind.  Von  äußerster  Feinheit  und  Delikatesse  zeugt 
die  Modellierung  der  Köpfe  seiner  Madonnen.  (Vergl.  Walter  Rothes, 
Die  Darstellungen  des  Fra  Giovanni  Angelico  aus  dem  Leben  Christi 
und  Maria.  Ein  Beitrag  zur  Ikonographie  der  Kunst  des  Meisters.  Heitz, 
Straßburg  1902,  S.  43  ff.) 

Auf  den  Pfaden  des  Dominikaners  Fra  Angelico  wandelte  in  einigen 
seiner  Madonnendarstellungen  der  Karmeliterbruder  Filippo  Lippi 
(1406—1469).  In  einem  Zellenfresko  zu  San  Marco  gab  der  Domini- 
kaner Christi  Geburt,  indem  er  Maria  und  Joseph  das  neugeborene,  auf 
der  Erde  liegende  Kind  anbeten  ließ.     Hierzu  gesellten  sich  bei  späteren 


*  30  * 

Behandlungen  des  Gegenstandes  die  anbetenden  Hirten.  Indem  er   nun 

alles  auf  die  Weihenacht  speziell  Bezügliche  beiseite  ließ,  verarbeitete  der 

Karmeliter  die  Komposition  zu  einem  neuen  Marienbild.  Auf  einer  Tafel 


4»  """  *      a-,        / 


Abbildung  18. 
Fra  Filippo  Lippi,  Madonna  im  Walde.     Berlin,  Kaiser  Friedrich-Museum. 

(Siehe  Seite  30.) 


des  Fra  Filippo  im  Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin  liegt  das  Christ- 
kind im  Walde  auf  blumiger  Fläche.  Maria  betet  es  kniend  an.  Gott 
Vater  und  der  Heilige  Geist  schauen  von  oben  herab.  Einen  betenden 
Einsiedler  sieht  man  in  der  Ferne.  Filippo  Lippi  gab  auch  zuerst  den 
hier     sich    schüchtern     nahenden    Johannesknaben    dem    Jesuskinde    als 


*  31  * 

Spielgesellen  bei.  Reizvoll  ist  das  gleiche  Sujet  in  einem  Lippischen  Schul- 
bilde der  Pittigalerie  zu  Florenz  behandelt.  Außer  Maria  und  dem  kleinen 
Johannes   knien  anbetend  vier  Engel  um  das    in   zierlichem  Garten,   auf 


Abbildung  19. 
Fra  Filippo  Lippi,  Madonna.     Florenz,  Galerie  Pitli. 

(Siehe  Seite  32.) 


duftiger  Wiese  gebettete  Kind ;  ein  fünfter  streut  Rosen    über   das   holde 
Jesulein, 

Fra  Filippo  Lippi  war  aber  nicht  alle  Zeit  seines  Lebens  der  religiös 
empfindende  und  schaffende  Klosterbruder.  Es  kam  eine  Zeit,  in  der 
ihn  päpstlicher  Dispens  von  seinen  Ordensgelübden  entband  und  ihm 
Rückkehr  in  die  Welt  und  selbst  zur  Ehe  gestattete.  Und  diese  Wandlung 


*  32  * 

in  Filippos  Leben  sollte  auch  für  die  Geschichte  des  Marienbildes  einen 
wichtigen  Abschnitt  bedeuten.  Das  bekannte  Rundbild  im  Pittipalast  zu 
Florenz,    das  außerdem  Maria  Geburt   im  Hintergrunde   dargestellt   zeigt, 


Abbildung  20. 
Filippino  Lippi,  Maria  erscheint  dem  heiligen  Bernard.     Kirche  der  Badia  zu  Florenz. 

(Sielie  Seite  33  und  auf  der  letzten  Textseite  gelegentlich  der  Besprechung  der  „Erscheinungen  Maria"  erwähnt.) 


ist  hierfür  charakteristisch.  Nur  der  schwache  Nimbus  um  den  Häuptern 
erinnert  noch  an  Ueberirdisches.  Im  übrigen  sitzt  als  Madonna  in 
Tracht  und  Aussehen  eine  schlichte,  florentinische  Bürgersfrau  vor  uns. 
Sie  ist  Lukrezia  Boti,  Filippos  Ehegespons.  Und  auf  ihrem  Schöße 
strampelt  —  als  kleiner  Jesus  —  ganz  vergnügt  ihr  Söhnchen,  der  wenig 
schöne,  aber  recht  gesunde  kleine  Filippino. 


*  33  * 

Um  Mißverständnissen  vorzubeugen,  muß  jedoch  betont  werden, 
daß  der  von  Filippo  eingeführte,  von  späteren  Künstlern  oft  und  selbst 
von  einem  Raffael  teilweise  verwandte  „Realismus"  in  der  Madonnen- 
malerei von  jeder  Trivialität  der  Auffassung  unendlich  weit  entfernt  ist. 
Und  daß  hierdurch  das  „ideale"  Madonnenbild  nicht  verdrängt  wurde 
und  nicht  verdrängt  werden  sollte,  beweisen  uns  Werke  seiner  Schule 
und  seines  eigenen  Sohnes  Filippino  Lippi.  Die  schönste  Madonna 
des  letzteren  ist  jene  in  einem  Tabernakel  an  der  Via  S.  Margherita  in 
Prato.  Vor  einem  kostbaren  antiken  Sarkophage,  mit  einem  Blicke 
warmer  Liebe  auf  ihr  Kind  im  Arm,  das  segnet  und  die  Weltkugel 
trägt,  steht  Maria,  in  langer,  weißer  Umhüllung,  eine  ätherische  Gestalt. 
Aus  den  Hintergrund  verschleiernden,  weißen  Wolken  lugen  oben 
mit  gefaltenen  Händchen  eine  reizende  Reihe  kleiner  Englein  hervor. 
Die  Kirche  der  Badia  zu  Florenz  besitzt  ebenfalls  ein  Hauptwerk  des 
Meisters. 

Die  gefühlvollsten,  den  Beschauer  vielleicht  am  meisten  ergreifenden 
Madonnen  des  Quattrocento  malte  Sandro  Botticelli  (1446 — 1510). 
Man  läßt  ihn  aus  der  Filippo  Lippi-Schule  hervorgehen,  muß  aber  zu- 
geben, daß  er  im  Formalen  mehr  an  Verrocchio  erinnert.  Wie  für  Filippo 
Lippis  Madonnen  eine  Lukrezia,  soll  für  jene  Botticellis  eine  Simonetta 
Vorbild  gewesen  sein.  Und  diese  Simonetta  soll  den  Schwindsuchtskeim 
in  sich  getragen  haben.  Daraus  will  man  das  Schmächtige,  Aetherische 
erklären,  das  die  Madonnen  Botticellis  charakterisiert.  Hier  hat  man  denn 
doch  wohl  ohne  genügenden  Grund  stark  und  trivial  phantasiert.  Botti- 
celli war  keine  vor  Lebenslust  und  Sinnenfreude  übersprudelnde,  sondern 
im  Gegenteil  eher  eine  melancholische,  auf  jeden  Fall  tief  religiöse  Natur. 
Er  war  nahe  daran,  das  Ordensgewand  der  Dominikaner  zu  nehmen.  In 
späteren  Jahren  unter  dem  Eindruck  der  Bußpredigten  Savonarolas  steigerte 
sich  seine  Frömmigkeit  fast  bis  zur  fanatischen  Leidenschaft.  Am  Hofe 
der  Medici,  als  Freund  des  Lorenzo,  im  Verkehr  mit  dem  Dichter  Angelo 
Poliziano  glich  sein  Dasein  einem  poetischen  Traumleben.  Seine  Neigung 
zum  Schwärmerisch-Sentimentalen  konnte  ihn  aber  in  der  Madonnen- 
malerei nur  auf  die  Pfade  verweisen,  die  ein  ähnlicher  Träumer,  der 
Sienese  Simone  Martini,  vor  ihm  gewandelt  war. 

In  seinem  frühesten  Werk,  einer  Madonna  im  Spital  der  Innocenti 
in  Florenz,  hat  Botticelli  offenbar  an  ein  Gemälde  des  Filippo  Lippi  in 
den  Uffizien  angeknüpft.  Beide  Male  sehen  wir,  wie  ein  Engelknabe  den 
an  seiner  Mutter  heraufkletternden  kleinen  Jesus  hierbei  unterstützt.  Hier 
wie  auf  dem  Bilde  mit  dem  schönen  Rahmen  und  der  Unterschrift:  Ave 
Maria  gratia  plena  im  Palazzo  Corsini  zu  Florenz,   das  in   halber  Gestalt 

Rothes,  Madonna.  3 


*  34  * 

die  Mutter  mit  dem  Kind  auf  dem  Arm  zeigt,  wird  man  vielleicht   auch 
an  Verrocchios  Typisierung  gemahnt. 

In    den  folgenden   Werken  aber   hat   sich   Sandro  Botticelli    selber 


Photogr.  Verlag  J,  Löwy,  Wien. 

Abbildung  21. 
Sandro  Botticelli,  Madonna  aus  der  Casa  Canigiani.    Wien,  Akademie. 

(Siehe  Seite  35.1 


gefunden.  Und  in  seinen  Madonnen  spiegelt  sich  nur  noch  sein  ureigenstes 
melancholisches,  träumerisches  Wesen  wider.  Die  mater  dolorosa,  die 
schmerzerfüllte  Mutter,  deren  Seele  ein  Schwert  durchdringt,  die  alle  die 
Leiden,  die  das  göttliche  Kind  in  ihrem  Arm  später  erdulden  sollte,  im 
voraus  weiß  und  bereits  innerlich  miterlebt,  malt  uns  der  Meister  immer 


*  35  •* 

wieder.  So  umfaßt  sie  auf  dem  Bilde  im  Louvre  zu  Paris  wehmutsvoll 
sinnend  ihren  Knaben,  der  ihr  Trost  zuzusprechen  scheint.  Der  Johannes- 
knabe, der  das  tiefe  Sinnen  von  Mutter  und  Kind  noch  nicht  versteht, 
blickt  neugierig  zu  ihnen  auf. 

In  dem  Werk  im  Museo  Poldi  Pezzoli  zu  Mailand  sitzt  Maria  mit 
dem  kleinen  Jesus  vor  der  aufgeschlagenen  Heiligen  Schrift.  Das  Kind, 
um  dessen  linkes  Aermchen  sich  —  als  Leidenssymbol  —  die  Dornen- 
krone schlingt,  weist  mit  einem  Finger  auf  eine  Stelle  aus  den  Propheten 
und  blickt  zur  Mutter  empor,  als  wolle  es  sagen:  „Siehe,  all  dies  habe 
ich  dereinst  zu  leiden,  aber  ich  tue  es  gern  zum  Heile  des  Menschen- 
geschlechtes." Und  als  könne  sie  den  Inhalt  der  Worte  noch  nicht  voll 
erfassen,  blickt  Maria  auf  das  hehre  Buch  hernieder. 

Bei  des  Malers  Madonnen  in  Santa  Maria  Nuova  zu  Florenz  und 
im  Museum  zu  Neapel  blickt  die  Jungfrau  wehmütig  träumend  auf  das 
göttliche  Kleinod  in  ihrem  Arm.  Devot  umstehen  sie  reizvolle  jugendliche 
Engel  und  der  liebliche  kleine  Johannes. 

Durch  ihren  Symbolismus  interessant,  in  ihrer  Art  einzig  ist  die 
Mariendarstellung  in  der  Galerie  Chigi  zu  Rom.  Ein  bekränzter  Jüngling 
reicht  Aehren  und  Trauben  dar,  die  Zeichen  für  Brot  und  Wein.  Und 
das  Jesuskind  segnet  die  Gaben.  Das  letzte  Abendmahl,  die  unblutige 
Erneuerung  des  Opfers  auf  Golgatha,  die  heilige  Messe,  die  heilige 
Kommunion,  das  allerheiligste  Altarssakrament  sind  hier  vorbedeutet. 
Maria  blickt  in  geheimnisvollem  Staunen  auf  die  Gaben  nieder  und 
greift  nach  einer  Aehre. 

Auf  einem  Bilde  in  der  Nationalgalerie  zu  London  sehen  wir  wieder 
die  von  traurigen  Gedanken  gequälte,  in  eine  bange  Zukunft  blickende, 
sorgenvolle  Mutter,  ihr  liebes  Kind  innig  umfassend.  Wie  treuherzig 
blicken  die  Aeuglein  des  kleinen  Jesus,  der  sich  liebevoll  an  die  Mutter 
schmiegt,  zu  dieser  empor!  Nichts  läßt  der  Knabe  unversucht,  um  das 
betrübte  Mutterherz  zu  trösten. 

Eine  Steigerung  erfährt  das  hier  zum  Ausdruck  gebrachte  reiche 
Gefühl  noch  auf  der  Tafel  aus  der  Casa  Canigiani  in  der  Akademie  zu 
Wien.  Völlig  versunken  in  tiefem  Schmerz  preßt  hier  Maria  die  fieber- 
heiße Wange  an  des  geliebten  Kindes  Stirn.  Wahrhaft  rührend  ist  der 
mitleidende,  ängstliche  Blick,  mit  dem  diesmal  der  Kleine  die  innere  Qual 
der  Mutter  gewahrt.  Soeben  hatte  er  noch  harmlos  mit  den  beiden 
reizenden  Engelknaben  gespielt,  die  daneben  stehen.  Der  eine  verwahrt 
in  dem  zum  Schoß  gefaltenen  Gewand  schier  zahllose  prächtige  Rosen, 
von  welchen  Klein-Jesus  auch  etliche  erhielt.  Aber  kaum  hatte  er  den 
inneren  Schmerz  der  Mutter  wahrgenommen,   so  ist  er   hastig  zu    dieser 


*  36  * 


Photogr.  Alioari. 


Abbildung  22. 


Sandro  Botticelli,  Die  Jungfrau  Maria  mit  Jesus  und  Johannes. 
Florenz,  Galerie  Pitti. 

(Siehe  Seite  37.) 


*  37  * 

geeilt.  Zitternd  greift  Maria  nach  ihres  Lieblings  kleinen  Händen,  von 
welchen  sie  weiß,  daß  sie  einst  eiserne  Nägel  durchbohren  werden. 

Voll  sorgender  Mutterliebe  blickt  auch  auf  dem  Botticellibilde  in 
der  Gemäldegalerie  zu  Turin  Maria  auf  ihr  Kind,  dem  sie  gerade  die 
Brust  reicht.  Links  schaut  voll  sehnsüchtigen  Verlangens,  es  zu  herzen, 
der  kleine  Johannes  auf  das  Christkind.  Rechts  hat  sich  ein  Engel  ein- 
gefunden. 

Ein  ergreifendes  Idyll  malte  Botticelli  in  seiner  Madonna  del  Passeggio 
im  Pittipalast  zu  Florenz.  Der  in  einem  Blumengarten  mit  ihrem  Kinde 
wandelnden  Gottesmutter  ist  der  Johannisknabe  begegnet.  Maria  beugt 
sich  nieder  und  reicht  ihren  Knaben  dem  kleinen  Johannes  hin.  Dieser 
umschlingt  das  Jesulein  fast  heftig  mit  seinen  Aermchen  und  küßt  es 
inbrünstig  auf  die  Wange.  Tiefes  seelisches  Leiden  spricht  diesmal  nicht 
allein  aus  der  Mutter  Zügen,  sondern  auch  aus  jenen  des  Kindes  schon. 
Wie  willenlos  senkt  es  sein  Köpfchen  zu  dem  liebkosenden  Johannes  nieder. 
Mit  seinen  Händchen  streichelt  es  den  Johannesknaben,  dankbar  selbst 
dafür,  einen  Menschen  gefunden  zu  haben,  der  seine  Liebe  zur  Mensch- 
heit anerkennt,  diese  unermeßliche  grenzenlose  Liebe,  die  sich  blutig  am 
Holze  des  Kreuzes  aufopfert. 

Die  thronenden  Madonnen  des  Botticelli  konnten  natürlich  ihrer 
Bestimmung  gemäß  nicht  so  tief  tragisch  gestimmt  sein.  Eine  Neigung 
zur  Schwermut  verleugnen  aber  auch  sie  niemals,  die  in  bezug  auf  kom- 
positionelle  Motive  von  Fra  Angelico  ersichtlich  abhängig  sind.  Zwei 
Madonnen  mit  Heiligen  von  ihm  besitzt  die  Akademie  zu  Florenz.  Bei 
der  schlichter  aufgefaßten  umgeben  Johannes  der  Täufer  und  Maria 
Magdalena,  Franziskus  und  Katharina  den  Thron,  während  die  beiden 
Mediceer-Heiligen  Cosimo  und  Damian  vorn  knien;  bei  der  auf  prunk- 
vollerem Thron  erhöhten  stehen  vier  Engel  dem  Sitze  Mariens  zunächst: 
zwei,  welche  Leidenswerkzeuge  Christi,  Dornenkrone  und  Nägel  vorweisen, 
zwei,  welche  die  Vorhänge  des  Thronbaldachins  zu  beiden  Seiten  geöffnet 
halten.  Unterhalb  des  Thrones  sind  sechs  Heilige  postiert,  rechts:  Johannes 
der  Evangelist,  Ambrosius,  Barbara,  links:  Johannes  der  Täufer,  Augu- 
stinus, Michael. 

Eine  ansprechende  Komposition  ist  die  im  Kaiser-Friedrich-Museum 
zu  Berlin,  welche  die  Madonna  zwischen  den  beiden  Johannes  in  einer 
Gartenlaube  zeigt,  blätter-  und  blumenumrankt,  umgeben  von  Vasen  mit 
leuchtenden  Rosen.  Eine  andere  Madonna  Botticellis  ebendort  steht  auf- 
recht vor  ihrem  Thron.  Das  segnende  Kind,  das  sie  umfaßt,  hat  sie  auf 
die  rechte  Seitenlehne  des  Thronsessels  gestellt.  Ringsherum  halten  sieben 
mit  Rosen  bekränzte  Engel  in  mit  Blumen  geschmückten  Vasen  brennende 


*  38  * 

Kerzen.     Lobsingende  Engel   umschließen    eng  den   Thron   der  heiligen 
Jungfrau  in  einem  Bilde  der  Uffizien  zu  Florenz. 

Welche   entzückende   Engelsköpfe  dem   Pinsel   Botticellis   gelangen, 
erkennt    man     auch    in    seinen    sogenannten     Magnifikatbildern    in    den 


Abbildung  23. 

Sandro  Botticelli,  Magnificat.     Florenz,  Uffizien. 

(Siehe  Seite  38.) 

Uffizien  sowie  im  Louvre  zu  Paris.  Zwei  Engel  halten  über  Maria  eine 
Krone,  die  in  den  Strahlen  erglänzt,  die  von  dem  oben  in  Taubengestalt 
schwebenden  Heiligen  Geiste  ausgehen.  Drei  weitere  Engel  halten  ein 
Buch  aufgeschlagen,  in  welchem  die  Worte  des  Lobgesangs  Maria,  wie 
sie  der  Evangelist  Lukas  im  ersten  Kapitel  aufgeschrieben  hat,  zu  lesen 
sind.    Das  Jesukindlein  auf  der  Mutter  Schoß  weist  gerade  mit  der  Hand 


*  39  * 

auf  den  Text:  „Magnificat  anima  mea  Dominum"  und  wie  entgeistert,  mit 
in  weite  Fernen  schauendem,  seherischem  Blick  stimmt  es  den  Hymnus 
zu  Ehren  seiner  Mutter  an. 

Fra  Angelico,  Fra  Filippo  und  Botticelli  waren  die  bahnbrechendsten 
und  interessantesten  florentinischen  Maler  für  die  Geschichte  des  Marien- 
bildes. Unter  dem  Einflüsse  dieser  stehen  mehr  oder  weniger  sämtliche 
anderen  Florentiner  Meister.  Baldovinettis  (geb.  1427)  thronende  Ma- 
donnen sind  Nachahmungen  jener  des  Fra  Angelico.  Lorenzo  di  Credi 
(1459 — 1537),  der  aus  der  Schule  Verrocchios  (geb.  1435)  stammt,  hat  das 
Volle,  fast  zu  Ueppige  der  Körperlichkeit,  besonders  der  kleinen  Jesus  und 
Johannes,  sicher  von  diesem  Meister  entlehnt.  Aber  seine  Madonnen  sind 
völlig  abhängig  von  der  durch  Filippo  Lippi  neu  geschaffenen  Auffassung. 
Seine  beiden  Madonnen  in  Rom,  in  der  Galerie  Borghese  mit  dem  sich 
vor  dem  Jesulein  verneigenden  —  sehr  fetten  —  kleinen  Johannes,  in  der 
Galerie  des  Kapitols  mit  zwei  Engeln  gehören  zu  seinen  erfreulichsten 
Leistungen. 

In  London,  Paris,  Dresden  befinden  sich  weitere  Madonnen  von 
ihm.  Zu  London,  Paris,  Budapest,  Glasgow,  Modena  sind  ferner  solche, 
die  zwar  als  Verrocchio  bezeichnet,  aber  wohl  nur  aus  dessen  Werkstatt 
kamen  und  in  der  Hauptsache  eben  von  seinem  befähigtesten  Schüler 
Lorenzo  di  Credi  herrühren  werden.  Die  Marienbilder  des  Benozzo 
Gozzoli  (geb.  1420)  zu  Wien,  Cöln  und  Castel  Fiorentino  zeigen  diesen 
Meister  abhängig  von  Lippi  und  als  Schüler  Fra  Angelicos. 

Im  Rathaus  von  San  Gimignano  in  der  sienesischen  Provinz  malte 
der  dorthin  berufene  Ghirlandajo  (geb.  1449)  die  Mutter  Gottes  mit 
dem  Jesuskinde  auf  dem  Knie,  wie  dasselbe  den  von  einem  Engel  ge- 
haltenen Johannisknaben  liebkost.  Aus  des  Meisters  sienesischer  Zeit 
stammt  offenbar  auch  seine  „Madonna  in  der  Glorie",  mit  vier  sie  verehren- 
den Heiligen  zu  ihren  Füßen,  in  der  Pinakothek  zu  München.  Ghirlandajos 
thronende  Madonnen  mit  umgebenden  Engeln  und  Heiligen  dagegen  in 
den  Uffizien  und  in  der  Akademie  zu  Florenz  sowie  in  der  Kathedrale  zu 
Lucca  erscheinen  ersichtlich  von  der  Kunst  Fra  Angelicos  stark  beeinflußt. 

Von  zwei  thronenden  Madonnen  des  ebenfalls  zur  Arbeit  in  das 
Rathaus  nach  San  Gimignano  berufenen  Florentiners  Pier  Francesco 
(um  1480 — 1523)  sind  vor  der  einen  Thomas  von  Aquin  und  Justus 
kniend  gegeben;  die  andere  dagegen  umstehen  in  gewohnter  Weise 
Franziskus  und  Fina,  Johannes  der  Täufer  und  Gregorius.  Mit  diesem 
Künstler  darf  der  aus  Umbrien  stammende  Piero  della  Francesca 
(1423  — 1492)  nicht  verwechselt  werden,  der  seine  helle,  klare  Farbengebung 
Domenico  Veneziano   verdankt,  sich    im    Formalen    seiner   Madonnen  an 


*  40  * 

Fra  Angelico,  in  den  kompositioneilen  Motiven  an  Fra  Filippo  anlehnt. 
Sein  hervorragendes  Talent  für  fein  durchgearbeitete  Perspektive  und 
landschaftlichen  Hintergrund  kommt  auch  in  seinen  Marienbildern  wirk- 
sam   zur   Geltung,    besonders    prächtig    in   jenem    im    Louvre    zu   Paris. 


Florentiner  Bildhauer. 

|on  den  Florentiner  Malern  der  Frührenaissance  sind  in  bezug  auf 
die  künstlerische  Ausgestaltung  der  Madonnendarstellung  die 
Florentiner  Bildhauer  der  gleichen  Epoche  nicht  zu  trennen. 
Maler  und  Bildhauer  arbeiten  hier  zusammen.  Die  einen  ent- 
lehnen Motive  von  den  anderen  und  verarbeiten  dieselben.  So  war  die 
Kunst  des  Giovanni  Pisano  (1250 -  1320)  ohne  die  des  Guido,  des 
Duccio,  des  Giotto  nicht  möglich.  Des  Giovanni  Pisano  lebendige  und 
innige  Beziehungen  zwischen  Mutter  und  Kind  verratende  plastische 
Madonnen  im  Campo  Santo  zu  Pisa,  in  der  Kathedrale  zu  Prato  (siehe 
Bild)  und  in  der  Sakristei  der  Kathedrale  zu  Pisa  sind  durchaus  auf  der 
von  Guido  da  Siena  in  seiner  Madonna  von  San  Domenico  geschaffenen 
Grundlage  gearbeitet.  Ebenso  knüpften  die  della  Robbia  und  Donatello 
an  durch  Fra  Filippo  Lippi  gegebene  Motive  an.  Während  uns  selbst 
ein  hervorragender  sienesischer  Künstler  wie  Jacopo  della  Quercia 
(1371  —  1438)  auch  in  späterer  Zeit  noch  in  seiner  Arbeit  in  der  Sakristei 
der  Kathedrale  zu  Ferrara  ein  Werk  —  sowohl  was  die  heilige  Mutter  als 
auch  das  auf  ihrem  rechten  Knie  stehende  Kind  angeht  —  von  fast  steifer 
Bewegungslosigkeit  und  Feierlichkeit  gibt,  ist  der  unbekannte  Meister 
der  Pellegrinikapelle  wohl  einer  der  ersten,  welcher  der  schlichten, 
bewegten  Natürlichkeit  und  Anmut,  die  uns  an  den  Madonnen  der  della 
Robbia  und  des  Donatello  erfreuen,  vorgearbeitet  hat.  Seine  heilige  Jung- 
frau mit  dem  auf  ihrem  Schöße  so  sprechend  natürlich  gelagerten, 
schlummernden  Jesusknaben  im  Museum  des  Louvre  zu  Paris,  sowie  die 
dem  Meister  der  Pellegrinikapelle  ebenfalls  mit  vollem  Recht  zuzuschrei- 
bende im  South  Kensington-Museum  zu  London,  welche  Maria  und  den 
kleinen  Jesus  in  herzlicher  Umschlingung,  Wange  an  Wange  gelehnt 
zeigt,  seien  zur  Maßnahme  genannt. 

Luca  della  Robbia  (1400— 1482)  war  eine  Natur,  bei  der  so  recht 
Liebe  zur  Gottesmutter  sozusagen  den  Meißel  führte.  Nicht  nur  mit  offen- 


*  41   * 

barer  Freude  hat  er  das  Thema  häufig  behandelt,  auch  in  großer  Mannig- 
faltigkeit hat    er   es   verschiedenartig  gestaltet.     Das    Bronzerelief   an    der 


Abbildung  24. 
Madonna  mit  Kind  von  der  Kathedrale  in  Prato.     Von  Giov.  Pisano 

S.  20  aus  Venturi-Schreiber,  Die  Madonna.     Leipzig,  J.J.  Weber. 
(Siehe  Seite  40.) 

Sakristeitür  der  Kathedrale  zu  Florenz,  das  Maria  sitzend  gibt,  mit  dem 
segnenden  Kind  auf  dem  Schoß,  von  zwei  betenden  Engeln  umgeben, 
ist  eine  seiner  frühesten  Kompositionen.     In   vielen  seiner  Werke   war  es 


*  42  * 

dem  Luca  darum  zu  tun,  die  Göttlichkeit  des  Kindes  Jesu  demonstrativ 
zu  betonen.  Maria  ist  dann  nur  als  Hüterin  des  ihr  von  Gott  anvertrauten 
himmlischen  göttlichen  Kleinods  gedacht.  Maria,  die  mit  heiliger  Scheu 
das  Kind  zart  umfaßt  und  betrachtet  und  deren  Gewandung  durch  die 
antikisierende  vornehme  Linienführung  wirkt,  tritt  fast  in  den  Hintergrund 
gegenüber  dem  Gott  in  Kindergestalt,  der  entweder  feierlich  segnet 
(Madonnen  von  San  Pierino,  auf  dem  Wappen  der  Aerztezunft  in  Or  San 


Abbildung  25. 
Luca  della  Robbia,  Madonna  der  Via  dell'Agnolo.     Florenz,  Bargello. 

iSiehe  Seite  41.) 


Michele)  oder  ein  Schriftband  in  den  Händchen  ausgebreitet  hält,  worauf 
man  die  Worte  liest:  Ego  sum  lux  mundi  (Madonnen  von  Urbino  und 
im  Findelhaus  zu  Florenz). 

Das  Kind  der  von  zwei  Vasen  mit  Blumen  tragenden  Engeln  flankierten 
Madonna  von  der  Via  dell'agnolo  (Florenz,  Palazzo  Bargello,  jetzt  Museo 
Nazionale)  segnet  nicht  nur  mit  der  Rechten,  sondern  trägt  außerdem 
noch  die  Spruchrolle  mit  der  genannten,  die  allmächtige  Gottheit  bezeugen- 
den Inschrift  in  der  Linken. 

Eine  Erfindung  des  Luca  dürfte  das  häufig  von  ihm  gegebene, 
eigenartige  Motiv  sein,  daß  er  Maria  hinter  einer  Rampe,  gleichsam 
stehend,  nur  in  halber  Gestalt  sichtbar  gibt,  während  der  Jesusknabe  auf 
eben  dieser  Rampe,  auf  der  Brüstung,  mit  beiden  Füßchen  steht. 


43 


Eine  gemalte  Poesie  ist  des  Meisters  „Jungfrau  im  Rosenhain"  im 
Museo  Nazionale  zu  Florenz.  In  der  linken  Hand  hält  der  kleine  Jesus 
einen  Apfel,  mit  der  rechten  greift  er,  freudig  bewegt,  nach  einer  Blüte  der 
umgebenden  Rosenstöcke.  Ganz  ähnlich  greift  das  göttliche  Kind  —  in 
der  Sammlung  Liechtenstein  zu  Wien  —  nach  einer  Lilie,  deren  Stengel 
sich  ihm,  zuvorkommend  gleichsam,  entgegenneigt. 

Von  bestrickendem  Reiz  sind  die  beiden  sogenannten  Madonnen 
dell'  Impruneta.  An  der  Mutter  Brust  gelehnt,  gibt  sich  hier  das 
Kind  ahnungslos  erquickendem 
Schlummer  hin.  Auch  im  South 
Kensington -Museum  zu  London 
ist  der  auf  der  Mutter  Schoß  weich 
gebettete  Kleine  gerade  im  Be- 
griff einzuschlafen. 

Zwei  weitere  reizvolle  Kompo- 
sitionen Lucas  besitzt  das  Museo 
Nazionale  zu  Florenz.  In  der  einen 
Darstellung  umfaßt  der  diesmal 
sehr  kräftig  und  gesund  gegebene 
Knabe  mit  beiden  Händchen 
krampfhaft  einen  Apfel.  Das 
Köpfchen  ruht  an  Mariens  Kinn. 
Und  die  Aeuglein  blicken  halb 
schalkhaft,  halb  ängstlich  in  die 
Ferne,  ob  nur  keiner  komme,  den 
sorgsam  gehüteten  Apfel  zu  rauben. 
Das  andere  Bildwerk,  die  „Jung- 
frau mit  dem  Kinde  im  Wickel- 
kleid" zeigt  uns  Maria  und  das 
Jesulein  in  herzlichster  Um- 
armung. Entzückend  ist  das  gegenseitige  Liebesgefühl  ausgedrückt.  Das 
anmutige,  sanfte  Gesicht  der  Madonna,  das  runde,  vollwangige  Köpfchen 
des  Knaben  sind  trefflich  modelliert. 

Mit  der  rechten  Hand  das  Gewand  der  Mutter  fassend,  in  der  linken 
einen  Apfel,  so  erscheint  uns  das  Kind  der  Madonna  aus  der  Sammlung 
des  Marquis  Carlo  Viviani  della  Robbia. 

Als  Beweis  dafür,  wie  bei  den  Madonnen  Lucas  mit  der  Zeit  an 
Stelle  des  Hieratisch-Feierlichen  immer  mehr  ein  Familiär-Intimes  tritt, 
mögen  die  wertvollen  Stücke  des  Meisters  im  Kaiser-Friedrich-Museum 
zu  Berlin  gelten.     Bald  liebkost  der  Kleine  die  Mutter,   bald    faßt  er  sie, 


Abbildung  26. 

Luca  della  Robbia,  Jungfrau  im  Rosenhain. 

Florenz,  Museo  Nazionale. 


(Siehe  Seite  43. i 


#  44  * 

schalkhaft  spielend,  mit  beiden  Händchen  am  Gewand;  dann  umhalst  er 
die  Mutter  traut,  dann  steckt  er,  kindlich  verlegen,  den  Finger  in  den 
Mund.  Die  im  Ausdruck  familiärer  Zwanglosigkeit  am  weitesten  gehende 
Madonna  ist  jene  zwischen  den  zwei  betenden  Engeln,  die  den  Kleinen 
unter  dem  linken  Aermchen  kitzelt,  worauf  er  in  natürlicher  Reflex- 
bewegung mit  beiden  Beinchen  mächtig  strampelt. 

Sind  so,  gleichsam  auf  den  Spuren  Filippo  Lippis,  die  Madonnen 
des  Luca  della  Robbia  aus  Verkörperungen  der  sublimen  Idee  von  der 
Menschwerdung  Gottes  durch  Maria  die  Jungfrau,  allmählich  schlichte 
Schilderungen  trauten  Familienglücks  geworden,  so  ging  sein  Neffe  Andrea 
della  Robbia  (1435 — 1525)  wieder  zur  Verbildlichung  des  göttlichen 
Geheimnisses  zurück.  Doch  auch  er  knüpfte  hierbei  an  ein  von  Fra  Filippo 
beliebtes  Motiv  an.  Das  göttliche  Kind  liegt  —  auf  kleiner  Erhöhung  — 
auf  dem  Boden.  Maria  ist  vor  demselben  niedergekniet  und  betet  es  an. 
Durchgängig  ist  ein  Schwärm  von  Engeln  —  meist  in  halber  Gestalt 
gegeben  oder  auch  nur  als  beflügelte  Köpfchen  —  Zeuge  der  Anbetung 
des  Gotteskindes  durch  die  Mutter.  Häufig  erscheint  Gott  Vater,  mitunter 
auch  der  Heilige  Geist,  in  Gestalt  der  Taube,  zugegen.  Die  hohe  Würde 
Mariens  ist  zuweilen  dadurch  betont,  daß  von  Engelshänden  eine  Krone 
über  der  heiligen  Jungfrau  Haupt  gehalten  wird.  Engel  halten  vielfach 
ferner  ein  Spruchband,  das  außer  der  Inschrift  Gloria  in  Excelsis  Deo 
auch  die  betreffenden  Noten  für  die  Gesangmelodie  enthält. 

Als  derartige  bedeutendste  Kompositionen  des  Andrea  della  Robbia 
seien  nun  genannt  jene  mit  der  Unterschrift:  „Verbum  caro  factum  est  de 
Virgine  Maria"  im  Casentino  zu  Venia,  drei  kleinere  im  Museo  Nazionale 
zu  Florenz,  eine  im  Musee  de  Cluny  zu  Paris,  eine  in  der  Sammlung 
Fould  ebenfalls  in  der  französischen  Hauptstadt. 

Zumal  diese  letzte  Madonna  weist  in  der  Modellierung  stilistische 
Eigentümlichkeiten  auf,  die  keinen  Augenblick  darüber  im  Zweifel  lassen, 
daß  Andrea,  wie  das  auch  natürlich  ist,  in  der  Werkstatt  seines  Onkels  von 
diesem  viel  gelernt  hat.  Bei  zahlreichen  Wiedergaben  der  Madonna  sind 
auch  die  Motive  die  von  Luca  vorher  verwandten.  So  läßt  auch  er 
gelegentlich  das  Kind  auf  einer  Brüstung  vor  Maria  stehen,  z.  B.  in  dem 
Tympanonrelief  jetzt  im  Dommuseum  zu  Florenz.  In  sehr  vielen  seiner  Arbeiten 
hat,  wie  bei  Luca,  der  Kleine  den  Finger  im  Mund.  Eine  eigenartige  Nuance 
des  Andrea  ist  die,  daß  er,  wenn  Gott  Vater  und  der  Heilige  Geist  in  der 
Darstellung  zugegen  sind,  die  Anwesenheit  des  ersteren  nur  durch  seine  zwei, 
wie  wohlgefällig  hinweisend  ausgebreiteten  Hände  kundgibt.  Man  beachte 
dies  betreffend  des  Meisters  „Heilige  Jungfrau  der  Architektenzunft"  im  Museo 
Nazionale  (Pal.  Bargello)  zu  Florenz  und  seine  Madonna  von  Bertello. 


*  45  * 


Photogr.  Alinari. 

Abbildung  27. 
Andrea  della  Robbia,  Die  Madonna  der  Architekten.     (Konsole  von  Francesco   di  Simone. 

Florenz,  Bargello. 

(Siehe  Seite  44.) 


*  46  * 

Zuweilen  sind  Andreas  Madonnen  von  Heiligen  umgeben,  von 
zweien:  am  Portal  des  Domes  von  Prato  und  auf  dem  Campo  Santo  zu 
Arezzo,  von  vieren:  auf  dem  Altarwerke  von  Gradara,  von  sechsen:  auf 
jenem  der  Mediceerkapelle  in  Santa  Croce  zu  Florenz.  Namentlich  die 
letztere  Arbeit  mit  den  frei  gruppierten,  innerlich  bewegten,  umgebenden 
Heiligen  läßt  die  Beeinflussung  durch  Fra  Angelico  ganz  deutlich  erkennen. 

Engel  fehlen  fast  niemals  in  Andreas  Arbeiten.  Geflügelte  Seraphim- 
köpfchen, Girlanden  und  Blumen  schmücken  auch  meistens  den  Rahmen. 

Als  selbständigste,  von  Lehrmeistern  und  Vorbildern  losgelösteste 
Gruppe  kann  wohl  die  der  folgenden,  in  der  letzten  Lebensperiode  des 
Meisters  ausgeführten  Werke  gelten:  „Heil.  Jungfrau  mit  dem  Kissen" 
(Museo  Nazionale);  „Maria  mit  Kind"  im  Hospital  von  Santa  Maria 
Nuova  zu  Florenz  und  im  Rathause  von  Stia,  wo  beidesmal  der  kleine 
Jesus  ein  Vögelchen  in  der  Rechten  hält;  Tympanon  am  Portal  der 
Kathedrale  von  Pistoia  mit  vier  Engeln;  Tympanon  am  Hauptportal  der 
Kirche  der  Madonna  della  Quercia  zu  Viterbo,  wo  Maria  von  zwei 
Heiligen  umgeben  ist  und  von  zwei  Engeln  gekrönt  wird.  Ebenfalls  von 
zwei  Engeln  gekrönt  und  von  vier  Heiligen  umgeben  wird  die  Madonna 
auf  den  Altarwerken  der  Antoniuskapelle  in  Camaldoli  und  der  Kirche 
von  Verna.  Die  devotioneile  Stimmung,  welche  diese  beiden  letzten 
thronenden  Madonnen  beherrscht,  hat  der  Künstler  durch  Unterschriften 
verstärkt.  Die  unter  der  einen  Arbeit  lautet:  Ave  Maria  gratia  plena,  die 
unter  der  anderen :  Sub  tuum  praesidium  confugimus,  sancta  Dei  genitrix. 
Die  Mutter  Gottes  zwischen  den  Heiligen  Dominikus  und  Jakobus  im 
Tympanon  der  Kirche  von  Ripoli  bei  Florenz  gehört  ebenfalls  zu  den 
besten,  namentlich  im  Gesichtsausdruck  der  beiden  Heiligen,  durch- 
geistigtsten Schöpfungen  des  Meisters. 

Andrea  della  Robbia  führte  ein  sehr  glückliches  Familienleben.  Sieben 
Knaben,  die  ihm  sein  Weib  gebar,  belebten  das  Heim.  Alle  wurden 
religiös  erzogen  und  zur  Kunstbetätigung  angeleitet;  zwei,  Marco  und 
Paolo,  traten  in  den  Dominikanerorden  ein.  Dem  Giovanni  allein  ge- 
lang es  noch  in  der  vom  Vater  und  dessen  Onkel  betriebenen  Kunst 
einigermaßen  berühmt  zu  werden.  Giovanni  della  Robbia  (um 
1480—1523)  bildet  gleichsam  das  letzte  nennenswerte  Glied  in  der 
Künstlerkette  der  della  Robbia.  Ohne  jede  Originalität  klingt  in  seinen 
Madonnen  nur  die  Art  seiner  Vorfahren  leise  verhallend  aus.  Es  genügt 
daher,  seine  bedeutendsten  Arbeiten  kurz  zu  verzeichnen:  Maria  und  Kind 
zwischen  zwei  betenden  Engeln  auf  den  Lavabos  in  San  Niccolo  da 
Tolentino  zu  Prato  und  in  der  Sakristei  von  Santa  Maria  Novella  zu 
Florenz,  Madonna  mit  vier  Heiligen,   von   zwei    Engeln   gekrönt,   in   San 


*  47  * 

Giacomo  zu  Gallicano;  mit  Heiligen  und  Engeln  in  der  Kathedrale  zu 
Arezzo;  in  Santa  Croce  zu  Florenz;  in  San  Medardo  zu  Arcevia;  das 
Tabernakel  delle  Fonticine  in  der  Via  Nazionale  zu  Florenz;  eine  Madonna 
im  Palazzo  des  Marchese  Vieri-Canigiani;  zwei  im  Palazzo  Vincigliata, 
ebenfalls  zu  Florenz. 

Als  eine  Arbeit  der  della  Robbia-Werkstatt  im  allerengsten  Sinne 
muß  auch  das  Tympanonrelief  der  Badia  zu  Florenz,  eine  anmutige 
Maria  mit  Kind  und  zwei  verehrenden  Engeln,  von  der  Hand  des  Bene- 
detto  Buglioni  gelten. 


Photogr.  AliDari. 


Abbildung  28. 
Donatello,  Die  Anerkennung  des  Kindes.  Bronzerelief  in  der  Basilika  di  S.  Antonio,  Padua. 

i  Siehe  Seite  48.) 


Donatello  (1386 — 1466),  der  andere  große  Florentiner  Plastiker 
des  Quattrocento,  kommt  in  vielen  seiner  Madonnen  der  Auffassung  des 
Luca  della  Robbia  sehr  nahe.  Man  braucht  deswegen  nicht  an  gegenseitige 
Beeinflussung  zu  denken.  Weit  wahrscheinlicher  ist,  daß  beide  für  einen 
großen  Teil  ihrer  Bildwerke  aus  derselben  Quelle  schöpften.  Beide  Meister 
arbeiteten  eine  Zeitlang  in  Siena.  Hier  lernten  sie  an  den  Bildern  der 
Trecentomaler  den  Ausdruck  weicher,  sehnender  Empfindung  kennen. 
Sie  nahmen  wahr,  daß  er  für  die  Madonnen-Wiedergabe  außerordentlich 
passend  war  und  suchten  das  hier  Gelernte,  soweit  es  die  schwerer  hand- 
liche Materie  gestattete,   in  der  Bildhauerkunst  zu  verwerten.     Donatellos 


48 


Wiedergaben  der  heiligen  Mutter  mit  dem  Kind  im  Arm  an  den  Grab- 
mälern  Johanns  des  XXIII.  im  Baptisterium  zu  Florenz  und  des  Raynaldo 
Brancacci  in  San  Angelo  a  Nilo  zu  Neapel  zeigen  noch  am  ehesten 
klassische  Ruhe  und  Feierlichkeit. 

Bald  aber   wird   kraft   sienesischer   Einflüsse    lyrisches  Gefühlsleben 
vorherrschend.     In  dem  Marmorrelief  aus  der  Casa  Pazzi  zu  Florenz,  jetzt 

im  Berliner  Museum,  hat 
Jesus  sein  Köpfchen  fest  an 
die  Mutter  gepreßt.  In  einem 
ansprechenden  Bronzerelief 
ebenda  faltet  der  kleine 
Christus  selbst  seiner  Mutter 
die  Hände  zum  Gebet.  In 
einem  Straßentabernakel  am 
Albergo  di  Londra  zu  Verona 
und  im  Louvre  zu  Paris 
drückt  Maria  das  Kind  voll 
heißer  Inbrunst  an  Herz  und 
Wange.  Im  South  Kensing- 
ton-Museum zu  London  be- 
tet die  heilige  Jungfrau  das 
diesmal  ganz  gewickelte 
Kind  auf  ihrem  Schöße  an. 
Voller  Mutterfreude  betrach- 
tet sie  dasselbe  in  einem 
Stuckrelief  des  Berliner  Mu- 
seums; in  botticellesker 
Traumverlorenheit  neigt  sie 
jedoch  schwermütig  ihren 
Kopf  zu  ihm  herab  in 
einem  weiteren  Marmor- 
relief ebenda. 

Klassisch  -  ruhig  durch 
diegemessene,antikisierende 
Linienführung,  aber  doch  zugleich  durch  die  intime  Umarmung  von  Mutter 
und  Kind  überaus  herzlich  wirkt  das  Madonnenbildnis  in  der  Hintergrunds- 
architektur des  Bronzereliefs  „Anerkennung  des  Kindes"  am  Hochaltar  des 
Santo  zu  Padua. 

Gelegentlich   fügt  Donatello   seiner  Komposition    auch  Engel    hinzu 
und  gestaltet  sie  dadurch  besonders  lebendig  und  freundlich.    Diesbezüglich 


Abbildung  29. 

Michelangelo  Buonarroti,  Madonna  an  der  Treppe 

der  Casa  Buonarroti  zu  Florenz. 

(Siehe  Seite  50.) 


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*  49  * 

seien  genannt  das  Marmortabernakel  der  Medicikapelle  bei  Santa  Croce 
zu  Florenz;  Bronzemedaillons  im  Louvre  zu  Paris  und  in  der  Sammlung 
Hainauer  zu  Berlin,  sowie 
die  von  zwei  betenden 
und  zwei  musizierenden 
Engeln  umgebene  Ma- 
donna im  Besitz  von 
WernerWeisbach,  ebenda. 
Die  Madonnen  der 
übrigen  Florentiner  Pla- 
stiker des  Quattrocento 
sind  wohl  alle  mehr 
oder  minder  künstlerisch 
abhängig  von  Donatello 
oder  den  della  Robbia. 
In  Rosselinos  Arbeiten 
—  z.  B.  im  South  Kensing- 
ton-Museum zu  London 
und  in  der  Sammlung 
von  Gustav  Dreyfuß  zu 
Paris  —  sind  die  Züge 
der  Madonna  stets  durch 
ein  freudiges  Lächeln  ver- 
klärt; das  Jesukind  er- 
scheint ebenso  meist  heiter 
gestimmt.  Des  Mino  da 
Fiesole  Madonna  im 
Museo  Nazionale  zu  Flo- 
renz erfreut  durch  die 
überaus  duftige,  zarte 
Modellierung,  besonders 
der  Halspartie  und  des 
Schleiers  um  Hinterkopf 
und  Hals.  Im  Gegensatz 
hierzu  erscheinen  die  Au- 
genlider zu  massig  und 
wirken  schwerfällig.  Breit 
und  ohne  zu  detaillieren 


Abbildung  31. 

Michelangelo  Buonarroti,  Madonna  in  der 

Liebfrauenkirche  zu  Brügge. 

i  Siehe  Seite  50.) 


erscheint    der   grobkörnige    Marmor    modelliert    bei     Benedettos    da 
Maiano   Madonna   in   der  Kathedrale  zu  Prato.    An  Matteo  Civitalis 


Rothes,  Madonna. 


*  50  * 

Mater  nutriens  in  der  Dreifaltigkeitskirche  zu  Lucca,  bei  der  ebenfalls  auf 
feinere  Nuancierung  verzichtet  wurde,  stört  das  zu  volle,  massige  Kinn  und 
der  zu  breite  Mund  Mariens. 

Später  fallen  dann  die  Madonnen  von  Michelangelo  Buonarroti 

(1475—1564),  jene  im  Medaillon  im  Museo  Nazionale  und  die  sog.  „an 
der  Treppe"  in  der  Sammlung  Buonarroti  in  Florenz  durch  ihre  kraftvollen, 
fast  männlichen  Formen  auf.  Demgegenüber  gelang  es  demselben  großen 
Meister  doch,  in  seiner  heiligen  Jungfrau  der  Liebfrauenkirche  zu  Brügge 
ein  Werk  reizvollster,  weiblicher  Anmut  zu  schaffen.  An  machtvollem 
Ausdruck,  starken,  ja  stürmischen  Empfindens  wird  die  marmorne  Madonna 
in  der  Grabkapelle  der  Mediceer  in  San  Lorenzo  zu  Florenz  allerdings 
von  keiner  der  früheren  annähernd  erreicht. 


Paduas  Meister. 

|er  weitgehende,  künstlerische  Einfluß,  den  Florenz  ausübte,  war 
zumal  im  fünfzehnten  Jahrhundert  in  ganz  Italien  zu  spüren. 
Padua  und  Venedig  blieben  hiervon  nicht  unberührt.  Paduas 
größter  Künstler,  Andrea  Mantegna  (1431  —  1506),  der  seiner- 
seits wieder  für  die  venezianische  Kunst  sehr  maßgebend  war,  lernte  an 
Werken  Donatellos,  die  Padua  besaß.  Hierdurch  erhielt  die  durch  Squar- 
ciones  Kreis  in  Padua  bereits  vorhandene  antikisierende  Richtung  noch 
Verstärkung.  Dieses  Wiedererwachen  der  Antike  in  der  Renaissance-Kunst, 
das  auch  durch  die  Paduaner  Universität  mächtig  gefördert  wurde,  ist  in 
Mantegnas  gemalten  Verherrlichungen  der  Mutter  Gottes  meist  erkenntlich. 
Das  architektonische  Beiwerk  seiner  gewöhnlich  thronenden  Madonnen, 
die  hierbei  verwandten  Säulen  mit  den  korinthischen  Kapitalen  und  Reliefs 
mit  mythologischem  Inhalt,  die  üppige  Ornamentierung,  Girlanden, 
Früchte,  die  so  zahlreichen,  kleinen  Engelsputten,  gleichsam  wiederauf- 
erstandene Eroten,  Liebesgötter  des  Altertums,  sind  charakteristisch  für 
seine  Bilder. 

Das  prächtige  Altarwerk  in  San  Zeno  zu  Verona,  eine  der  glänzend- 
sten künstlerischen  Schöpfungen  zu  Ehren  der  heiligen  Jungfrau,  die  exi- 
stieren, gibt  den  überführendsten  Beweis  für  das  Gesagte.  „Maria  mit  dem 
Kind"  im  Kaiser- Friedrich -Museum  zu  Berlin  zeigt  auf  dem  Rahmen 
Putten  mit  den  Leidenswerkzeugen  Christi.  Dieser  hier  von  Mantegna 
betätigte  Symbolismus  ist  wohl  durch  die  Bekanntschaft  mit  Fra  Angelicos 
gleicher  Art  veranlaßt.  Scheinbar  zahllose  Engelsköpfe  lobsingen  der 
Jungfrau  auf  dem  Gemälde  in  der  Brera  zu  Mailand.     Dieses  musikalische 


51 


Abbildung  32. 
Andrea  Mantegna,  Madonna  della  Vittoria. 
(Siehe  Seite  52.) 


Paris,  Louvre. 


*  52  * 

Element  stammt  aus  Siena.  Maria  mit  dem  kleinen  Jesus  und  Johannes 
sowie  dem  heiligen  Joseph  und  der  Base  Elisabeth  stellt  eine  in  bezug 
auf  das  Physiognomische  recht  ausdrucksvolle  Komposition  in  der  Galerie 
zu  Dresden  dar. 

Verwandt  in  Auffassung  und  Stil  mit  diesem  Original  des  Meisters 
sind  Schulbilder  im  Museo  civico  zu  Verona  und  in  der  Galerie  zu  Turin. 

Ganz  von  der  Hand  Mantegnas  sind  wieder  „Maria  mit  Kind  in 
einer  Landschaft"  in  den  Uffizien  zu  Florenz,  die  Mutter  und  Kind  in 
liebevollstem  Verein  gebenden  Bilder  in  der  Galerie  zu  Bergamo  und  im 
Museo  Poldi  Pezzoli  zu  Mailand  sowie  der  Kupferstich  B.  8. 

Die  in  einer  Rosenlaube  hoch  thronende  Madonna  della  Vittoria  im 
Louvre  zu  Paris  ist  von  vier  stehenden  und  zwei  knienden  Heiligen  um- 
geben. Der  zu  Jesus  aufblickende  kleine  Johannes  steht  auf  des  Thrones 
breitem,  hohem  Fußgestell,  das  als  Relief  Adam  und  Eva  und  den  Sünden- 
fall zeigt.  Den  gleichen  symbolistischen  Hinweis  hat  wieder  Fra  Angelico 
vor  Mantegna  in  seinen  Verkündigungsbildern  oft  gebraucht.  Der  pro- 
phetische Zusammenhang  zwischen  der  alten  Eva,  die  der  Verführung 
der  Schlange  erliegt,  und  der  „neuen  Eva",  Maria,  die  der  Schlange  den 
Kopf  zertritt,  sollte  künstlerisch  notifiziert  werden.  Diese  treffliche  Kom- 
position Mantegnas  wird  an  glänzender  Wirkung  von  desselben  Malers 
„Madonna  in  der  Glorie  nebst  vier  Heiligen"  in  der  Sammlung  des  Marchese 
Trivulzi  zu  Mailand  und  jener  mit  dem  heiligen  Johannes  dem  Täufer  und 
Maria  Magdalena  in  der  Nationalgalerie  zu  London  nicht  erreicht. 


Venezianische  Kunst. 

ijerhältnismäßig  spät  gelangte  Venedig  zur  künstlerischen  Blüte. 
Die  nahen  Beziehungen  Venedigs  zu  Byzanz  erklären  das  lange 
Festhalten  der  Lagunenstadt  an  byzantinischer  Starrheit.  Der 
Umbrier  Gentile  da  Fabriano  (um  1360 — 1428)  führte  wohl 
zuerst  vom  Byzantinismus  losgelöste  sienesisch-umbrische  Elemente  ein; 
etwas  Anmutiges  und  Seelisch-Bewegtes  hielt  durch  diesen  fremden  Künstler 
in  der  venezianischen  Kunst  Einzug.  Der  Boden  war  geebnet,  auf  dem 
sich  die  beiden  ältesten  Malerschulen  Venedigs  entwickeln  konnten, 
die  muranesische  und  die  der  Bellini. 

Giovanni  und  Antonio  di  Murano  sind  deutscher  Abstammung; 
so  unterzeichnet  sich  der  erstere  gelegentlich  als  Johannes  Alamanus. 
Aus  dem  Jahre  1446  stammt  das  Altarwerk  der  beiden  Brüder  --  jetzt 
in  der  Akademie  zu  Venedig  — ,  das  die  heilige  Jungfrau  mit  dem  Kind 


*  53  * 

auf  prächtig  geschnitztem  Thron  in  venezianischer  Gartenanlage  zeigt. 
Sinn  für  Anmut  und  Kolorit  streitet  gleichsam  noch  mit  der  byzantinischen 
Ueberlieferung.  Dieselbe  beherrscht  auch  noch  die  Tafel  eines  jüngeren 
Muranesen,  Bartolommeo  Vivarini,  aus  dem  Jahre  1464,  welche  die 
Gottesmutter  mit  dem  schlafenden  Knaben  auf  dem  Schoß,  umgeben 
von  vier  Heiligen,  ebenda,  darstellt. 


Abbildung  33. 

Luigi  Vivarini,  Madonna. 

Venedig,  Sakristei  der  Redentorekirche. 

(Siehe  Seite  53.) 


Erst  der  noch  jüngere  Luigi  Vivarini  hat  mit  Byzanz  völlig  ge- 
brochen. Die  sechs  Heiligen,  die  seine  vor  einem  Vorhang  thronende 
Madonna  umgeben,  erscheinen  nicht  nur  selbst  seelisch  erregt,  sondern 
stehen  auch  mit  dieser  in  psychologischem  Zusammenhang.  Auf  einem 
anderen  Bilde  dieses  Künstlers  in  der  Sakristei  der  Redentorekirche  sitzt 
Maria  vor  einer  Rampe,  auf  der  Früchte  liegen  und  zwei  Engelknaben, 
bequem  gelagert,  musizieren.  Auf  einem  Kissen  weich  gebettet,  schlummert 
das  Jesukindlein  auf  der  Mutter  Schoß.  Diese  blickt,  die  Hände  zum 
Gebet  zusammengelegt,  andächtig  zu  dem  kleinen  Schläfer  nieder.  Das 
Werk  ist  von  bestrickendem  Reiz. 


*  54  * 

Carlo  Crivelli  (1440—1495)  ist  der  erste  Repräsentant  venezianischer 
Prachtliebe.  Daraufhin  betrachte  man  seine  Madonnen,  z.  B.  in  der  Brera 
in  Mailand  und  in  der  Pinacoteca  Podesti  in  Ancona.  Glänzende  Diademe 
krönen  ihr  Haupt.  Schimmernde  Perlen  schmücken  die  kostbare  Gewan- 
dung. Quellende,  saftige  Südfrüchte  an  irgendeiner  Stelle  seiner  Marien- 
bilder als  Ornament  gleichsam  anzubringen,  ist  eine  immer  wiederkehrende 
Eigenart  Crivellis. 

Jacopo  Bellini  (1400—1471)  stand  in  einem  Schülerverhältnis  zu 
Gentile  da  Fabriano  und  lernte  durch  Andrea  Mantegna,  der  sein  Schwieger- 
sohn wurde,  paduanische  Art  kennen.  In  seinem  offenbar  frühen  Madonnen- 
bild in  der  Akademie  zu  Venedig  ist  allerdings  davon  noch  wenig  zu 
spüren.  Aber  auf  seine  Söhne  haben  sich  diese  Einflüsse  vererbt.  Von 
diesen,  Gentile  und  Giovanni,  hat  sich  nur  der  jüngere  und  begabtere 
Bruder  der  Madonnenmalerei  in  weiterem  Umfange  befleißigt.  Viel  hat 
Giovanni  Bellini  (1426 — 1516)  sicher  dem  Antonello  da  Messina  zu 
danken,  der  die  Oelmalerei  in  Venedig  einführte.  Kraft  dieser  neuen 
Technik  gelang  es  Giovanni  vorzüglich,  seine  Madonnenbilder  durch  warmes 
Kolorit  und  verklärendes  Licht  leuchten  zu  lassen.  Giovanni  schuf  auch 
das  typische  Modell  für  die  venezianischen  Madonnen:  die  in  vollen 
üppigen  Formen  blühende,  gesunde,  schöne  Frau.  Er  liebt  es,  Maria  mit 
Kind,  umgeben  von  zwei  Heiligen,  in  halber  Gestalt  zu  geben,  so  in  der 
Akademie,  einmal  zwischen  Magdalena  und  Katharina,  und  einmal  zwischen 
Paulus  und  Georg  (s.  Abb.  34) ,  im  Louvre  zu  Paris  zwischen  Petrus 
und  Sebastian.  Auf  einer  anderen  Tafel  der  Akademie  umgeben  die  hoch 
thronende  Madonna  sechs  Heilige,  von  welchen  uns  namentlich  der  hei- 
lige Franziskus  vorn  rechts  und  der  heilige  Sebastian  —  ein  prachtvoller 
Akt!  —  vorn  links  durch  den  schwärmerischen  Aufschlag  ihrer  schönen 
Augen  fesseln.  Berühmt  sind  die  drei  entzückenden  Engel,  die  am  Fuße 
des  Thrones  musizieren.  Fast  noch  erhabener  wirkt  der  dreiteilige  Marien- 
altar in  der  Sakristei  der  Frari  aus  dem  Jahre  1488.  In  schmaler  Nische 
thront  Maria.  Umgebende  Heilige,  musizierende  Engel  erhöhen  wieder 
die  festliche  Stimmung.  Das  Altarbild  in  San  Zaccaria,  die  heilige  Jung- 
frau, umgeben  von  Petrus  und  Katharina,  Lucia  und  Hieronymus,  mit 
dem  Geige  spielenden  Engel,  der  auf  der  niedrigsten  Stufe  des  Thrones 
sitzt,  1505  entstanden,  war  eine  der  letzten  Arbeiten  des  hochbetagten 
Greises.  Ein  Schüler  des  Giovanni  Bellini  ist  Vicenzo  Catena  (gest. 
1531),  dessen  Madonna,  die  auf  der  Treppe  eines  Parkes  die  Huldigung  eines 
Ritters  mit  turbanartiger  Kopfbedeckung  entgegennimmt,  in  der  National- 
galeri  zu  London,  koloristisch  sehr  wirkungsvoll  ist,  aber  zu  sklavisch  die 
Methode  seines  Lehrers  nachahmt,  um  nicht  etwas  manieriert  zu  erscheinen. 


55 


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*  56  * 

In  dem  Bilde  des  Rocco  Marconi  (gest.  um  1525),  der  dem 
Künstlerkreis  des  Carpaccio  angehörte,  in  der  städtischen  Gemäldesamm- 
lung zu  Straßburg,  sitzt  Maria  vor  einer  dunkeln  Wand,  vor  der  das 
weiße  Kopftuch  scharf  absticht.  Im  Hintergrund  links  ist  ein  Stück  Natur 
sichtbar.  Lazzaro  Sebastian!  zeigt  sich  in  seiner  Madonna  mit  dem 
Kinde  in  der  Akademie  zu  Venedig  als  Liebhaber  grauer,  kalter  Farbentönung 


Abbildung  35. 

Giov.  Bellini,  Madonna  mit  sechs  Heiligen  und  drei  Engeln. 

Venedig,  Akademie. 

i  Siehe  Seite  54.) 


und  schlanker  Gestalten.  Des  Benedetto  Diana  beste  Madonna  ist  jene 
mit  vier  Heiligen  in  freier  Natur  thronende  in  der  Akademie.  Cima  da 
Conegliano  (1460 — 1517)  schwelgt  in  Farbenfülle.  Seine  Madonna 
zwischen  Paulus  und  Johannes  Baptista  in  Halbfiguren  und  seine  große 
thronende,  von  sechs  Heiligen  umringte,  mit  zwei  musizierenden  Engeln, 
ebenfalls  in  der  Akademie,   bezeugen  seine  koloristische  Begabung.     Des 


*  57 


Abbildung  36. 
Giorgione,  Madonna  zwischen  S.  Franziskus  und  S.  Liberalis.    Castelfranco,  S.  Liberale. 

(Siehe  Seite  53.) 


*  58  * 

Bartolommeo  Montagna  zwischen  Sebastian  und  Hieronymus  thronende 
Madonna,  an  gleicher  Stelle,  verrät  deutlich  mantegnesken  Einfluß. 

Alle  die  zuletzt  genannten  Meister  sind  übrigens  mehr  oder  weniger 
auch  von  Giovanni  Bellini  künstlerisch  abhängig. 

Ein  ganz  origineller  Kopf  dagegen  war  Giorgione  (1477 — 1511). 
Seine  thronende  heilige  Jungfrau  zwischen  Sankt  Franziskus  und  Liberalis, 
die  jetzt  noch  in  der  Pfarrkirche  seines  Heimatsdorfes  Castelfranco  steht, 
ist  das  hervorragendste  Zeugnis  seiner  Kunst.  Giorgione  war  ein  jugend- 
licher, träumerischer  Phantast.  Was  Simone  Martini  für  die  Sienesen, 
Botticelli  für  die  Florentiner,  das  war  Giorgione  für  die  Venezianer: 
gleichsam  der  lyrische  Dichter  unter  den  Malern  seines  engeren  Vater- 
landes. Das  seelenvolle  Auge  Mariens,  der  schwärmerische  Blick  der 
beiden  im  Jünglingsalter  gegebenen  Heiligen  beleben  mächtig  die  Kom- 
position. Geradezu  bezaubernd  aber  wirkt  die  seelische  Harmonie,  die 
zwischen  der  sehr  hoch  thronenden  Madonna  und  der  ungemein  fein 
empfundenen,  sie  umgebenden  Landschaft  zu  bestehen  scheint. 

Das  Ideal  venezianischer  Madonnenmalerei  in  bezug  auf  Fülle  und 
Schönheit  der  Formen,  Anmut  der  Typen,  Schmelz  und  Glut  der  Farben, 
Wirkung  des  Lichts,  Freiheit  der  Gruppierung  bedeuten  die  Arbeiten  des 
Tizian,  Tiziano  Vecellio  (1477 — 1576),  häufig,  so  in  den  Bildern  in  Wien 
in  der  Kaiserlichen  Gemäldegalerie  und  —  mit  den  Heiligen  Agnes  und 
Johannes  dem  Täufer  —  in  der  Sammlung  Liechtenstein,  erhöht  noch 
ein  beigefügtes  Stück  Natur  die  Stimmung.  Die  sog.  Kirschenmadonna, 
ebenfalls  im  Wiener  Museum,  ist  ein  oft  gepriesenes  Kunstwerk.  Vor 
einer  Rampe  sitzt  Maria.  Auf  derselben  schreitet  der  kleine  Jesus  mit 
Kirschen  im  Händchen,  freudig  bewegt  dieselben  vorzeigend,  zu  ihr  hin. 
Der  kleine  Johannes  vorn  scheint  auch  für  die  Kirschen  sehr  interessiert. 
Sankt  Joseph  und  Zacharias  stehen  beiseite.  In  berauschender  Farben- 
und  Lichtwirkung  herrliche  Frauen-  und  Männergestalten,  so  erscheinen 
uns  des  Meisters  Madonnen  in  Dresden  mit  vier  Heiligen,  im  Louvre 
mit  drei  Heiligen.  Seine  „heilige  Jungfrau  mit  dem  heiligen  Antonius 
Eremita"  in  den  Uffizien  zu  Florenz,  auf  welchem  Bilde  der  kleine  Johannes 
dem  Jesulein  Rosen  überreicht,  beweist,  mit  welcher  Liebe  der  große 
Künstler  Kinderleben  beobachtet  hat,  und  wie  wirkungsvoll  er  es  wieder- 
zugeben verstand.  Rührend  im  gleichen  Sinne  wirkt  seine  in  idyllischer 
Landschaft  gelagerte  Maria  mit  dem  Kinde,  dem  Johannesknaben  und 
der  heiligen  Katharina  in  der  Nationalgalerie  zu  London. 

Zu  den  glänzendsten  Schöpfungen  Tizians  gehört  zweifellos  das 
berühmte  Altarbild  in  der  Frari-Kirche  zu  Venedig,  die  sog.  Madonna 
del  Pesaro.     In  offener  Treppenhalle  von  herrlichster  Raumwirkung  mit 


*  59  * 

zwei  schier  unbegrenzt  nach  oben  strebenden  Säulen  thront  die  Mutter 
Gottes.  Mit  dem  Kinde,  das  auf  ihrem  Schoß  steht,  scheint  der  heilige 
Franziskus  von  Assisi,  dem  sich  der  heilige  Antonius  von  Padua  beigesellt 
hat,  in  lebhafter,  zwangloser  Unterhaltung  begriffen.  Sankt  Franziskus 
und  der  unterhalb  der  Madonna,  fast  im  Mittelpunkt  des  Bildes  gelagerte 
heilige  Petrus  scheinen  für  die  unten  mit  Gefolge  kniende  Familie  Pesaro 


Abbildung  37. 

Tiziano  Vecellio,  Madonna  mit  den  Kirschen.     (Heilige  Familie.) 

Wien,  Gemälde-Galerie. 

(Siehe  Seite  58.) 

Fürsprecher  zu  sein  am  Throne  der  Gebenedeiten.    In  der  Luft  tummeln 
sich  auf  einer  Wolke  zwei  Engelknaben,  die  das  Kreuzesholz  tragen. 

Die  heilige  Jungfrau  mit  dem  Kaninchen  in  freier  Landschaft  im 
Louvre  zu  Paris  bezeugt  wie  keines  der  vorher  erwähnten  Werke  des 
Meisters  Fähigkeit,  mit  Licht  und  Schatten  gute  Wirkung  zu  erzielen. 
Während  Maria  das  Kaninchen  festhält,  trägt  Katharina  den  Jesusknaben 
und  zeigt  ihm,  der  sich  lebhaft  dafür  interessiert,  den  possierlichen  kleinen 
Vierfüßler.  Im  Hintergrund  hütet  Sankt  Joseph  Schafe.  Eine  ebenso  in  bezug 


60 


*   DU    * 


auf  die  Lichtwirkung  bedeutungsvolle  Komposition  stellt  in  der  Pinakothek  zu 
München  die  heilige  Jungfrau  dar  mit  dem  schon  etwas  älteren,  gesunden, 


Abbildung  38. 
Tiziano  Vecellio,  Madonna  del  Pesaro.     Venedig,  Sta.  Maria  dei  Frari. 

(Siehe  Seite  58  u   59.) 

über  kräftige  Gliederchen  verfügenden  Jesusknaben.  Am  gleichen  Ort  ist 
noch  ein  anderes  Bild  Tizians,  auf  dem  Maria  dem  Täufer  rechts  das 
Jesukind  gerade  hinüberreicht,   während   links   ein   betender  Stifter  kniet. 


*  61  * 

Die  Bonifazio  und  Bassano  geben  nach  Tizian  nichts  Neues  mehr 
und  erreichen  ihn  nicht.  Nur  Paolo  Veronese  (1528 — 1588)  und 
Robusto  Tintoretto  (1518 — 1594)  vermögen  uns  noch  zu  fesseln, 
ersterer  durch  seiner  Farben  Reichtum  und  die  Pracht  seiner  Gewandungen, 
letzterer  durch  Tiefe  der  Empfindung  und  schimmerndes  Spiel  des  Lichts. 
Wertvoller  als  Veroneses  Werke  in  San  Francesco  della  Vigna  und  San 
Barnaba  in  Venedig  ist  jene  Madonna,  die  im  Assunta-Saal  der  Akademie 
daselbst  in  einer  Nische  auf  hohem  Marmorfuße  thront,  umgeben  von 
Hieronymus,  Justina  und  Franz  von  Assisi,  der  den  Johannesknaben  stützt. 
Bei  Tintoretto  thront  die  Himmelskönigin  immer  auf  Wolken  in  lichten 
Höhen,  während  unterhalb  Heilige  begeistert  zu  ihr  aufblicken.  Im  Kaiser- 
Friedrich-Museum  zu  Berlin  sind  es  Lukas  und  Markus;  in  der  Sammlung 
zu  Modena:  Katharina,  Kolomba,  die  beiden  Apostelfürsten  und  der 
Evangelist  Johannes;  bei  der  glänzendsten  Leistung  in  der  Akademie  zu 
Venedig:  Cäcilia,  Antonius  von  Padua,  Georg,  Cosimo  und  Damian. 

Des  venezianischen  Bildhauers  Tommaso  Lombardi  (um  1560 
bis  1620)  vornehme  Madonna  mit  dem  Jususkinde  und  dem  Johannes- 
knaben in  „San  Sebastiano"  zu  Venedig  verdient  hier  Erwähnung. 


Die  Norditaliener. 

fie  übrigen  norditalienischen  Kunstschulen  haben  wohl  ausnahms- 
los toskanischen  und  venezianischen  Einfluß  verspürt.  Der 
Bolognese  Francesco  Francia  (1450 — 1517)  zeigt  in  seinen, 
von  zwei  Heiligen  bezw.  zwei  Engeln  umgebenen  Madonnen 
in  der  Galerie  Borghese  zu  Rom  und  in  der  Pinakothek  zu  München, 
sowie  in  seiner  thronenden  mit  zwei  betenden,  zwei  musizierenden  Engeln 
und  vier  Heiligen  in  San  Giacomo  Maggiore  zu  Bologna  Bekanntschaft 
mit  venezianischen  Vorbildern  in  bezug  auf  Formbildung,  Farbengebung 
und  Komposition,  während  er  in  einem  anderen  Bilde  in  München,  wo 
Maria  das  auf  dem  Boden  liegende  Kind  anbetet,  ein  Motiv  des  Florentiners 
Fra  Filippo  übernommen  hat. 

Der  Ferrarese  Francesco  Bianchi  (1487—1510)  beweist  mit  seiner 
in  einer  Säulenhalle  mit  Fernsicht  in  weiter  Natur  hoch  thronenden  Madonna, 
der  zwei  auf  den  Stufen  sitzende  musizierende  Engel  sowie  zwei  Heilige 
beigesellt  sind,  daß  ihn  Venedigs  Kunst,  speziell  Giorgione  Vorbild  war. 
Am  Thronsockel  vorne  ist  der  Sündenfall  in  Nachahmung  Mantegnas 
gegeben.  Der  Brescianer  Alessandro  Moretto  (1498—1555)  läßt  in 
seinen  thronenden  Madonnen   mit   den  Heiligen  Antonius   und  Sebastian 


*  62  * 

sowie  in  jener  mit  den  vier  Kirchenvätern  im  Städelschen  Institut  zu 
Frankfurt  am  Main,  besonders  aber  in  seiner  Himmelskönigin  in  Glorie 
mit  Franziskus  und  den  Einsiedlern  Antonius  und  Paulus  in  der  Akademie 
zu  Mailand  den  ihn  völlig  beherrschenden  Einfluß  Tizians  erkennen. 
Bernardino  Luini  (von  1475  bis  1535)  und  Gaudenzio  Ferrari 
(1484 — 1549)  bezeugen    in   ihren   Darstellungen  Mariens  mindern  Kinde 


Abbildung  39.      B.  Luini,  Sta.  Maria  degli  angeli.     Lugano. 
„Madonna  mit  den  Jesus-  und  Johannesknaben." 

(Siehe  Seite  62.) 


in  „Santa  Maria  degli  Angeli"  zu  Lugano  (s.  Abb.  39)  und  in  der  Mai- 
länder Brera  die  nahe  Verwandtschaft  der  lombardischen  Schule  mit  der 
venezianischen  in  Fülle  der  Form  und  Wärme  des  Kolorits. 

Den  gewaltigen  Lionardo  da  Vinci  (1452  bis  1519)  zählt  die  lom- 
bardische Schule  mit  Stolz  zu  den  Ihren.  Die  meisten  der  mit  dem  Namen 
Lionardos  bezeichneten  Madonnen  stammen  im  günstigsten  Falle  von 
Schülern  her,  die  unter  des  Meisters  Aufsicht  arbeiteten,  etwa  von  Boltraffio 


*  63  * 


oder  Salai.  Höchstens  in  einem  solchen  Zusammenhang  mit  Lionardo  stehen 
die  beiden  Darstellungen  Mariens  mit  dem  Kinde  in  der  Pinakothek  zu 
München;  die  in  der  Beleuchtung  so  wirkungsvolle,  ihr  Kind  nährende 
Mutter  Gottes  aus  dem  Hause  Litta  in  der  Eremitage  zu  Sankt  Peters- 
burg; das  Fresko  mit  dem 
Stifter  in  San  Onofrio  zu 
Rom;  die  Madonna  mit 
dem  das  Jesukind  lieb- 
kosenden kleinen  Jo- 
hannes, jene,  die  außer 
den  beiden  Kindern  die 
Base  Elisabeth  und  einen 
Engel  vorweist,  der  dem 
Jesulein  eine  Wage  hin- 
hält, beide  im  Louvre  zu 
Paris.  Als  Hintergrund 
für  seine  Madonnenbilder 
hat  Lionardo  durch  eigen- 
artige Lichteffekte  ge- 
heimnisvoll wirkende, 
felsige  Gegenden  geliebt. 
Die  beiden  „Madonnen 
unter  den  Felsen"  in  der 
Nationalgalerie  zu  Lon- 
don und  im  Louvre  zu 
Paris,  die,  bei  nur  geringer 
Verschiedenheit  der  Mo- 
tive, neben  den  beiden 
Kindern  und  Elisabeth, 
einen  Engel  zeigen,  der 
das  Jesukind  hält,  sind 
hierfür  besonders  charak- 
teristisch und  dürften 
noch   am    ehesten    unter 

Mitwirkung  des  von  Lionardo  persönlich  geführten  Pinsels  entstanden 
sein.  Handzeichnungen  zu  Madonnenbildern  in  den  Offizien  zu  Florenz 
und  in  der  ambrosianischen  Bibliothek  zu  Mailand  dürften  ebenfalls  vom 
Meister  selbst  herrühren.  Ganz  sicher  von  der  Hand  seines  Schülers 
Giovanni  Antonio  Boltraffio  (1467 — 1516)  sind  die  im  übrigen  völlig 
lionardesk  gehaltenen  Gemälde  der  heiligen  Mutter  mit  dem  göttlichen 


Abbildung  40. 
Lionardo  da  Vinci,  Vierge  au  rocher.     Paris,  Louvre. 

(Siehe  Seite  63.) 


*  64  * 

Kinde  im  Nationalmuseum  zu  Budapest  und  im  Museum  Poldi  Pezzoli 
in  Mailand,  die  lange  Zeit  als  Originalarbeiten  da  Vincis  galten. 


Photogr.  Alinaii. 

Abbildung  41.    Carlo  Dolci,  Madonna  mit  schlafendem  Jesuskind. 
Rom,  Galerie  Corsini. 

i  Siehe  Seite  65.) 

Ein  Bild  des  Veronesen  Caroto  (1470 — 1546)  in  der  Akademie  zu 
Venedig  verdient  durch  das  zur  Anwendung  gebrachte  genrehafte  Motiv 


*  65  * 

Erwähnung.  Maria  ist  mit  dem  Nähen  eines  Gewandstückes  beschäftigt, 
und  das  Jesukind,  das  auf  dem  Schöße  steht,  oder,  besser  gesagt, 
balanciert,  hält  sich  mit  dem  linken  Händchen  am  Kopftuch  der  Mutter 
fest  und  verwahrt  mit  dem  rechten  die  Schere. 

Ein  interessanter  Madonnenmaler  war  der  Parmese  Correggio 
(14Q4— 1534).  Er  weiß  durch  den  Zauber  des  Lichts  seine  Darstellungen 
zu  verklären  wie  höchstens  noch  Tintoretto  und  Rembrandt,  weniger  in 
seinen  Jugendwerken,  etwa  in  Maria  mit  dem  Kinde  und  zwei  musizierenden 
Engeln  in  den  Uffizien  zu  Florenz,  mit  Elisabeth  und  dem  kleinen  Johannes 
in  der  fürstlichen  Sammlung  zu  Sigmaringen,  mit  dem  Johannesknaben 
im  Museo  artistico  zu  Mailand,  als  in  seinen  späteren  Arbeiten.  Seine 
zwei  von  Heiligen  umgebenen  thronenden  Madonnen  in  der  Galerie  zu 
Dresden,  die  sogenannten  „des  Heiligen  Franz"  und  „des  Heiligen 
Georg",  wie  die  auch  der  „Tag"  genannte  „des  Heiligen  Hieronymus"  in 
der  Galerie  zu  Parma  sind  wahre  Prachtstücke  in  tiefstes  Dunkel  getauchter 
blendender  Lichterscheinungen.  Großartig  im  selben  Sinne  wirken  auch 
seine  Madonnen  in  der  Pinakothek  zu  Modena;  „della  scala"  in  der  Galerie 
zu  Parma;  mit  den  beiden  Kindern  im  Pradomuseum  zu  Madrid;  die 
gleichartigen  von  Casalmaggiore  im  Städelschen  Institut  zu  Frankfurt  am 
Main  und  in  der  Galerie  zu  Budapest;  die  Madonna  della  Cesta  in  der 
Nationalgalerie  zu  London,  und  eine  weitere  das  auf  dem  Boden  liegende 
Christkind  anbetende  in  den  Uffizien  zu  Florenz. 

Solch  ein  „Lichtkünstler"  wie  Correggio  übte  dann  auch  auf  Floren- 
tiner Künstler  später  seinen  Einfluß  aus,  so  auf  Carlo  Dolci  (1616—1686). 
Dessen  beste  Arbeiten,  Madonna  mit  Kind  und  Blumen  in  der  Pinakothek 
zu  München  (s.  Abb.  10),  Maria  mit  Kind  im  Pitti-Palast  zu  Florenz;  Maria 
mit  Sternenkranz  in  Blenheim  bei  Oxford  und  besonders  jene  ihr  schlum- 
merndes Kind  so  liebevoll  betrachtende  in  der  Galerie  Corsini  zu  Rom 
(s.  Abb.  41)  bezeugen  das  sicher. 

Aehnlich  zeigen  des  Andrea  del  Sarto  (1487-1531)  Madonnen  „mit 
Sankt  Franz  und  dem  Evangelisten  Johannes"  in  der  Tribuna  der  Uffizien 
sowie  jene  al  fresco  „del  sacco"  in  der  Vorhalle  der  Annunziata-Kirche 
zu  Florenz  lionardeske  und  venezianische  Einflüsse. 

Giovanni  Battista  Salvi,  genannt  Sassoferrato  (1605—1685) 
bildete  sich  vorzugsweise  an  Raffael  und  an  der  Bologneser  Schule. 
Seine  recht  gefühlvollen  Madonnen  streifen  oft  nahe  an  das  Manieriert- 
Süßliche.  Auf  dem  Bilde  im  Louvre  zu  Paris  ist  das  göttliche  Kind  in 
den  Armen  seiner  Mutter  eingeschlafen.  Dasselbe  Motiv  ist  von  Annibale 
Caracci  (1560 — 1609)  in  einem  Bilde  an  gleicher  Stelle  zu  einem 
kleinen  Genrestück  erweitert.     Der  Johannesknabe  berührt  das  schlafende 

Rothes,  Madonna.  5 


*  66  * 

Christuskind  am  Beinchen.  Maria  aber  macht  mit  dem  Finger  und  im 
Ausdruck  des  Gesichts  eine  zurückweisende  Gebärde,  als  wollte  sie  sagen: 
„Still!  er  schläft;  wecke  ihn  nicht!" 

Die  plastischen  Arbeiten  des  Andrea  Sansovino  (1460 — 1529), 
z.  B.  seine  herzlich  empfundene  Madonna  im  Berliner  Museum,  des 
Palermitaners  Antonello  Gagini  (1478 — 1536),  z.  B.  seine  sentimental 
aufgefaßten  Madonnen  im  Museo  civico  zu  Palermo  und  in  der  Kirche 
San  Francesco  in  Comiso  bei  Syrakus,  sind  ebenfalls  Erzeugnisse,  gewonnen 
aus  der  Zusammenstimmung  verschiedener  Kunstschularten. 


Umbrische  Malerschule. 

hi   Besprechung   der  italienischen    Madonnendarstellung  war  die 
umbrische  Malerschule  bis  zuletzt  aufzusparen.     Mit  Recht; 
denn    sie   bildet   den   würdigsten   Abschluß.     Aus  ihr  ging  der 
Künstler  hervor,   den    man   den   bedeutendsten  Madonnenmaler 
aller  Länder  und  aller  Zeiten  nennen  darf:  Raffael  Sanzio. 

Die  früheste  umbrische  Kunst  ist  völlig  abhängig  von  Siena.  Des 
Ottaviano  Nelli  (ca.  1380  —  1444)  „Madonna  del  Belvedere"  in  Santa 
Maria  Nuova  zu  Gubbio,  die  thronende  Madonna  des  Niccolo  Alunno 
(1430 — 1502)  in  der  Brera  zu  Mailand  lassen  das  klar  erkennen.  Des 
Pietro  Perugino  (1446—1524)  thronende  Madonnen  mit  vier  Heiligen 
im  Vatikan,  mit  zwei  Heiligen  in  Cremona,  seine  das  Kind  anbetende 
heilige  Jungfrau  in  der  Villa  Albani  zu  Rom,  Pinturicchios  (1455—1513) 
von  Heiligen  verehrte  Himmelskönigin  in  der  Pinakothek  zu  Perugia, 
die  liebliche  heilige  Mutter  mit  dem  auf  einer  Brüstung  vor  ihr  stehenden, 
segnenden  Kind  in  der  Nationalgalerie  zu  London  beweisen  alle  die  Un- 
selbständigkeit der  umbrischen  Schule. 

Schuleinflüsse  sind  bei  Raffael  Sanzio  (1488 — 1520)  nur  in  sekun- 
därer Weise  wirksam.  Sein  eigenes  mächtiges  Genie  und  eine  kindlich 
fromme  Liebe  zu  Maria  führten  ihm  den  Pinsel  bei  seinen  Madonnen- 
bildern. Zu  den  Frühwerken  des  Meisters  gehören  das  Dreiheiligenbild, 
Maria  mit  den  Heiligen  Franziskus  und  Hieronymus  und  die  Madonna 
Solly,  beide  im  Kaiser-Friedrich-Museum  zu  Berlin,  sowie  die  Madonna 
Conestabile  in  der  Eremitage  zu  Sankt  Petersburg.  Als  Vorzüge  Raffael- 
scher  Kunst  empfinden  wir  in  diesen  Erstlingsarbeiten  schon  folgende 
Motive:  Der  Künstler  liebt  es,  seine  Madonnen  in  überaus  fein  empfun- 
dener Natur  als  stimmungsvollen  Hintergrund  zu  geben.  Maria  betet  aus 
einem    Gebetbuch.     Auch   das  Jesukindlein   nimmt   an   der  Andacht  teil. 


*  67  * 

Das  Kind  der  Madonna  Solly  hält  im  linken  Händchen  ein  Vöglein. 
Gebetbuch  und  Vögelchen  sind  bei  Raffaels  Madonnen  noch  wiederholt 
verwendet.  Die  Madonna  Colonna  im  Berliner  Museum  unterbricht  für 
einen  Augenblick   ihr  Gebet   und    schaut  voller  Wonne  auf  den  herzigen 


Phot.  Hanfstaengl. 

Abb.  42.     Raffael  Sanzio,  Madonna  a.  d.  H.  Tempi.     München,  Pinakothek. 

(Siehe  Seite  68.) 

Knaben  auf  ihrem  Schoß.  Die  Madonna  aus  dem  Hause  Orleans  im 
Besitze  des  Herzogs  von  Aumale  scheint  wie  traumverloren  in  dem  Anblick 
ihres  Knaben  versunken.  Die  Madonna  del  Granduca  im  Palazzo  Pitti 
zu  Florenz  ist  das  Urbild  einer  keuschen  Jungfrau,  die  —  mit  dem  Gottes- 
kind auf  den  Armen  —  vor  Demut  nicht  wagt,  aufzuschauen  (s.  Abb.  1).  Jene 


*  68  * 

aus   dem    Hause   Tempi    dagegen   in   der  Königlichen  Pinakothek   zu 
München,   die   das   wie   die  herrliche  Mutter  entzückend  geformte  Kind 


Abb.  43.     Raffael  Sanzio,  La  belle  jardiniere.     Paris,  Louvre. 
(Siehe  Seite  69.) 


voll    Inbrunst   an    das  Herz   drückt,    packt   uns   durch    den   ergreifenden 
Ausdruck  mütterlicher  Liebe  (s.  Abb.  42). 

In  der  Madonna  Terranuova  zu  Berlin  fügt  Raffael  im  Anschluß  an 
Fra  Filippo  Lippi  zuerst  den  Johannesknaben  hinzu,  außerdem  aber  noch 


*  69  * 

—  und  das  ist  eine  ganz  einzige  Nuance  —  den  späteren  Evangelisten 
Johannes  ebenfalls  in  zartestem  Alter.  Maria  mit  dem  kleinen  Jesus  und 
Johannes  dem  Täufer  gibt  dann  der  Meister  in  stets  wechselnder 
Gruppierung  in  seinen  drei  nicht  hoch  genug  zu   preisenden  Madonnen, 


Abb.  44.     Raffael  Sanzio,  Madonna  della  Sedia.     Florenz,  Pitti-Palast. 

(Siehe  Seite  71.) 


„mit  dem  Stieglitz"  in  den  Uffizien  zu  Florenz,  „im  Grünen"  in  der 
Kaiserlichen  Gemäldegalerie  zu  Wien,  und  der  sogenannten  „schönen 
Gärtnerin",  La  belle  Jardiniere,  im  Louvre  zu  Paris  (s.  Abb. 43).  Auch  die 
nicht  ganz  vollendete  Esterhazy-Madonna  in  Pest  variiert  dieses  Thema. 
Die  Madonna  des  Hauses  Alba  in  der  Eremitage  zu  Sankt  Petersburg, 


70  * 


Abb.  45.     Raffael  Sanzio,  Madonna  di  Foligno.    Vatikan. 
(Siehe  Seile  71.) 


*  71   * 

die  mit  dem  Diadem  im  Louvre  zu  Paris,  die  von  dem  schlummernden 
Knaben  sachte  den  Schleier  hebt  und  ihn  entzückt  betrachtet,  die  mit  dem 
schon  herangewachsenen  kleinen  Jesus  lustwandeln  de  Madonna  im  Besitze 
des  Grafen  von  Ellesmere  zu  London,  welcher  der  Johannesknabe  begegnet, 
gehören  auch  in  diesen  Zusammenhang. 

Der  Madonna  von  der  göttlichen  Liebe  im  Museum  zu  Neapel  ist 
außer  den  beiden  Kindern  noch  die  Base  Elisabeth  beigesellt.  In  der 
Ferne  sieht  man  hier  wie  bei  der  Madonna  del  passeggio  den  heiligen 
Joseph.  Wahrhaft  bezaubernd  durch  Anmut,  Formenschönheit,  Farbe, 
Licht,  Herzlichkeit  und  Schlichtheit  der  Auffassung  wirkt  — aus  des  Meisters 
römischer  Zeit  —  die  Madonna  della  Sedia  im  Pitti-Palast  zu  Florenz 
(s.  Abb.  44).  Aus  der  gleichen  Periode  dürfte  die  durch  vollendete  Licht- 
wirkung ausgezeichnete  Madonna  mit  den  Leuchtern  in  der  National- 
galerie zu  London  stammen,  die  außer  dem  reizenden  vollen  Jesus- 
gesichtchen  rechts  wie  links  je  einen  entzückenden  Knabenkopf  aufweist. 

Thronende  Madonnen  hat  uns  der  Meister  geschenkt  in  jener  „del 
Baldachino"  im  Pittipalast  zu  Florenz  und  del  pesce  im  Museum  zu 
Madrid,  in  der  Gesellschaft  von  Engeln  und  Heiligen.  Auf  Wolken  thro- 
nend, von  Cherubim  umringt,  von  Franziskus,  Hieronymus,  Johannes  dem 
Täufer  und  einem  knienden  Stifter  verehrt,  erscheint  uns  die  Madonna 
di  Foligno  im  Vatikan  (s.  Abb.  45). 

Auf  Wolken  auch,  zwischen  einem  geöffneten  Vorhang,  wie  in  einer 
Vision  erscheint  uns  die  Madonna  di  San  Sisto  —  sein  bekanntestes 
Bild  —  in  der  Galerie  zu  Dresden.  Ihr  zur  Seite  kniet  rechts  der  heilige 
Papst  Sixtus,  der  —  darauf  weisen  seine  Handbewegungen  —  die  Kirche 
und  das  Menschengeschlecht  der  Fürbitte  der  seligsten  Jungfrau  empfiehlt. 
Unterhalb  steht  das  Abzeichen  seiner  päpstlichen  Würde,  die  Tiara.  In 
gewolltem,  wirksamem  Kontrast  mit  der  greisen  Papstgestalt  steht  die 
jugendliche  heilige  Barbara  links  von  der  Madonna.  Ihre  Blicke  sind 
auf  die  beiden  reizenden  Engelsköpfchen  gerichtet,  die  über  dem  untersten 
Rande  des  Bildes  hervorlugen  und  das  Entzücken  aller  derer  bilden,  die 
sich  einmal  daran  erfreuten.  Wahrlich,  diese  Madonna  wirkt  wahrhaft 
überirdisch.  Wie  auf  göttliches  Geheiß,  von  himmlischer  Inspiration  be- 
seelt, hat  Raffael  hier  Unvergleichliches  geleistet.  Mit  geheimnisvollem 
Schauder  ergreifen  uns  die  wunderbaren,  seelenvollen  Augen  Marias  wie 
des  göttlichen  Kindes.  Wir  möchten  niederknien  und  verehrend  beten. 
Man  darf  Raffaels  Sixtinische  Madonna  kühn  die  erhabenste  Leistung 
nennen,  die  jemals  in  der  bildenden  Kunst  zu  Ehren  der  allerseligsten 
Jungfrau  geschaffen  wurde  (s.  Abb.  46). 


72  * 


Abb.  46.     Raffael  Sanzio,  Madonna  di  S.  Sisto.     Dresden,  Gemälde-Galerie. 

(Siehe  Seite  71.) 


73 


Deutsche  Malerschulen. 

(Prager,  Kölner,  Fränkische,  Schwäbische.) 

farf  man  eine  Nation  in  bezug  auf  die  Gestaltung  des  Marien- 
bildes die  führende  nennen,  so  war  es  sowohl  hinsichtlich  der 
Menge  wie  der  Bedeutung,  als  auch  was  im  Ausland  nachge- 
ahmte Initiative  anbetrifft,  die  italienische.  Kaiser  Karl  IV.  berief 
schon  italienische  Künstler.  Diese  beeinflußten  dann  die  früheste  der 
deutschen  Malerschulen,  die  sogenannte  Prager  Schule.  Wenn 
wir  von  Miniaturdarstellungen  der  Mutter  mit  dem  Kinde  innerhalb  der 
Büchermalerei,  z.  B.  im  Sakramentarium  des  Drogo  aus  der  karolingischen 
Zeit,  absehen,  finden  wir  hier,  allerdings  an  den  Ausländern  gebildet, 
doch  auch  zuerst  nationalen  Stil.  Dem  Nikolaus  Wurmser  (um  1360) 
dürfte  man  Madonnen  in  der  Marienkapelle  der  Burg  Karlstein  im  Beraun- 
tal  und  in  der  Stiftskirche  zu  Hohenfurt  in  Böhmen  wohl  zuschreiben. 
Charakteristisch  sind  das  kräftige  Oval  des  vorgebeugten  Kopfes  Mariens, 
ihre  hohe  Stirn,  über  welcher  die  Krone  ragt,  die  wulstigen  Formen 
des  Jesuskindes  in  ihrem  Arm,  die  von  kleinen  Engelsgestalten  gestützten 
Heiligenscheine. 

Noch  älteren  Datums,  aus  dem  XIII.  Jahrhundert,  ist  —  ebenfalls  im 
Oesterreichischen  —  eine  von  allegorischen  Gestalten  umgebene  thronende 
Madonna  im  Nonnenchor  des  Domes  zu  Gurk  in  Kärnthen.  Die  Köpfe 
von  Mutter  und  Kind  sind  zart  ineinander  geschmiegt.  Es  ist  sehr 
charakteristisch,  daß  dieses  vielleicht  älteste  große  Wandgemälde  der 
thronenden  Madonna  eines  deutschen  Meisters,  sofort  den  germanischen 
Hang  zu  symbolisieren,  lehrhaft  zu  werden  verrät.  Es  ist  ein  sog.  „typisches 
Marienbild",  d.  h.  nimmt  Bezug  auf  ein  alttestamentliches  Vorbild.  Die 
thronende  Himmelskönigin  ist  hier  als  Thron  Salomos  verherrlicht. 
Nach  I.  Reg.  10,  18 — 20  machte  Salomo  einen  Thron  von  Elfenbein  und 
Gold,  umgeben  von  symbolischen  Gestalten,  Tugenden,  Propheten,  Löwen. 
Dieser  Thron  erschien  den  Auslegern  der  H.  Schrift  als  der  „Sitz  der 
Weisheit",  sedes  sapientiae,  den  die  Mutter  des  wahren  Salomon,  Maria 
mit  dem  Kinde,  einzunehmen  habe.  Außer  im  Dome  zu  Gurk  ist  Maria 
als  Thron  Salomos  noch  wiederholt  gerade  in  alten  Bildern  ausgeführt: 
in  Schloß  Petersberg  zu  Friesach  in  Kärnten,  in  der  Neuwerkskirche  zu 
Goslar,  in  der  Hospitalkirche  zu  Lübeck,  ferner  auf  einem  Antependium 
des  XIII.  Jahrhunderts  im  Museum  zu  Bern,  in  Skulptur  an  der  Nordseite 
des  Doms  in  Augsburg,  an  der  Dominikanerkirche  zu  Retz  (Nieder- 
Oesterreich)    und    in    einer   Engelberger  Handschrift,    wo    unten    sogar, 


74  * 


unter  einem    Bogen  —  ebenso  wie   in    Lübeck  —  mit  zwei  Königinnen 
Salomo  sitzt. 

Auf  dem  sogenannten  Deichseischen  Altar  aus  der  alten  Nürnberger 
Schule  zu  Berlin  reicht  Maria,  in  schlanken  und  bereits  kräftig  individua- 
lisierten Formen  gegeben,  dem  Kinde  einen  Apfel  dar.  Im  Gegensatz  zu 
der  auf  byzantinische  Muster  zurückgehenden,  feierlichen  repräsentativen 
Madonnendarstellung  sehen  wir  hier  zuerst  auffällig  den  realistischen  Typus 

der  deutschen  Madonnenmalerei 
ausgebildet.  Ohne  den  Versuch 
zu  idealisieren  ist  Maria  nach  be- 
liebigem Modell  als  herzensgute 
Mutter,  biedere  Hausfrau  gegeben. 
Ueber  diesen  Standpunkt  haben 
sich  aber  auch  ein  Schongaucr 
(1445-1491),  ein  H.  Holbein  der 
Aeltere  (1460—1524),  ein  Wohl- 
gemuth(1434 — 1519),  ein  Kranach 
(1472  —  1553)  nicht  erhoben. 

Der  eigentliche  Boden  für  die 
deutsche  Madonnenmalerei  war 
Köln.  Ein  kleines  Triptychon  im 
Kölner  Wallraf-Richartz-Museum 
geht  in  der  Komposition  auf 
Meister  Wilhelm  von  Herle, 
etwa  1380,  zurück,  hinter  welchem 
Pseudonym,  nach  neuen  Ansichten, 
sich  ein  Künstler  namens  Her- 
mann Wynrich  verbirgt,  dessen 
ausgebildetere  Art  der  Meister  des 
Klarenaltars  im  Kölner  Dom  vor- 
bereitet hat.  Die  neuerdings  laut 
gewordenen  Zweifel  an  der  Echt- 
heit dieser  beiden  Bilder  sind 
durch  Autoritäten  ersten  Ranges,  wie  z.  B.  W.  Bode,  als  unberechtigt  zurück- 
gewiesen worden.  Wir  sehen  im  Mittelbild  der  Darstellung  des  Museums 
Maria  mit  dem  Kind  auf  dem  Arme,  während  auf  den  inneren  Seiten- 
flügeln die  Heiligen  Barbara  und  Katharina  dargestellt  sind.  Das  Ueber- 
schlanke,  Magere,  man  möchte  sagen,  Zerbrechliche  der  Gestalten  läßt 
auf  einen  Einfluß  der  gelehrten,  mystischen  Kölner  Dominikanerschule, 
eines  Suso,  eines  Tauler  usw.  schließen.    Die  Maler  wollten  dadurch  das 


^*W 


Abb.  47.     Meister  Wilhelm,  Madonna  mit  der 
Wickenblüte.  Köln,  Stadt.  Wallr.-Rich. -Museum. 


i  Siehe  Seite  75.) 


75  * 


Wesenlose,  über  das  Menschentum  Erhabene,  Himmlische  ausdrücken.  Der 
Körper  sollte  nur  Symbol  sein.  Flache  Brust,  schmale  Schultern,  langer 
Hals,  aber  großer  Kopf  mit  einer  hohen  und  breiten  Stirn,  die  großen 
Augen  halb  geschlossen,  der 


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kleine  Mund  zierlich  gespitzt, 
das  war  die  formale  Gestal- 
tung der  altkölnischen  Ma- 
donnen. Noch  weniger  ge- 
lang ihnen  hierfür  ein  ent- 
sprechender Ausdruck  in  der 
Physiognomie.  Bei  der  eben 
erwähnten  Madonna  —  mit 
der  Wicken  blute  ge- 
nannt (s.  Abb. 47)  —  spiegelt 
sicli  wohl  zum  erstenmal  mit 
Gelingen  wie  ätherischer 
Duft  ein  himmlischer  Lieb- 
reiz auf  den  zarten,  scheinbar 
durchsichtigen  Gesichtszü- 
gen Mariens.  Liebreizend 
strahlt  auch  das  Antlitz  des 
Jesusknaben,  der  mit  dem 
rechten  Händchen  derMutter 
liebkosend  an  das  Kinn  greift 
und  in  dem  linken  einen 
Rosenkranz  hält.  Dieser 
Mutter  Gottes  mit  der 
Wickenblüte  im  Städtischen 
Museum  zu  Köln  ist  eine 
nahezu  gleichartige  Ma- 
donna im  Germanischen 
Museum  zu  Nürnberg  sehr 
eng   verwandt. 

Der  deutsche  Sinn  für 
Naturschönheit,  Blumen-  u. 
Pflanzenpracht,  für  unge- 
zwungene   Heiterkeit     und 

Gemütlichkeit  macht  sich  auch  in  der  Schule  Meister  Wilhelms 
geltend.  Wie  die  lyrische  Poesie  der  gleichzeitigen  Minnesänger  muten  uns 
ihre  anmutigen  Madonnen  in  Blumengärten  freundlich  und  stimmungsvoll 


Abb.  48. 


Stefan  Lochner,  Madonna  mit  dem  Veilchen. 
Köln,  Erzb.  Diözesan-Museum. 

(Siehe  Seite  78.) 


*  76  * 

an.  „O  rose  rot,  o  lilie  wiz,  o  blume  schoen,  o  vrauwen  priz,  o 
lichter  morgensterne!"  so  verkündete  der  Sänger  himmlischer  Minne 
Mariens  Lob.    So  war  auch  der  Himmelskönigin  bildliche  Verherrlichung 


Abb.  49.    Stefan  Lochner,  Madonna.    Aus  dem  Altarbild  im  Dome  zu  Köln. 

(Siehe  Seite  78.) 

der  alten  deutschen  Meister  in  blumigen,  blühenden  Hainen  und  Gärten 
gleichsam  ein  Ausfluß  mystischer  Naturverklärung,  wie  sie  ja  so  oft  als 
höchste  Blüte  aller  Kreatur  gefeiert  wird,  Maria,  die  minnigliche  Gottes- 
braut,  die  Pforte  des  Paradieses,   des  Himmelsgartens,  die  blendendreine 


*  77  * 

Lilie,  die  mystische  Rose.  In  einem  Flügelaltärchen  zu  Berlin  ist  Maria 
auf  blumensprießendem  Rasen  gelagert.  Vier  heilige  Jungfrauen  umgeben 
sie.  Sankta  Dorothea  reicht  dem  Jesusknaben  ein  Blumenkörbchen.  Die 
Madonna  im  Blumenhag  im  städtischen  Museum  zu  Frankfurt 
am   Main    sitzt    neben    einem    Steintisch    und   studiert   eifrig    in    einem 


Abb.  50.  Stefan  Lochner,  Madonna  in  der  Rosenlaube. 
Köln,  Stadt.  Wallr.-Rich.-Museum. 

(Siehe  Seite  80.) 


Buche.  Heilige  Jungfrauen  machen  sich  im  Garten  zu  schaffen;  die 
heilige  Cäcilie  lehrt  den  kleinen  Jesus  das  Zitherspiel.  Auf  einem  Bilde 
der  Pinakothek  zu  München  wird  der  von  heiligen  Frauen  umringten 
Mutter  Gottes  in  einem  Garten  von  Engeln  eifrig  vormusiziert.  Die  un- 
gemeine Zartheit  in  den  Typen  und  Formen  dieser  Komposition,  die  darin 
zum  Vorschein  kommende  Naturfreudigkeit  erinnern  auffällig  an  die  gleich- 
zeitige  sienesische    Kunst.      So    unzweifelhaft    ein    Einfluß    der    Kölner 


*  78  * 

Dominikaner-Mystiker  auf  die  Kunst  ihres  Ordensgenossen  in  Florenz,  Fra 
Angelico,  vorliegt,  ebenso  sicher  dürfte  ein  solcher  sienesischer  Künstler 
auf  die  Kölnische  Schule  festzustellen  sein,  wenn  auch  die  Kanäle,  wo- 
durch die  gegenseitige  Beinflussung  geleitet  wurde,  zur  Zeit  der  Kunst- 
forschung noch  nicht  offenbar  sind. 

Unübertroffen  an  holder,  poetischer  Stimmung  sind  Stefan  Lochners 
(in  Köln  1430  —  1451)  Madonnen.    Dieser  Meister  hat  durch  Beseitigung  der 


Original-Aufnahme. 

Abb.  51.     Kölner  Schule-.    Madonna  mit  Engeln  und  Stifter 
in  der  Lamberti-Pfarrkirche  zu  Düsseldorf. 

(Siehe  Seite  80.1 

Härten  und  Uebertreibungen  das  ihm  vorschwebende  Ideal  nahezu  erreicht, 
eine  überirdische  Unschuld,  Demut  und  Keuschheit  im  Bilde  einer  schönen 
Jungfrau  dem  Auge  begreiflich  zu  machen.  Jene —  mit  dem  Veilchen 
zubenannt  —  (im  Kölner  Erzbischöflichen  Diözesan-Museum  [s.  Abb.  48])  mit 
der  heiligen  Dreieinigkeit,  mit  Engeln,  von  welchen  zwei  hinter  Maria  einen 
gemusterten  Teppich  ausgebreitet  halten,  und  einer  knienden  Stifterin  ist  von 
fast  übertriebener  Zartheit,  ja  Zimperlichkeit,  z.  B.  in  der  Bewegung  der 
linken  Hand,  die  das  Veilchen  hält;  ähnlich  mutet  uns  die  „Mutter  des 
Erlösers"  auf    dem   berühmten    Dombild   an    (s.  Abb.  49);    jene    in   der 


79  * 


Abb.  52.   Martin  Schongauer,  Madonna  im  Rosenhag  mit  den  Distelfinken. 
Colmar,  Münster  St.  Martin. 


(Siehe  Seite  80.) 


*  80  * 

Rosenlaube  (im  Städtischen  Museum)  wirkt  in  ihrer  reizenden  Naivität  wie 
ein  Gedicht  (s.  Abb.  50).  Unsere  Sinne  verwirren  sich,  wir  vermeinen, 
die  Musik  der  Engel  zu  hören,  den  Duft  der  Rosen  einzuatmen.  Durch 
den  der  kölnischen  Schule  eigentümlichen,  poetischen  und  musikalischen 
Geist  erfreut  auch  die  al  fresco  gemalte  Madonna  mit  zwei  musi- 
zierenden Engeln  und  kniendem  Stifter  aus  dem  XV. Jahrhundert 
in  der  Lamberti-Pfarrkirche  zu  Düsseldorf  (s.  Abb.  51). 


Abb.  53.   Matthias  Grünewald,  Madonna  des  Isenheimer  Altars,  Colmar. 

(Siehe  Seite  82.) 

Die  poetische  Stimmung  der  Kölner  Madonnen  wurde  von  jenen  der 
schwäbischen  und  fränkischen  Schulen  niemals  erreicht,  obwohl 
sie  oft  genug  ihre  Motive  von  den  Kölnern  entlehnten,  so  Martin 
Schongauer  (1445  — 1491)  in  seiner  Madonna  im  Rosenhag  im 
Münster  St.  Martin  zu  Colmar  i.  Elsaß.  Der  machtvollen  Gestalt  in  dem 
bauschigen  Gewand  fehlt  jeder  Liebreiz  (s.  Abb.  52). 

In  einem  mehrteiligen  Altarwerk  zu  Berlin,  vermutlich  vom 
Meister    des    Münchener    Marienlebens,     hält    die    mütterliche 


Abb.  54.     Van  Dyck,  Ruhe  auf  der  Flucht. 
München,  alte  Pinakothek. 

i  Siehe  Seite  181.  i 


*  öl   * 


Freude  ausstrahlende  Madonna  ihr  Kind  auf  dem  Schöße.  Dem  Knaben 
reicht  die  heilige  Barbara  eine  Blume  dar.  Katharina  und  Magdalena  sind 
ebenfalls  zugegen.     Unten  kniet  die  Familie  des  Stifters. 


Phot.  Holle. 


Abb.  55.     Matthias  Grünewald,  Madonna  v.  Stuppach. 
(Siehe  Seite  83.) 


Auf   einem    Flügelbilde   des   Isenheimer   Altars   zu  Colmar  i.  Elsaß, 
auf   dem   Maria   voll    Liebe    ihr    Kind   betrachtet,   lernen   wir  Matthias 


Rothes,  Madonna. 


*  82  * 

Grünewald  (von  1475—1530)  als  den  hervorragenden  deutschen  Meister 
in  mystisches  Dunkel  gesetzter,  blendender  Lichteffekte  kennen.  Wie  leuchtet 
das  Körperchen  des  Jesuskindes  (s.  Abb.  53).    In  einem  anderen  Bilde  des 


Phot.  Hanfstaeogl. 

Abb.  56.     Luk.  Cranach,  Madonna  mit  der  Traube.    München,  Pinakothek. 

(Siehe  Seite  83.) 

gleichen  Meisters,  ebenfalls  zu  Colmar  im  Museum,  geben  in  einem 
architektonisch  prächtigen  gotischen  Gehäuse  schier  zahllose  musi- 
zierende Engel  der  heiligen  Jungfrau  ein  Konzert.  Wie  blenden  dies- 
mal in  lichtem  Gewände  jener  große  Engel,  ganz  vorn,  der  einem 
Violoncell,  kniend,  Weisen  entlockt,  und  ein  zweiter  in  der  Nähe,  der  die 


*  83  * 

Violine  spielt.  Zu  des  Meisters  Madonna  von  Stuppach  standen  die 
Naturempfindung  und  die  poetische  Auffassung  der  Kölner  Schule  er- 
sichtlich Pate  (s.  Abb.  55). 


Original- Aufnahme. 

Abb.  57.     Lukas  Cranach,  Madonna  mit  Heiligen. 

Halle  a.  S.,  Marktkirche. 

(Siehe  Seite  83.) 


Lukas  Cranach,  der  Aeltere  (1472 — 1553),  war  ein  eifriger 
Madonnenmaler.  Seine  Mutter  Gottes  in  der  Münchener  Pinakothek,  die 
dem  auf  einem  Kissen  stehenden  Jesuskinde  eine  Traube  darreicht,  ist 
wohl  eine  seiner  gemütvollsten,  besten  (s.  Abb.  56).  Auch  seine  thronende 
Madonna   mit  Heiligen   und    dem   knienden  Stifter   in  der  Stadtkirche  zu 


*  84  * 

Halle  a.  d.  S.  (s.  Abb.  57)  ist  eine  sorgfältig  ausgeführte  Arbeit.  Trotz  seiner 
im  übrigen  offenen  Parteinahme  für  Luther  und  die  kirchlichen  Neurer  im 
späteren  Leben  war  er  doch  mit  deren  Agitation  gegen  den  Marienkultus 
sehr  wenig  zufrieden.  Bis  zu  seinem  Ende,  als  wolle  er  seine  diesbezüglich 
von  den  neuen  Lehrern  abweichende  Meinung  öffentlich  beweisen,  malte  er 
mit  Vorliebe  Marienbilder  und  wurde  auch  mit  entsprechenden  Aufträgen 
von  katholischen  Fürsten  und  Prälaten  reichlich  bedacht.  Trotzdem  Lukas 
Cranach  in  liebevoller  Feinmalerei  die  deutsche  Landschaft  mit  Bergzacken, 
Burgen,  Seen,  dunkeln  Tannen  und  hellen  Birken  unter  Gewitterhimmel  oder 
weißen,  segelnden  Wolken  als  Hintergrund  für  seine  Madonnen  wirkungs- 
voll zu  geben  weiß,  ist  er  doch  schwach  in  der  Stimmung.  Ebenso  ist 
er  in  der  Zeichnung  salopp.  Nur  seine  Farbenwirkung  ist  harmonisch 
und  kraftvoll.  Je  zahlreicher  später  die  Aufträge  bei  ihm  einliefen,  um 
so  flüchtiger,  ja  sogar  nachlässiger  wurde  die  Ausführung.  Einen  bestimmten 
Typus  für  seine  Madonnen  strebte  er  gar  nicht  an.  Jede  Frau  aus  dem 
Volke  war  ihm  als  Modell  gut  genug.  Auf  eine  gewisse  biedere  Herz- 
lichkeit im  physiognomischen  Ausdruck  seiner  Madonnen  nahm  er  Bedacht, 
aber  nicht  auf  Schönheit  oder  gar  Erhabenheit. 

Hans  Holbein  —  nicht  der  Aeltere,  der  in  jener,  in  abgegrenztem 
Raum  mit  Engeln,  die  einen  Teppich  hinter  ihr  und  eine  Krone  über 
ihrem  Haupte  halten,  im  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg,  wohl  seine  be- 
deutendste Madonna  geschaffen  hat,  —  sondern  der  Jüngere  (1497  bis  1543) 
hat  die  berühmteste  deutsche  Madonna  gemalt.  Schon  in  dem 
herrlichen  Madonnenkopf  im  Museum  zu  Basel,  mehr  noch  in  der 
„Madonna  von  Solothurn  zwischen  den  Heiligen  Bischof  Martin  von 
Tours  und  Ritter  Ursus",  im  Privatbesitz  zu  Solothurn,  erfreuen  uns  breite, 
volle  Formen,  warme  Koloristik,  wie  überhaupt  erstklassige,  malerische 
Qualitäten  (s.  Abb.  58). 

Weit  aber  werden  diese  Bilder  übertrumpft  von  den  Vorzügen  der 
weltbekannten  „Madonna  des  Bürgermeisters  Meyer"  (s.  Abb.  59). 

Als  1520  die  Lehren  der  sogenannten  Reformatoren  in  Basel  ein- 
drangen, hielt  der  Bürgermeister  Jakob  Meyer  von  Basel  mit  seiner  Familie 
treu  am  katholischen  Glauben  fest.  Damals  bestellte  Meyer  für  den  Altar 
der  Ratskapelle  eine  Madonna  als  feierliches  Glaubensbekenntnis  und  als 
Vermahnung  an  die  religiösen  Neurer,  die  auch  der  Himmelskönigin 
ihre  hohe  Würde  nicht  gönnten.  Und  Hans  Holbein  der  Jüngere  über- 
nahm den  so  gemeinten  Auftrag,  erfüllte  ihn  aus  vollem  Herzen,  mit  ganzer 
Seele  und  schuf  so  das  hehrste  deutsche  Madonnenbild. 

Warm  getönt,  in  kräftigen,  vollen  Farben  ergreift  uns  das  Gemälde. 
Eine  wahrhaft  majestätische  Erscheinung,  steht  die  Gebenedeite  unter  den 


*  85  * 

Weibern,  höchste  Achtung  und  tiefste  Verehrung  gleichsam  gebietend, 
vor  einer  Nische.  Weiches,  blondes  Haar  umwallt  reich  in  langen  Strähnen 
den  Kopf  Mariens,  den  eine  Krone  schmückt.     Huld  und  Liebe  sprechen 


Abbildung  58.     Hans  Holbein  der  Jüngere,  Madonna  von  Solothurn. 
Im  Privatbesitz  in  Solothurn. 

(Siehe  Seite  84.) 

aus  dem  anmutigen,  vornehmen  Gesichte,  an  das  sich  der  kleine  Jesus 
schmiegt,  der  liebevoll  auf  die  unten  kniende  Stifterfamilie  des  genannten 
Bürgermeisters  weist.  Die  schönen,  fein  modellierten  Köpfe  dieser,  be- 
sonders der  ausdrucksvolle  des  Bürgermeisters,  dann  die  seiner  zwei  Knaben 


86  * 


Phot.  Hanfstaengl. 

Abb.  59.     Hans  Holbein  d.  J.,  Madonna  des  Bürgermeisters  Meyer. 
Darmstadt,  Großherzogl.  Museum. 

(Siehe  Seite  84.) 


*  87  * 

und  der  drei  weiblichen  Personen  sind  hochgepriesene  Schöpfungen 
höchster  Meisterschaft.  Das  Originalgemälde  befindet  sich  im  Darmstädter 
Schloß,  eine  vorzügliche  Kopie  in  der  Galerie  zu  Dresden. 

Wenn  man  Holbeins  Madonnades  Bürgermeisters  Meyer  als  schönstes 
deutsches  Marienbild  rühmt,  soll  man  allerdings  eines  nicht  vergessen 
zuzufügen.  Diese  deutsche  Madonna  ist  eine  Frucht  der  italie- 
nischen Renaissance.  Nur  in  Anlehnung  an  die  großen  Italiener,  und 
zwar  besonders  Venezianer,  Bellini,  Tizian,  deren  Ideal  der  Himmelskönigin 
die  majestätische,  blühende,  schöne  Frau  war  —  während  z.  B.  ein  Burgk- 
mayer  sich  den  Florentiner  Typ  angeeignet  hatte — ,  nur  in  Anlehnung 
an  diese,  wenn  auch  mit  völlig  selbständiger,  germanisch  empfundener 
Verarbeitung  der  Motive,  fand  Holbein  Kraft  und  Mittel,  sein  gewaltiges 
Meisterstück  zu  schaffen. 

Einen  festen  deutschen  Madonnentypus,  etwa  entsprechend  dem 
italienischen,  von  Byzanz  übernommen,  von  den  Sienesen  zuerst  verfeinerten 
und  belebten,  dann  von  Raffael  zu  höchster  Vollendung  gebrachten,  gibt 
es  nicht.  Wohl  gab  es  Anfänge,  Versuche  zu  einem  solchen,  besonders 
in  der  Kölner  Schule.  Dann  aber  kam  die  willkürliche  Modellmalerei  auf. 
Am  wenigsten  —  um  das  vorauszunehmen  -  -  ist  Dürer  zu  einem  Ziele 
gelangt.  Seine  Madonna  ist  bald  „halbes  Kind,  schalkhafte  Jungfrau,  reife 
Mutter  oder  gar  häßliche  Matrone".  Das  Barock  verlor  sich  dann  ins 
Schwärmerisch-Süßliche.  Es  fehlt  zu  keiner  Zeit  an  Studien,  aber  einen 
charakteristischen  deutschen  Madonnentypus  hat  es  nicht  ge- 
geben. 


Deutsche  Bildhauer. 

ie  in  der  deutschen  Malerei  spielte  auch  in  der  deutschen 
Bildhauerkunst  die  Madonna  nicht  die  alle  anderen  Stoff- 
arten fast  verdrängende  Rolle  wie  in  Italien.  Deswegen  fehlt 
es  aber  doch  nicht  an  sehr  zahlreichen  plastischen  Wieder- 
gaben der  heiligen  Jungfrau,  die  aber  nur  zum  Teil  ein  künstlerisches 
Interesse  beanspruchen. 

Man  kann  folgende  Auffassungen  der  deutschen  Bildhauerkunst,  sei 
es  in  Vollplastik,  sei  es  in  Relief,  etwa  scheiden:  1.  Maria  mit  dem  Kinde, 
a)  stehend,  das  Kind  auf  dem  linken  Arm,  in  der  rechten  das  Lilienzepter, 
Regina  coeli  (Beispiel:  Die  Muttergottesstatue  Ludwigs  d.  B.  aus  dem 
Angerkloster  in  München  [s.  Abb.  60]),  seit  dem  14.  Jahrhundert  häufig 
auf  der  Mondsichel   und   vom   Strahlenglanz  umflossen   (nach  Ap.  12.  1. 


mulier  amicta  sole  et  luna  sub  pedibus  eius),  auf  die  Immakulata- 
Darstellungen  hinweisend,  auch  mit  Früchten  oder  Blumen,  die  sie  dem 
Kinde  vorhält  (Mater  amabilis),  b)  sitzend,  das  Kind  steht  oder  sitzt  auf 
ihren  Knien,    oder  sie   drückt   es   mit  beiden  Händen   an  die  Brust  oder 

stillt  es.  2.  Ohne  Kind,  a)  stehend 
und  in  einem  Buche  lesend  als 
Virgosapientissima,  b) neben  ihrem 
verherrlichten  Sohne  sitzend  als 
Sponsa  Dei,  c)  zwischen  Vater  und 
Sohn,  von  letzterem  gekrönt,  Virgo 
icoronata,  auf  die  Darstellungen 
der  „Krönung  Maria"  hinweisend, 
d)  allein  auf  dem  Throne,  von 
Engeln  verehrt,  Regina angelorum. 
Hauptsächlich  in  diesen  Wie- 
dergaben hat  die  deutsche  Bild- 
hauerkunst die  Gottesmutter  viel- 
tausendmal  verherrlicht,  in  Ver- 
bindung mit  der  Architektur  an 
Pfeilern,  Säulen,  Fassaden,  Por- 
talen, in  Lünetten,  im  Tympanon 
vorzüglich  in  der  Steinplastik, 
dann  in  der  Holzschnitzerei,  an 
Altären,  auch  wohl  im  Erzguß, 
z.  B.  an  Reliquienschreinen,  sowie 
in  der  Elfenbeinschnitzerei.  Auch 
hier  ist  das  völlige  Fehlen  eines  vor- 
herrschenden, bestimmten  Typs, 
der  zur  Entwicklung  gelangt  wäre, 
charakteristisch.  In  der  älteren 
Zeit  ist  Anlehnung  an  byzan- 
tinische Muster  nicht  selten,  aber 
auch  dann  mit  plumpen,  ver- 
schrobenen Zügen  untermischt, 
die  der  Roheit  in  der  Modellierung 
des  Ganzen  entsprechen.  Im  Mittel- 
alter und  in  der  späteren  Zeit  bildete  sich  nicht  nur  keine  Schablone, 
sondern  gerade  das  Individuelle  wurde  typisch.  Jeder  Künstler  hat  etwas 
vom  persönlichen  Reiz  eines  Modells  oder  seines  Frauenideals  beigemischt. 
Ganz  individuelle  Schönheiten   sind   die  herrlichen  Madonnen,   besonders 


Abbildung  60. 

Unbek.  Meister  des  XIV.  Jahrhunderts. 

Muttergottesstatue  Ludwigs  d.  B.  aus  dem 

Angerkloster  in  München. 

(Siehe  Seite  S7.) 


89 


aus  dem  XIII.  Jahrhundert  in  Freiberg,  Bamberg,  Trier,  Straßburg,  Freiburg, 
Wimpfen,  bei  welchen  der  Ausdruck  seliger  Mutterfreude  von  den  ver- 
schiedenen Meistern  mit  wachsendem  Erfolge  angestrebt  wurde. 

Das  in  seiner  Art  Beste  und  auch 
wohl  Deutscheste  leistete  die  sächsische 
Plastik,  zumal  der  Meister  der  goldenen 
Pforte  in  Freiberg  (thronende  Madonna 
im  Tympanon)  und  der  Meister  der 
Naumburger  Domstifter.  In  Bamberg, 
Freiburg,  Straßburg  wurden  französische 
Muster  —  oft  genug  ohne  viel  eigenen 
Geist  —  nachgeahmt.  „Wie  Spring- 
fluten brechen  die  gallischen  Einflüsse 
herein."  Maria  wird  nun  auch  wohl 
gelegentlich  zu  einer„Koketten".  Mutter- 
freude soll  ein  nichtssagendes,  konven- 
tionelles Lächeln  widerspiegeln.  Von 
hier  bis  zum  Süßlich-Manierierten  der 
Marienstatuen  des  Barock  war  eigent- 
lich nur  ein  kleiner  Schritt.  Das  frische 
Bürgermädchen,  die  zufriedene  Haus- 
frau der  damaligen  Zeit  blieben  im 
übrigen  Modell  für  die  Marienstatuen. 
Nur  selten  wurde  ein  höheres  Ideal 
durch  sehr  breite  und  hohe  Stirn,  durch 
lieblich  geschwungene  Lippen  erstrebt. 
Sonst  herrscht  peinlicher  Naturalismus. 

Auch  die  Madonnen  eines  bedeu- 
tenden Künstlers  wie  Adam  Krafft 
(ca.  1450—1507),  besonders  die  auf  der 
Pergenstörfferschen  Grabtafel  und  am 
Eckhause  der  Bindergasse  zu  Nürnberg, 
bestätigen  nur  das  Gesagte.  Für  die  in 
Holz  geschnitzten  Marienstatuen  zum 
Schmuck  der  Altäre  gab  lange  die 
Fabrik   des  Michael   Wohlgemuth 

(1434—1519)  in  Nürnberg  den  Ton  an.  Schmächtige  Figur,  runder,  voller, 
ausdrucksloser  Kopf,  müde  Augen  sind  bezeichnend  für  das  Schema,  nach 
welchem  die  Muttergottesfiguren  der  Wohlgemuthschen  Werkstatt  in  jenem 
unruhigen,    knittrigen,    bauschigen    Holzstil    geschnitzt    sind.      Auf    den 


Abbildung  61. 

Tiltn.  Riemenschneider,  Madonna. 
Frankfurt  a.  M. 

(Siehe  Seite  90.) 


*  90  * 


Wohlgemuthschen  Altären  der  Kreuzkapelle  zu  Nürnberg  und  der  Marien- 
kirche zu  Zwickau  aus  dem  Jahre  1479  tritt  uns  dieser  Stil  auffällig  ent- 
gegen.   Die  von  Wohlgemuth  ausgehende  Manier  führte  der  alle  technische 

Schwierigkeiten  der  Schnitzkunst  spielend 
überwindende  Veit  Stofs  (1440—1533)  zu 
einem  Höhepunkt.  Seine  schlanken,  sich 
gleichsam  biegenden  Madonnen,  mit  kühnsten 
Bewegungen,  in  übermäßig  gefaltete  und 
flatternde  Stoffmassen  eingehüllt,  verraten 
gewiß  eine  meisterhafte  Beherrschung  der 
Technik  —  aber  auf  das  Auge  wohltuend 
wirken  sie  nicht.  Erst  in  seinen  Spätwerken 
(Rosenkranztafel,  Englischer  Gruß  in  Sankt 
Lorenz  zu  Nürnberg)  wird  seine  Modellierung 
ruhiger  und  weicher.  Auf  des  Meisters 
Schrein  des  Marienaltars  in  der  Marienkirche 
zu  Krakau  und  auf  dem  Hochaltar  in  der 
Stadtkirche  zu  Schwabach  ist  Maria  als 
Sponsa  Dei  verherrlicht,  auf  dem  Sankt 
Ottomar-Altar  in  der  Jakobskirche  zu  Nürn- 
berg als  Regina  coeli.  —  Der  Rothenburger 
Meister  des  Marienaltars  in  Cr eglingen 
aus  dem  Jahre  1487  hat  sich  einer  weichen, 
großzügigeren  Schnitzart  befleißigt.  Zu  den 
bestmodellierten  gehören  die  des  Meisters 
Tilman  Riemenschneider  aus  Würzburg 
(1460 — 1531).  Die  natürliche  Heiterkeit  seiner 
uns  freundlich  anlachenden  Madonnen,  z.  B. 
im  Städelschen  Institut  zu  Frankfurt  am  Main 
(s.Abb.  61)  und  in  der  Neumünsterkirche  zu 
Würzburg,  wirkt  ungemein  wohltuend. 

Aus  der  schwäbischen  Bildnerschule  be- 
sitzt das  Kaiser  Friedrich-Museum  eine  Mater 
nutriens  aus  Ton  aus  dem  XIV.  Jahrhundert 
und  eine  bemalte  Holzstatuette  aus  dem  XV.; 
hier  hält  Maria  mit  der  rechten  Hand  einen 
Apfel,  mit  der  linken  bewahrt  sie  das  segnende  Kind,  daß  es  nicht  vom 
Schoß  herunterfällt.  Beide  breit  und  flach  wirkende  Arbeiten  lassen  so 
recht  erkennen,  wie  ungleich  Wertvolleres  in  Behandlung  des  gleichen 
Themas  zur  selben  Zeit  die  Plastik  in  Italien  schuf. 


Abb.  62.   Hans  Multscher,  Madonna. 

Stadtpfarrkirche 

zu  Landsberg  a.  L. 

(Siehe  Seite  91.) 


*  91 


Auch  die  bemalte,  von  Engeln  gekrönte  Marienstatue  auf  dem  Hoch- 
altare von  der  Kirche  zu  Blaubeuren  aus  dem  Ende  des  XV.  Jahrhunderts 
kann  den  Vergleich  mit  gleichzeitiger  italienischer  Kunst  nicht  vertragen. 
Der  vom  Künstler  versuchte  Ausdruck  ernster  Milde  im  Antlitz  der  Mutter 
Gottes  und  ihre  mit 
Liebe  und  Fleiß 
durchgebildete 
bauschige  Gewan- 
dung verdienen 
aberalleAnerkenn- 
ung.  Aus  den  glei- 
chen Gründen  ver- 
dient die  Statue  der 
heil.  Mutter  des 
Ulmer  Meisters 
Hans  Multscher 
in  der  Stadtpfarr- 
kirche zu  Lands- 
berg a.  L.  an  dieser 
Stelle  lobende  Er- 
wähnung (Abb. 62;. 
Dauchers  re- 
gina  angelorum 
versucht  die  Poesie 
der  Kölner  Maler- 
schule in  Stein  zu 
geben  iS.  Abb.  63). 
Von  vornehmer 
Bildungistdiel496 
von  Herzog  Sieg- 
mund gestiftete 
schlanke  Statue  der 
betenden  Gottes- 
mutter in  der  Klo- 
sterkirche von  Blutenburg  bei  München,  ein  Meisterstück  aus  der  Blüte- 
zeit der  einheimischen  Schule  Bayerns,  durch  Schönheitssinn  und  mächtigen 
schwungvollen  Gewandstil  weit  aus  der  Zeit  und  Manier  hervorragend. 
Ist  hier  schon  südlicher  Einfluß  wahrscheinlich,  so  tritt  er  in  der  Tiroler 
Schule  noch  mehr  hervor,  besonders  bei  Michael  Pacher  (1430— 1498), 
dessen  Madonnen  (Altäre  inGries,  1471,  Sankt  Wolfgang  1477)  ein  feiner  Sinn 


Abb.  63.     H.  Daucher,  Maria  Königin  der  Engel. 

Relief  in  Solnhofener  Kalkstein,  1520. 

Im  Besitz  des  Fürsten  von  Hohenzollern-Sigmaringen. 

(Siehe  Seite  91.) 


*  92  * 

für  Linienfluß  und  feierliche  Bewegung  auszeichnet.  Ein  niederrheinischer 
Künstler  aus  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  hat  seiner  Madonna,  einer 
sorgfältigen  Schnitzarbeit  in  Buchsbaum,  jetzt  im  Berliner  Museum,  in  für 
seine  Heimat  charakteristischer  Weise  eine  Weintraube  in  die  Hand  gegeben. 


Abb.  64.    Madonna  auf  der  Mondsichel.     Kupferstich. 
(Siehe  Seite  93.) 

Deutsche  Kupferstecher  und  Holzschneider. 

|ie  in  Deutschland  wie  nirgendswo  sonst  gepflegte  Kupferstich- 
und    Holzschnittkunst    widmeten    der    heiligen    Jungfrau 
zahlreiche  Blätter.    Zu  den  frühesten  hier  in  Betracht  kommenden 
Kupferstichen   mag   der   des   Meisters   E.  S.  (um   1440—1480),  genannt 


93  * 


die  „große  Madonna  von  Einsiedeln",  gehören.  Maria  ist  auf  einem 
Postament  thronend  gegeben,  verehrt  von  Heiligen  und  unterhalb  knienden 
Stiftern.  Auf  einer  Em- 
pore ist  die  hl.  Drei- 
einigkeit, umringt  von 
musizierenden  Engeln, 
anwesend.  Der  Stich 
trägt  das  Datum  1466. 
(Hofbiblioth.  in  Wien.) 
Im  Berliner  K.  Kupfer- 
stichkabinett befindet 
sich  eine  thronende 
Madonna  desselben 
Meisters.  Andere  Ku- 
pferstiche zeigen  die 
Art  des  Meisters  E.  S. 
weiter  ausgebildet  (s. 
Abb.  64).  In  der  Ric- 
cardiana  zu  Florenz 
trifft  man  eine  von 
Engeln  verehrte  Ma- 
donna auf  der  Mond- 
sichel des  „Meisters  mit 
den  Bandrollen".  In  der 
Technik  vorgeschritten 
erscheinen  Martin 
Schongauers  Ma- 
donnen „auf  der  Mond- 
sichel" (Wien)  und  „im 
Hofe"  (Berlin).  Ebenda 
scheint  ein  Schrotblatt 
mit  der  heiligen  Jung- 
frau zwischen  musi- 
zierenden Engeln  aus 
der  Kölnischen 
Schule  zu  sein.  „Sal- 
ve Regina",  eine  Holz- 
schnittfolge von  16  Blättern  eines  Regensburger  Meisters  Lienhart  aus  dem 
XV.  Jahrhundert,  sei  hier  erwähnt.  Dargestellt  sind  Wunder,  die  durch  das 
Beten  des  Salve  Regina  auf  Fürbitten  Mariens  geschahen.  Im  16.  Jahrhundert 


Abb.  65.     Hans  Burgkmair,  Maria  mit  dem  Kinde  in 

Holzschnitt. 

(Siehe  Seite  94.) 


*  94  * 

entstanden  ein  Holzschnitt  Burgkmairs  (1472 — 1531)  „Maria  auf  einer 
Terrasse"  mit  der  Unterschrift:  O  mater  Dei,  tnemento  meü,  des  gleichen 
Meisters  Holzschnitt  „Maria  in  einer  Loggia"  (s.  Abb.  65),  ein  herrlicher 
Zweifarben-Holzschnitt  von  Hans  Wechtlin:  „Heilige Jungfrau  im  Garten" 
(Berlin),  zwei  Holzschnitte  Albrecht  Altdorfers  (um  1480—1538)  „Mutter 
Gottes,  vor  der  ein  Mönch  kniet"  (Berlin),  und,  farbig  ausgeführt,  in  Privat- 
besitz, eine  Madonna  mit  der  dreimal  wiederholten  Unterschrift:  „Ganz 
schön  bist  du,  meine  Freundin,  und  ein  Makel  ist  nicht  in  dir".  Altdorfers 
Schüler,  Michael  Ostendorf  er,  verherrlichte  wiederholt  die  „schöne 
Maria  von  Regensburg". 

Auch  Veit  Stoß  hat  sich  als  Kupferstecher  versucht.  Besonders  in 
der  übermäßigen  Faltengebung  der  Gewandungen  seiner  gestochenen 
Madonnen  erkennen  wir  das  Unruhige,  Knitterige,  das  den  Plastiker 
charakterisierte,  sofort  wieder.  In  seinem  Stich  (bei  Passavant  5)  hat  die 
Gottesmutter,  die  in  einem  gotischen  Zimmer  sitzt,  ihr  Kind  eben  aus  der 
Wiege  genommen,  dessen  beide  Händchen  nach  Kinderart  mit  dem  linken 
Füßchen  spielen.  Der  Stich  (Passavant  6)  zeigt  Maria  --  echt  ä  la  Stoß  — 
in  förmlich  gebogener  Stellung.  Das  auf  dem  linken  Arme  sitzende  Kind 
greift  nach  der  Frucht,  die  Mutter  Maria  in  der  rechten  Hand  hält. 

Auf  einem  Holzschnitt  Hans  Holbeins  des  Jüngeren  vom 
Jahre  1520  thront  Maria  zwischen  zwei  weiteren  Schutzheiligen  Freiburgs. 
Drei  sorgfältig  ausgeführte  Tuschzeichnungen  Holbeins  mit  der  Madonna 
—  einmal  nebst  einem  knienden  Stifter,  das  andere  Mal,  wie  sie  im  Begriffe 
ist,  ihr  Kind  zu  nähren,  das  dritte  Mal  es  herzend  —  befinden  sich  im 
Museum  zu  Basel. 


Dürers  Madonnen. 

O  Gottesgebärerin, 

Des  höchsten  Thrones  Himmelskönigin, 
Aller  Sünder  größte  Hoffnung, 
Ich  bitt'  dich  durch  dein  Kindlein  jung, 
Jesum,  der  dich  erschaffen  hat, 
Mach'  mich  würdig  seiner  Erlösungstat! 
Albrecht   Dürer. 

Es  ist  wohl  noch  nicht  so  allgemein  bekannt,  daß  Albrecht  Dürer, 
dieser  anerkannt  leuchtendste  Stern  am  Horizont  der  deutschen  bildenden 
Kunst,  auch  ein  lyrischer  Dichter  war.  Die  als  Motto  gewählten  Verse 
beweisen,  daß  er  diese  seine  Kunst  gern  in  den  Minnedienst  der  Himmels- 
königin stellte.    Noch  ein  anderes,  ebenfalls  weiteren  Kreisen  unbekanntes 


*  95  * 

Gebet  Dürers   in  poetischer  Form  an  Maria   sei  hier  erwähnt,  welches  in 
Lange-Fuhse:  Dürers  schriftlicher  Nachlaß  Seite  94  f.  wiedergegeben  ist: 

Mutter  Gottes,  du  reine  Maid, 

Ich  bitt'  dich  durch  dein  großes  Leid, 

Das  du  hattest  mit  großer  Klag', 

Da  dein  totes  Kind  vor  dir  lag. 

Komm'  mir  zu  Hülf  in  meiner  Not 

Durch  Jesus  deines  Sohnes  bitteren  Tod! 


Phot.  Alinari. 


Abb.  66.     Albr.  Dürer,  Madonna  mit  der  Birne.     Florenz,  Uffizien. 
(Siehe  Seite  97. ) 


Dürer  war  offenbar  ein  treuer  Verehrer  der  Muttergottes  und  aus 
solcher  Gesinnung  heraus  Mariensänger  und  —  Madonnenmaler.  Auf 
diesen  frommen  Sinn  Dürers  mußte  mit  besonderer  Betonung  hingewiesen 
werden,  um  Behauptungen  als  irrig  zu  erweisen,   die  da  verkünden,  „die 


96  * 


kirchlichen  Vorstellungen  hätten  ihre  absolut  zwingende  Gewalt  verloren", 
„der  innere  Anteil  an  den  im  Bilde  zu  fassenden  religiösen  Vorstellungen 
sei  im  Erlöschen  begriffen  gewesen". 

Albrecht  Dürers 
(1471—1528),  des  be- 
kanntesten deutschen 
Meisters,  Muttergottes- 
Darstellungen  mögen 
dann  hier  endlich  ge- 
sondertbetrachtet sein. 
In  keiner  derselben  ver- 
leugnet sich  der  ker- 
nige, urwüchsig  derbe, 
scharf  markierende, 
mehr  Richtigkeit  als 
Schönheit  anstrebende 
Real  ismus  seiner  Kunst- 
betätigung. Von  seinen 
Oelgemälden  seien 
erwähnt:  „Maria,  das 
Kind  anbetend",  mit 
den  Heiligen  Antonius 
und  Sebastian,  1496, 
Dresdener  Galerie,  die 
beiden  sog.  „Fürlege- 
rin"-Bilder  aus  dem 
Jahre  1497  in  der  Augs- 
burger Galerie  und 
dem  FrankfurterStädel- 
schen  Institut,  die  beide 
als  Madonnenstudien 
gelten  dürfen;  „Maria 
mit  Kind",  1503,  Hof- 
museum zu  Wien;  die 
betende  heilige  Jungfrau  auf  dem  Flügel  des  Altarwerkes  der  Geburt  Christi 
(1504)  in  der  Pinakothek  zu  München;  „Madonna  mit  dem  Zeisig",  1506, 
Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin;  „Madonna  mit  der  Schwertlilie",  1508, 
Rudolfinum  zu  Prag;  Marienbild,  1512,  Hofmuseum  zu  Wien,  „Madonna 
mit  der  Nelke",  151(5,  Augsburger  Galerie;  „Maria  mit  Kind"  und  „betende 
Maria",  beide  aus  dem  Jahre  1518  und  im  Museum  zu  Berlin;  „thronende, 


Abb.  67.    Albr.  Dürer,  Die  Madonna  mit  der  Meerkatze. 
Kupferstich  aus  dem  Jahre  1505. 

(Siehe  Seite  97.) 


*  97  * 

nährende  Mutter  Gottes  mit  musizierendem  Engel",  1519,  Steiermärkische 
Landesgalerie  zu  Graz;  „Madonna  mit  der  Birne",  Uffizien  zu  Florenz 
(s.  Abb.  66),  aus 
dem  Jahre  1526. 
Von  Dürers 
Kupferstichen 
mögen  genannt 
sein:  „Maria  auf 
dem  Halbmond", 
1494;  „Mater 
nutriens','  1503; 
„Madonna  mit 
der    Meerkatze", 

1505  (s.  Abb. 
67);  „Himmels- 
königin nach  der 

Apokalypse", 
1508;  „Maria  mit 
derBirne",1511(s. 
Abb.  68);  „Maria 
amBaume",1513; 
„Apokalyptische 
Madonna",  1514; 
„Maria  an  der 
Mauer",  1514  (s. 
Abb.  69);  „Apo- 
kalyptische Him- 
melskönigin", 
1516;  „Madonna, 
von  Engeln  ge- 
krönt", 1518; 
„Nährende  Mut- 
ter Gottes",  1519; 
„Maria  mit  dem 

Wickelkind",  1520;   „Madonna,  von  einem  Engel  gekrönt",    1520;    „Maria 
am  Hoftor",  1522. 

Endlich  sei  auf  folgende  Holzschnitte  Dürers  aufmerksam  ge- 
macht: Apokalyptische  Himmelskönigin  auf  dem  Titelblatte  der  Offen- 
barung Johannis,    1511;    Folge   des  Marienlebens,   20  Blätter   1511   (vor 

1506  nur  das  Titelblatt:  Apokalyptische  Madonna),  (s.  Abb.  70);  Maria,  die 


Abb.  68.     Albr.  Dürer,  Madonna  mit  der  Birne. 
Kupferstich  aus  dem  Jahre  1511. 

(Siehe  Seite  97.) 


Rothes,  Madonna. 


98 


4s?f 


Königin  der  Engel,  1518.     Dann  geben  noch  55  Zeichnungen  Dürers  die 
Gottesmutter  wieder. 

Albrecht  Dürers  Mariendarstellungen  sind  ein  familiär-ansprechendes 
und  devotionelles  Element  fast  durchgängig  eigen.  Je  nachdem  sie  nach 
seinen  Auslandsreisen  entstanden  sind,  kann  man  italienische  bezw.  nieder- 
ländische Einflüsse  wahrnehmen.    Es  ist  für  den  Idealismus  des  Meisters, 

der  allzeit  ein  frommer  Verehrer 
der  heiligen  Gottesmutter  war, 
charakteristisch,  daß  gerade  in 
seinen  letzten  Jahren,  als  von 
der  Kirche  Abtrünnige  die 
Marienverehrung  bekämpften, 
Dürer  in  demonstrativer  Weise 
in  seinen  Darstellungen  —  wie 
übrigens  auch  in  lyrischen  Ge- 
dichten -  -  Maria  als  die  Ver- 
ehrung heischende  Königin  des 
Himmels,  der  Engel,  der 
Heiligen  und  Menschen  feierte. 
Wie  des  Meisters  frühestes 
Marienbild,  eine  Federzeich- 
nung von  1485  im  Kupfer- 
stichkabinett zu  Berlin,  die 
heilige  Jungfrau  gekrönt, 
thronend,  von  musizierenden 
Engeln  verehrt,  zeigt,  so  waren 
seine  letzten  Arbeiten,  Skizzen, 
noch  eine  große  Huldigung 
gleichsam  für  die  Madonna.  Auf 
hohem  Throne  sitztdes  Himmels 
Königin;  Propheten  des  Alten 
Testamentes,  Heilige,  Engel  und 
Menschen  umringen,  loben  und  verehren  sie.  Die  Skizze  war  als  Vorarbeit 
für  ein  großes  Gemälde  gedacht,  dessen  Ausführung  der  Tod  des  Malers 
verhinderte.  Aber  auch  die  Skizzen  sagen  uns,  was  das  Gemälde  werden 
sollte:  ein  feierlicher  Protest  des  treu  deutschen  und  treu  katholischen 
Dürer  gegenüber  den  von  der  katholischen  Wahrheit  Abgefallenen,  welche 
die  unvergleichliche  Würde  der  hl.  Mutter  des  Herrn  verkannten. 

Auf  dem  frühesten  Marienbilde  Dürers  (s.  Abb.  71),  der  Berliner  Feder- 
zeichnung aus  dem  Jahre  1485,  ist  also  dargestellt  die  thronende  AAuttergottes 


Abb.  69.     Albr.  Dürer,  Madonna  an  der  Mauer. 
Kupferstich  aus  dem  Jahre  1514. 

(Siehe  Seite  97.) 


*  99  * 

mit  zwei  musizierenden  Engeln,  im  Sinne  des  Zeitalters  der  Madonnen 
Memlings  mit  dem  Charakter  hieratischer  Zierlichkeit,  in  der  Formauf- 
fassung ein  Stück  echt  altnürnberger  Kunst  aus  der  Schule  eines  Wohl- 
gemuth.  Von  diesem  Frühwerk  aus  wird  dann  der  große  Weg  betreten 
in  der  Entwicklung  des  Dürerschen  Marienbildes  zum  Freieren  der 
Komposition,  zum  Intimeren,  Herzlicheren  des  seelischen  Gehalts,  besonders 


Abb.  70.     Albr.  Dürer,  Maria  mit  dem  Kinde  auf  der  Mondsichel. 
Holzschnitt,  Titelblatt  zum  „Marienleben". 

(Siehe  Seite  97.) 


der  Beziehungen  zwischen  Mutter  und  Kind,  zum  formal  Vollkommeneren, 
zum  Grandios-Feierlichen  der  letzten  Altarbildentwürfe.  Das  Typisch- 
Germanische  in  frühen  Darstellungen,  wie  Maria  mit  der  Meerkatze,  Maria 
mit  den  vielen  Tieren,  mit  dem  Betonen  von  Geologischem,  Botanischem, 
Zoologischem  in  der  Maria  umgebenden  Landschaft,  wobei  diese  nicht 
selten  fast  ein  höheres  Interesse  beansprucht  als  Maria  selbst,  bildet  einen 
Gegensatz  zu  den  Madonnendarstellungen,  welche  rein  italienisch  empfunden 


*  100  * 

sind  —  zu  den  Bildern  der  Madonna  mit  Heiligen  (s.  Abb.  72)  im  Sinne  der 
italienischen  Sacra  conversazione-Tafeln  mit  italienisierter  Formengebung,  mit 


Abb.  71.    Albr.  Dürers  frühestes  Marienbild:  Madonna  mit  den  zwei  Engeln, 

Federzeichnung  von  1485.     Berlin,  Kupferstich-Kabinett. 

(Siehe  Seite  98.) 

völligem  Verzicht  auf  jedwede  Umgebung  zugunsten  hieratischer  Feierlichkeit. 
Jedoch  auch  Dürers  Madonnen  sind  nach  der  zweiten  italienischen  Reise 
(etwa  1506—1511)   häufig   von   dem   Schreckbild   des   Manierismus   nicht 


*  101   * 


«.       i?     ~«ss». -^31    '         V'    \  vis 


*  102  * 

weit  entfernt;  die  Tendenz  zu  derber  Formenkraft  bedingt  oft  ein  Aus- 
einanderzerren der  Stimmung;  betonte  äußere  formale  Schönheit  wird  oft 
mit  innerer  Gleichgültigkeit  erkauft. 

Mit  dem  Jahre  1512  ist  bei  Dürer  eine  Vervollkommnung  zu  kon- 
statieren. Anmutigere  Formengebung  ist  größerer  Verinnerlichung  des 
Themas  nicht  mehr  hinderlich.  Die  Form  verbindet  sich  wieder  mit  dem 
seelischen  Gehalt  des  Bildes.  Zeichnungen  der  heiligen  Jungfrau,  wie  jene 
aus  dem  Jahre  1514  (Oxford,  L.  395,  Berlin,  L.  30)  und  dem  Jahre  1515 
(Windsor,  L.  390),  sind  hierfür  besonders  charakteristisch. 

Das  für  die  Spätmadonnen  des  Meisters  vom  Jahre  1518  an,  dem 
Jahre  nach  Luthers  Thesenanschlag,  hervorragend  charakteristische  Merkmal 
faßt  Wölfflin  in  seinem  ausgezeichneten  Buche  (Die  Kunst  Albrecht  Dürers, 
S.  217)  kurz  dahin  zusammen:  „Man  sieht  einen  Stil  sich  vorbereiten, 
der  noch  entschiedener  auf  monumentale  Wirkung  ausgeht!  Maria  rückt 
in  zentrale  Frontstellung.  Das  Bildganze  wird  wichtiger,  und  der  Raum 
immer  massiger  gefüllt.  Und  dabei  geht  die  Absicht  unmittelbarer  als 
vorher  auf  das  ausgesprochen  Feierliche;  große  krönende 
Engel  stellen  sich  ein,  und  ungewöhnliche  Lichterscheinungen  sollen 
den  Eindruck  des  Sakralen  unterstützen."  Von  derartigen  charakteri- 
stischen Blättern  seien  erwähnt:  zwei  Madonnen  mit  je  zwei  krönenden 
Engeln,  von  1518  (B.  39  und  B.  101)  (s.  Abb.  73),  ferner  drei  Arbeiten  aus 
dem  Jahre  1519:  Maria  mit  heiliger  Sippe  und  krönenden  Engeln  (Louvre, 
L.  322);  Maria  mit  vielen  Engeln  (Berlin,  L.  16);  Maria  mit  musizierendem 
Engel  (Windsor,  L.  391)  (s.  Abb.  74). 

Die  letzten  Ringe  in  dieser  Kette  kirchlich-sakraler,  wahrhaft  weihe- 
voller Mariendarstellungen  Dürers  bilden,  wie  schon  erwähnt  wurde, 
Skizzen,  Vorzeichnungen  zu  einem  großen  Altargemälde,  welche  die 
thronende  Königin  des  Himmels,  umgeben  von  vielen  verehrenden  Heiligen, 
zeigen.  Die  vier  bekanntesten  Fassungen  befinden  sich  in  Paris,  und 
zwar  drei  in  der  Sammlung  Bonnat,  eine  im  Louvre  (s.  Abb.  75).  Detail- 
skizzen hierzu  sind  ebenfalls  noch  vorhanden,  z.B.  in  Berlin  (L.  65);  andere, 
vermutlich  gerade  die  letzten  Vorarbeiten  zu  dem  großen  Gemälde,  dürften 
verloren  gegangen  sein.  Bis  zuletzt,  bis  Krankheit  und  Tod  die  Ausführung 
hinderten,  arbeitete  seine  Phantasie  an  dem  großen  Altarbilde. 

Nichts  erscheint  begründeter  als  die  Annahme,  daß  die  letzten  Striche 
an  der  letzten  Skizze  für  das  große  Marienbild  in  sein  Todesjahr,  1528, 
fallen.  Und  sein  berühmtes,  zuletzt  geschaffenes  Werk,  die  Tafeln  mit 
den  vier  Aposteln,  sind  sie  nicht  als  Stücke,  d.  h.  als  zwei  Seitenteile 
eines  Triptychons  gedacht?  Sollte  das  Mittelstück  die  thronende  Madonna 
werden? 


*  103  * 

Das  Ende   des  Dürerschen  Marienbildes   hängt   nach    Heydrich   mit 
der  veränderten  Anschauung  der  Reformation  über  den  Madonnenkultus 


tSK, 


Abb.  73.     Albr.  Dürer,  Madonna  mit  krönenden  Engeln. 
Zeichnung  aus  dem  Jahre  1518. 

(Siehe  Seite  102.) 


zusammen.     Genau   das  Gegenteil  ist  zu   konstatieren.     Es  fällt 
so  in  die  Augen,  daß  es  gar  nicht  zu  leugnen  ist:    Vom  Jahre  1518  an,' 
gerade  als  man  sich  gegen   die  Marienverehrung  wandte,   und  als  sich 


*  104  * 

der  Vandalismus  der  Bilderstürmer  zeigte,  feierte  Dürer  in  demonstrativer 
Weise  Maria  als  die  Verehrung  heischende  Königin  des  Himmels.    Es  ist 


Abb.  74.     Albr.  Dürer,  Madonna  mit  musizierendem  Engel 
Zeichnung  aus  dem  Jahre  1519. 

(Siehe  Seite  102.) 


durchaus  nicht  bedeutungslos,  sondern  sehr  vielsagend,  daß  Dürer  selbst 
nach  der  offiziellen  Einführung  der  Reformation  in  Nürnberg  noch  weiter 
das  Madonnenthema  behandelt,  daß  aus  dem  Jahre  1526,  zwei  Jahre  vor 


105  x 


*  106  * 

dem  Tode  des  bereits  kränklichen  Meisters,  noch  mindestens  drei  datierte 
künstlerische  Verherrlichungen  der  Gottesmutter  stammen,  eine  Zeichnung, 
ein  Holzschnitt  und  ein  Gemälde. 

Wie  die  lyrischen  Gebetsdichtungen  Dürers  dieses  Kapitel  über 
Dürer  begannen,  so  mögen  andere  Worte  von  ihm,  die  des  Meisters 
Gesinnung  ebenso  unwiderlegbar  klarstellen,  dieselbe  schließen.  Auf 
einem  in  der  Koburger  Kupferstichsammlung  befindlichen  Exemplare  des 
1522  entstandenen  Holzschnitts  Ostendorfers,  welcher  die  Verehrung  der 
sogen,  „schönen  Maria  von  Regensburg"  darstellt,  schrieb  Dürer  1523 
eigenhändig  nach  einem  Vermerk,  daß  Neurer  die  Anordnung  des 
Bischofs  von  Regensburg  nicht  befolgten,  das  Gnadenbild  in  Ehren  zu 
halten,  die  Worte:  „Gott  helfe  uns,  daß  wir  die  werte  Mutter  des  Herrn 
nicht  also  verunehren,  sondern  ehren  in  Christo  Jesu.  Amen."  (Siehe  Lange- 
Fuhse,  Dürers  schriftlicher  Nachlaß,  S.  381.) 


Niederländische  Malerschulen. 

(Vlamen  und  Holländer.) 

iie  Gebrüder  Hubert  und  Jan  van  Eyck  (1370—1426  bezw. 
1390—1441)  sind  die  Führer  der  niederländischen  Maler- 
schulen. Huberts  Vorzeichnung,  aber  schon  Jans  Pinsel 
dürfte  die  gekrönte,  sitzend  betende  Madonna  auf  einem  Flügel 
des  berühmten  Genter  Altarbilds  zu  St.  Bavon  entstammen,  welcher  die  gut 
ausgeführte  betende  heil.  Jungfrau  in  der  Kgl.  Gemäldegalerie  zu  Berlin  ent- 
spricht (s.  Abb.  76).  Das  früheste  Marienbild  Jans  dürfte,  abgesehen  hiervon, 
die  mit  ihrem  Kinde  zusammen  in  einem  Buche  blätternde,  sitzende  Mutter 
Gottes  in  der  englischen  Sammlung  Weld-Blundell  zu  Incehall  sein.  Auf 
des  Meisters  reifste  Zeit  gehen  folgende  Madonnen  zurück:  jene  thronende 
mit  zwei  Heiligen  und  dem  prächtigen  Stifter  in  der  Akademie  zu  Brügge, 
genannt  Madonna  des  Kanonikus  Pala  (s.  Abb.  77);  die  in  herrlicher  gotischer 
Architektur  mit  Stifter  in  der  Gemäldegalerie  zu  Antwerpen;  eine  ähnliche 
Federzeichnung  in  der  Sammlung  Robinson  zu  London;  ein  gleichartiges  Ge- 
mälde im  Berliner  Museum,  jene  in  dem  perspektivisch  wunderbar  gegebenen 
Kirchenraum  auf  dem  Reisealtärchen  der  Dresdner  Galerie;  die  thronende, 
nährende  Mutter  Gottes  im  Städelschen  Institut  zu  Frankfurt  am  Main;  die 
Madonna  des  Hauses  Rothschild  zu  Paris;  die  Madonnen  „am  Springbrunen" 
zu  Antwerpen  und  Berlin;  endlich  die  hervorragende,  nach  dem  knienden  Stifter 
benannte  „Madonna  des  Kanzlers  Rolin"  im  Louvre  zu  Paris  (s.  Abb. 78). 
Die  Kunst  des  Jan  van  Eyck  hat  sich  an  der  vorangegangenen  Plastik 
und  den  vorliegenden  Miniaturen  gebildet.     Und  zwar  gehen  speziell  für 


*  107  * 


die  Madonnengestaltung  die  schlanke  Erscheinung,  die  Ruhe  und  Majestät, 
der  Faltenwurf  der  Gewandung  auf  plastische  Vorbilder  zurück;  die 
steinerne  Statue  einer 
sitzenden  Madonna  in 
der  Johanneskirche  zu 
Lüttich,  eine  im  erz- 
bischöflichen Museum 
zu  Utrecht,  eine  mar- 
morne in  der  Kathe- 
drale von  Antwerpen, 
eine  hölzerne  aus 
Brügge  aus  der  Samm- 
lung des  OrafenDurrieu 
waren  geeignete  Vor- 
bilder. Die  Kompo- 
sition der  Gottesmutter 
mit  Stiftern  und  Hei- 
ligen, ein  Lieblings- 
thema der  van  Eyck 
und  ihrer  Nachfolger, 
fand  sich  ebenfalls,  in 
Relief,  z.  B.  auf  dem 
Grabstein  des  Lanzelot 
von  Bertaimont  in 
der  Kirche  von  Saint 
Maudrou  zuMons,  aus 
dem  Jahre  1418,  zur 
Nachahmung  ein- 
ladend, schon  vor.  Von 
Miniaturen  dagegen  ist 
der  physiognomische 
Typus  van  Eyckscher 
Himmelsköniginnen 
abgeleitet.  Das  rund- 
liche Köpfchen,  die 
zarten  Hände  mit  den 

spitzen  Fingern,  das  von  der  hohen  Stirn  zurückgekämmte  Haar,  das  in 
langen  Strähnen  über  Hals  und  Nacken  wallt,  die  ziemlich  kleinen,  etwas 
verträumt  dreinschauenden  Augen,  die  längliche  Nase,  das  feine  Mündchen 
mit  den  gewellten  Lippen,  schließen  sich  völlig  an  den  Typus  an,  wie  er 


Phot.  Haufataengi. 

Abb.  76.     Hub.  und  Jan  van  Eyck,  Maria. 
Berlin,  Kgl.  Gemäldegalerie. 

(Siehe  Seite  106.) 


*  108  * 

in  niederländischen,  burgundischen,  französischen  Miniaturen  zur  Regel 
geworden  war.  Man  vergleiche  als  Beispiele  die  Chronik  von  Cluny, 
ca.  1200,  Psalter  für  Ludwig  den  Heiligen  in  der  Pariser  Nationalbibliothek, 
Bibel  des  Johannes  von  Brügge  im  Museum  Westrhenianum  zu  Haag, 
das  livre  d'heure  du  duc  de  Berry  zu  Chantilly,  usf. 


Abb.  77.    Jan  van  Eyck,  Madonna  des  Canonicus  Pala  (Brügge). 
(Siehe  Seite  1 06. i 

Für  die  van  Eycksche  Auffassung  der  Madonnen  sind  charakteri- 
stisch: edle  Einfalt,  stille  Größe,  feierliche  Ruhe  des  Ausdrucks,  plastischer 
Faltenwurf  der  Gewandung,  ausgebildeter  Sinn  für  Perspektive,  Natur- 
schönheit und  mächtige  Architektur  des  Hintergrunds,  warmes,  harmonisch 
gestimmtes  Kolorit.  Namentlich  letzterer  Punkt  kann  nicht  wundernehmen, 
da   ja    doch    die    Gebrüder    van    Eyck    als    erste    in    der    Kunst  für   die 


*  109  * 

Oelfarbe  dauernde  Verwendung  erwirkten.  Maria  hat  meist  außer  Heiligen 
kniende  Stifter  in  ihrer  Nähe;  nirgends  findet  man  diese  Stifterbilder  so 
häufig  wie  in  der  altniederländischen  Kunst.  Als  Himmelskönigin  voller 
Feierlichkeit  und  Erhabenheit,  ja  fast  mit  einem  Zuge  des  Unnahbaren 
erscheint  sie  durchweg,  obwohl  sie  der  Maler  immer  vom  Himmel  herab 


Abb.  78.     Jan  van  Eyck,  Madonna  des  Kanzlers  Rolin.     Paris,  Louvre. 

(Siehe  Seite  106.) 


auf  die  Erde  versetzt,  mit  Vorliebe  in  eine  geräumige  gotische  Kirche, 
aber  auch  in  eine  Halle  oder  Loggia,  mit  Durchblick  in  weite  Natur. 
Ohne  an  Feierlichkeit  dadurch  einzubüßen,  wirkt  am  innigsten  in  der 
Empfindung  Jans  „Madonna  am  Springbrunnen"  in  Antwerpen.  Hier  hat 
die  altkölnische  Schule  eingewirkt.  Maria  steht  in  einem  Blumengarten; 
vor  ihr,  rechts,  plätschert  ein  Brunnen.    Das  Motiv,  daß  Engel  hinter  der 


*   110  * 

heiligen  Jungfrau  einen  Teppich  ausgebreitet  halten,  das  Jan  hier 
verwertet,  war  ebenfalls  gerade  bei  den  Kölnern  sehr  beliebt;  schon  vorher 
kommt  es  in  Italien  vor.  Lorenzo  Monaco,  Fra  Angelico  bedienen  sich 
seiner.  Diese  übernahmen  es  aus  Siena.  Der  sienesischen  Malerschule 
gebührt  die  Ehre  der  Erfindung  des  Motivs,  das  auch  Jan  van  Eyck  auf 
seiner  Modonna  am  Springbrunnen  zu  schöner  Geltung  bringt,  das  sich 
übrigens  auch  in  Frankreich  eingebürgert  hat,  so  in  einem  Wandgemälde 
der  Kathedrale  von  Clermont  (XIV.  Jahrhundert),  im  Widmungsbilde  der 
Handschrift  Cite  de  dieu  (Paris,  bibl.  frang.  nat.  22,  912)  und  auf  einem 
Bilde  von  1421  im  Hospiz  Belle  zu  Ipres. 

Mit  diesen  Angaben  über  die  Kunst  des  Jan  ist  nicht  nur  die  van 
Eycksche  Schule  charakterisiert,  sondern  mehr  oder  weniger  die  ganze 
frühniederländische  Kunst.  So  halten  sich  die  Arbeiten  des  Petrus 
Christus  (gest.  um  1475):  „Heilige  Jungfrau  mit  den  Heiligen  Franz  und 
Hieronymus"  im  Städelschen  Institut  zu  Frankfurt  am  Main;  „Madonna 
mit  Heiligen  und  Stifter"  in  der  Sammlung  Rothschild  zu  Paris;  „Madonna 
mit  Stifter"  im  Berliner  Museum  und  in  der  Wiener  Albertina,  Madonna 
im  Metropolitan-Museum  zu  Newyork,  in  vielen  Beziehungen  an  die 
van  Eycksche  Art.  Künstlerischen  Fortschritt  betätigt  Petrus  Christus  darin, 
wie  er  die  heilige  Mutter  und  die  sie  umgebenden  Personen  kunstvoll 
in  den  Raum  hineinkomponiert.  Er  ist  nicht  mehr  mit  ungefähr  richtig 
gegebener  Perspektive  zufrieden,  sondern  er  konstruiert  den  Raum  nach 
mathematisch  berechenbaren  Gesetzen. 

Eine  Künstlergestalt,  die  gleichzeitig  neben  Jan  van  Eyck  wirkte, 
kaum  viel  weniger  interessant,  wenn  auch  weniger  vielseitig  und  scharf 
individualisierend,  weniger  losgelöst  vom  Mittelalterlichen  und  weniger 
selbständig,  weniger  epochemachend,  aber  in  seiner  Zeit  kaum  weniger 
berühmt,  war  Rogier  van  der  Weyden  aus  Tournai  (1400 — 1464). 
Auf  Rogier  führt  man  Madonnen  in  Wien,  London,  Berlin,  Antwerpen 
und  —  noch  am  besten  beglaubigt  —  im  Städelschen  Institut  zu  Frankfurt 
am  Main  zurück.  Sehr  berühmt  und  gefeiert  war  die  Komposition:  wie 
der  heilige  Lukas  die  Madonna  malt;  sie  ist  nur  in  vier  Repliken:  Peters- 
burg, in  der  Sammlung  Wilczek,  im  Museum  zu  Boston,  und  —  die  beste  — 
in  der  alten  Pinakothek  zu  München  (s.  Abb.  79),  erhalten.  Die  Komposition 
geht  sicher  auf  Rogier  zurück.  In  dem  malenden  heiligen  Lukas  liegt 
sein  Selbstporträt  vor.  Das  beweist  ein  Vergleich  mit  dem  Porträtbild 
Rogiers  in  der  Galerie  zu  Hermannstadt.  In  der  Auffassung  war  Rogier 
von  Jan  van  Eycks  Madonna  des  Kanzlers  Rolin  hier  abhängig.  Nicht 
nur  die  Gegenüberstellung  der  beiden  Hauptfiguren  ist  parallel,  nicht  nur 
die   offene    Halle,    in    der   sich    die   Szene   abspielt,    mit   Durchblick   auf 


*  111  * 

Landschaft   und    Fluß    ist    gleichartig,    nein,    die  Uebereinstimmung   der 
beiden  Gemälde   geht   bis   zu   demselben  Muster  der  Säulenkapitäle,  bis 


Phot.  Haüfstaengl.  ~ 

Abb.  79.    Rogier  van  der  Weyden,  Der  hl.  Lukas,  die  Madonna  malend. 
München,  Pinakothek. 

(Siehe  Seite  110.) 


zu  dem  Motiv  des  Fensters  über  dem  Durchblick  der  Halle,  bis  zu  den 
zwei  kleinen  Staffagefigürchen  in  halber  Ferne,  die  in  den  Fluß  schauen. 


*   112  * 

Aber  eines  ist  auch  sofort  erkennlich:  van  Eyck  detailliert  viel  mehr,  weit 
subtiler,  namentlich  den  landschaftlichen  Hintergrund  und  den  Fußboden 
der  Halle,  während  bei  Rogier  offensichtlich  die  Madonna  und  der 
heilige  Lukas  Hauptsache,  alles  andere  im  Bilde  aber  eben  Neben- 
sache bleiben. 

Unter  dem  Einflüsse  seiner  Italienreise  steht  Rogiers  „Madonna  mit 
Heiligen"  im  Städelschen  Institut  zu  Frankfurt  am  Main.  Und  zwar  hat 
sich  an  einen  bestimmten  Meister  Rogier  in  ganz  auffallender  Weise 
gehalten,  an  Fra  Angelico  da  Fiesole.  Maria  steht  auf  einer  Estrade  vor 
einem  Kriegszelte,  dessen  Vorhang  Engel  zurückschlagen.  Die  Motive  des 
Kriegszeltes  wie  der  haltenden  Engel  sind  von  Fra  Angelico  entlehnt, 
wenn  auch  das  Motiv  des  Kriegszelts  bereits  in  altniederländischen  Minia- 
turen vorkommt,  so  in  den  tres  riches  heures  du  Chantilly  und  in  den 
heures  de  Turin.  Von  Fra  Angelico  stammt  die  bisher  ungewohnte,  engere, 
geschlossenere  und  zugleich  belebtere  Gruppierung  der  Heiligen  um  die 
Gottesmutter,  von  ihm  die  gemalte  Leiste,  die  in  ihrer  Profilierung  das 
Bild  nach  unten  abschließt,  von  ihm  das  blumige  Terrain  und  vor  allem 
die  Vase  mit  Blumen  zu  Füßen  der  heiligen  Jungfrau.  Im  Anschluß  an 
Fra  Angelico  ist  selbst  das  Gesicht  Mariens  hier  feiner  und  ovaler  geworden 
gegenüber  den  noch  breiteren,  derberen  Formen  der  Madonna  mit  dem 
heiligen  Lukas,  die  dem  van  Eyckschen  Typus  verwandt  sind.  Die  weit- 
gehende Beeinflussung  Rogiers  durch  Fra  Angelico  ist  leicht  erklärlich. 
Beide  Meister  arbeiteten  -  -  wenn  auch  nicht  gleichzeitig  —  in  Florenz 
für  Cosimo  von  Medici,  ersterer  die  eben  besprochene  Madonna,  die 
außer  von  Petrus  und  Johannes  dem  Täufer  von  den  beiden  Patronen 
des  Hauses  Medici,  Kosmas  und  Damian,  umgeben  ist,  letzterer  in  der 
Zelle  des  Klosters,  die  sich  Cosimo  für  sich  selbst  einrichten  und  ausmalen 
ließ.  Wie  müssen  des  Fra  Angelico  Fresken  in  San  Marco  und  des 
frommen  Klosterbruders  Kunst  überhaupt  den  gleichgestimmten  Rogier 
zur  Nachahmung  begeistert  haben !  Auch  in  anderen  Bildern,  die  hier  zu 
besprechen  außerhalb  unseres  Themas  liegt,  sind  die  Uebereinstimmungen 
in  der  Kunst  Rogiers  und  des  Mönches  von  San  Marco  geradezu  in 
Erstaunen  setzend.  Diese  hochwichtige  Tatsache  wurde  aber  auch  in  den 
neuesten  Forschungen  über  altniederländische  Kunst,  speziell  über  Rogier, 
wieder  völlig  übersehen ;  sie  sei  daher  an  dieser  Stelle  —  zum  ersten- 
mal —  besonders  stark  betont. 

Auf  Rogier,  der  die  Anregung  dazu  aus  Italien  mitbrachte,  geht  auch 
das  niederländische  Halbfigurenbild  der  Madonna  zurück,  das  Maria 
gleichsam  als  Porträt  nach  der  Weise  weltlicher  Personendarstellung  zeigt. 
Solche  Bilder  sind   z.  B.  im   Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin,  in  der 


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*   113  * 

Galerie  zu  Antwerpen,  im  Städelschen  Institut  zu  Frankfurt  am  Main,  in 
der  Sammlung  Traumann  zu  Madrid  (dort  dem  Gerhard  David  zu- 
geschrieben) und  im  Suermondt-Museum  zu  Aachen  (dort  dem  Meister 
der  Ursulalegende  zugeschrieben). 

Ebenfalls  Halbfigurenbilder  der  Mutter  Gottes  werden  dem  Hugo 
van  der  Goes  (ca.  1440—1482)  zuerkannt:  Triptychon  mit  Stiftern  im 
Städelschen  Institut  zu  Frankfurt  am  Main,  in  der  Gemäldegalerie  zu 
Kassel,  in  der  Sammlung  Layard  zu  Venedig  und  im  Bargello  zu  Florenz. 
Auf  diesen  Halbfigurenbildern  nun  ist  Maria  weiter  sichtbar  als  auf  jenen 
des  van  Rogierschen  Typs:  bis  über  die  Hüften.  Das  Verhältnis  zwischen 
Mutter  und  Kind  ist  abwechslungsreicher,  origineller  gestaltet.  Auf  dem 
Frankfurter  Bilde  hebt  der  älter  als  sonst  bei  den  Niederländern  gegebene 
Knabe  eine  Nelke  empor  mit  einer  Gebärde,  als  wolle  er  sie  dem 
Beschauer  zuwerfen;  auf  dem  Kasseler  Bilde  hüllt  Maria  das  Kind  sorglich 
in  ihren  Mantel  ein,  während  sie  es  säugt.  Auf  dem  Florentiner  Bild 
drückt  die  Mutter  das  Kind  an  sich,  während  es  seine  beiden  Aermchen 
um  ihren  Hals  schlingt  und  ihren  Mund  küßt.  Tiefe  Melancholie  spricht 
aus  den  Zügen  von  Mutter  und  Kind  auf  dem  Bilde  zu  Venedig.  Wie 
entgeistert  starren  die  vier  Augen  ins  Leere.  Gedankenvoll  läßt  das 
göttliche  Kind  eine  lange  Kette  durch  seine  Finger  gleiten.  Hier  vor 
allem  hat  der  Künstler  seinen  eigenen  Schwermut,  der  oft  an  Wahnsinn 
grenzte,  seinem  Kunstwerk  eingeprägt.  —  Die  Vorbilder  für  die  überaus 
herzlichen  Motive  in  den  Beziehungen  zwischen  Mutter  und  Kind,  wie 
sie  unser  Meister  in  den  Bildern  zu  Florenz  und  Kassel  brachte,  waren  in 
Siena  die  Werke  eines  Ambruogio  Lorenzetti  und  eines  Simone  Martini. 
Auf  einer  Italienreise  1476,  also  kurz  vor  seinem  Eintritt  als  Laienbruder 
in  das  Kloster  Rodendale  bei  Brüssel,  malte  van  der  Goes  in  Florenz,  im 
Auftrage  der  Familie  Portinari,  für  das  Spital  Santa  Maria  Nuova  seine 
jetzt  in  den  Offizien  befindliche  große  „Geburt  Christi".  Bei  dieser 
Gelegenheit  muß  er  auch  in  Siena  gewesen  sein.  Seine  Modellierung 
des  Madonnenkopfes,  oval,  unten  spitz  zulaufend,  ähnelt  weit  mehr  dem 
von  den  Sienesen  Duccio  geschaffenen  als  dem  van  Eyckschen  Typus.  Die 
Engel  auf  dem  Portinari-Altar,  ihre  Tracht,  Frisur,  das  Blumenkränzchen, 
welches  das  Haar  schmückt,  dann  die  Vasen  mit  Blumen  im  Vordergrunde 
sind  direkt  sienesischen  Mustern  entlehnt. 

Typisch  niederländisch  —  von  jeglichem  fremden  Einfluß  weit 
entfernt  —  sind  dagegen  wieder  in  allen  Hinsichten  des  sog.  Meisters 
von  Flemalle  (ca.  1400—1450)  Madonnen  im  Städelschen  Institut  zu 
Frankfurt  am  Main  und  in  der  Sammlung  Salting  zu  London.  Beidemal 
säugt   Maria   ihr   Kind,    in   Frankfurt   auf  blumigem    Rasen,   stehend   vor 

Rothes,  Madonna.  8 


*   114  * 

einem  aus  Brokatstoff  gespannten  Hintergrund,  in  London  in  einem 
Zimmer  sitzend.  Gerade  im  letzten  Bild  offenbart  sich  der  Künstler  als 
origineller  Meister.  Die  fast  zu  massiv  wirkende  Madonna  mit  ihrer 
statuarischen  Formengebung  sitzt  in  einem  in  die  Tiefe  führenden  Zimmer- 
ausschnitt. Wir  sehen  einen  Teil  der  Wand  mit  Fenster  und  Kamin, 
beides  nach  oben  vom  Bildrand  durchschnitten.  Diese  Art  der  Behandlung 
eines  Innenraums,  die  durch  starkes  Beschneiden  der  Wände  dem 
Beschauer  es  überläßt,  den  Rest  des  Zimmer  in  seiner  Phantasie  zu  ergänzen, 
ist  eine  kühne  Erfindung  des  Meisters  von  Flemalle.  Nicht  von  ihm 
eigenhändig  ausgeführte  Schulbilder  sind  die  kleine  Madonna  der  Turiner 
Pinakothek  und  die  —  in  ihrer  Auffassung  für  die  altniederländische 
Malerei  einzigartige  -  -  Madonna  in  der  Glorie  des  Museums  von  Aix. 
Die  Himmelskönigin  sitzt  mit  dem  göttlichen  Kinde  auf  einer  breiten,  in 
den  Lüften  schwebenden  Bank.  Auf  der  Erde  sitzen  rechts  und  links 
zwei  Heilige.  Zwischen  diesen  kniet  ein  Mönch,  der  Stifter.  In  der 
Petersburger  Eremitage  zeigt  in  einem  Zimmer,  am  Ofen,  eine  Madonna, 
die  den  Knaben  auf  dem  Schoß  hat  und  sich  die  Hand  am  Feuer  wärmt, 
um  nicht  durch  Berührung  mit  den  kalten  Fingern  das  Kind  zu  erschrecken, 
künstlerische  Verwandtschaft  mit  der  Madonna  Salting  in  London. 

In  der  Auffassung,  als  Halbfigurenbild,  und  ebenfalls  ihr  Kind  säugend, 
verwandt  mit  van  der  Goes,  in  der  Typik  aber  mehr  an  die  Madonnen  des 
Meisters  von  Flemalle  erinnernd,  erscheint,  vor  einem  Fenster,  dem  vor  ihr 
auf  einer  Brüstung  sitzenden  Jesuskinde  eben  die  Brust  reichend,  die  Madonna 
des  aus  Haarlem  stammenden  Holländers  Dirk  Bouts  (ca.  1410  - 1475) 
in  der  Sammlung  Salting  zu  London.  Man  hat  das  Bild  wegen  der 
„edlen  Opulenz  der  Gestalt  der  Madonna,  des  wunderbar  schönen,  weichen 
Flusses  ihres  Haares,  der  prachtvollen,  so  fein  bewegten  Hand,  des  ge- 
diegenen Reichtums  der  satten  glänzenden  Farbe  und  der  unendlich  zarten 
Intimität  der  Stimmung"  mit  Recht  als  „ein  Meisterwerk  ersten  Ranges" 
gefeiert.  Von  diesem  Stücke  zweifelsohne  abhängig,  ja  vielleicht  aus 
Bouts  Atelier  stammend,  sind  Madonnen  der  Sammlungen  Correr,  Pourtales, 
Davis  in  Newport. 

Aus  der  Schulung  durch  Dirk  Bouts  läßt  die  neueste  Stilkritik  auch 
die  Kunst  des  Hans  Memling  (1430  —  1495)  hervorgehen.  Ein  Früh- 
werk des  Meisters  ist  das  Triptychon  mit  der  thronenden  Madonna, 
Heiligen,  Engeln  und  Stiftern  zu  Chatsworth  in  der  Sammlung  des 
Herzogs  von  Devonshire.  Die  Typik  der  umgebenden  Heiligen,  Stifter 
und  Engel  erinnert  in  der  Tat  an  Dirk  Bouts,  während  das  Antlitz  der 
Madonna  in  der  Innigkeit  des  Ausdrucks  wie  im  Formalen  an  Vorbilder 
der  altkölnischen  Schule  gemahnt.     Unser  Künstler  ist  in  Mömlingen  in 


*  115  * 


Phot.  Hanfstacngi. 


Abb.  81.     Hans  Meinung,  Maria  mit  dem  Kinde. 
Wien,  Kaiserl.  Gemäldegalerie. 


(Siehe  Seite  116.) 


*  116  * 

der  Diözese  Mainz  geboren,  verlebte  seine  Jugend  nahe  bei  dem  deut- 
schen Rhein,  und  was  ist  natürlicher,  als  daß  er  reiche  künstlerische 
Jugendeindrücke  schon  mitbrachte,  als  er  sich  in  den  Niederlanden 
niederließ.  Die  von  ihm  beliebte,  weißlich  graue  Färbung  geht  sicherlich 
auch  auf  das  übermäßige  Verwenden  von  Weiß  in  der  niederrheinischen 
Schule  zurück.  Vor  allem  muß  die  holdselige  Empfindung,  die  in  Memlings 
Madonnen  lebt,  als  deutsche  Eigenart,  als  Einwirkung  durch  die  lyrisch- 
zarten Madonnen  der  alten  Kölner  bezeichnet  werden.  Durch  Memlings 
deutsche  Reminiszenzen  kam  eine  bisher  ungewohnte,  liebliche,  poetische 
Stimmungsnote  in  den  Realismus  der  niederländischen  Madonnen-Malerei. 
Wenn  Maria  und  das  Kind  im  duftigen  Haine,  im  Blumengarten  sitzen, 
wenn  die  Heiligen  und  Engel  freier,  näher  und  ungezwungener  um  Maria 
herum  gruppiert  sind,  mit  der  heiligen  Jungfrau  oder  dem  Kinde  in 
Beziehung  treten,  ihnen  vormusizieren  oder  vorlesen,  mit  dem  kleinen 
Jesus  spielen,  sich,  wie  die  heilige  Katharina,  von  ihm  einen  Ring  anstecken 
lassen,  so  finden  sich  Vorbilder  oder  Parallelen  hierzu  weit  eher  bei  den 
Kölnern  als  bei  den  Niederländern.  In  diesem  Sinne  sind  Memlings  herr- 
lichste Madonnenbilder  komponiert;  so:  „Madonna  mit  Verlobung  der 
heiligen  Katharina"  im  Louvre  zu  Paris,  Altarbild  der  Spitalbrüder  im  Johannes- 
spital zu  Brügge;  Madonna  mit  Stifter  im  Hofmuseum  zu  Wien  (s.  Abb.  81), 
Maria  mit  Engeln  in  den  Uffizien  zu  Florenz,  im  gotischen  Haus  zu 
Wörlitz,  Madonna  in  der  Londoner  Nationalgalerie.  — 

Ein  originelles  Motiv,  welches  beweist,  daß  der  Meister  auch  bestrebt 
war,  kraft  eigener  Erfindung  neues  und  bewegtes  Leben  in  die  Madonnen- 
darstellung zu  bringen,  zeigt  die  Madonna  der  Galerie  Liechtenstein  in  Wien 
aus  dem  Jahre  1472.  In  einem  weiten  gotischen  Gemach  hat  sich  Maria  so- 
eben von  der  mit  einem  Baldachin  überdachten  Bank  erhoben  und  ist  nun 
aus  dem  Hintergrunde  des  Gemaches  nach  vorn  geschritten,  wo  ihr  der 
heilige  Antonius  einen  knienden  Stifter  empfiehlt.  Im  Jahre  1487  malte 
Meinung  die  Madonna  des  Martin  Nieuwenhove  auf  dem  einen  Teile  des 
nach  dem  23jährigen  Stifter  benannten  Diptychons.  Maria,  im  Brustbilde 
gegeben,  reicht  dem  vor  ihr  auf  einer  Art  Brüstung  sitzenden  Kinde  einen 
Apfel  dar.  Das  Gemach  der  heiligen  Mutter  ist  durch  reiche,  prächtige 
Glasfenster,  durch  einen  an  der  Wand  hängenden  Rundspiegel  und  köst- 
liche Teppiche  reicher  ausgestattet  als  auf  allen  früheren  Halbfiguren- 
bildern.  Ein  Streben  nach  üppiger  Pracht  und  größerem  Reichtum, 
zumal  auch  in  der  Profilierung  und  Umrahmung  auf  italienische  Art 
hinweisend,  gibt  sich  besonders  in  Spätmadonnen  des  Künstlers  kund. 
Während  auf  dem  Marienbilde  des  Ursulaschreins  zu  Brügge  ein  gotischer 
Spitzbogen  oben  abschließt,    bildet  auf  anderen  Tafeln  zu  Wien,  Wörlitz 


*   117   * 

und  Florenz  ein  Renaissancebogen  die  Rahmung,  die  oben  dicke  Frucht- 
kränze verzieren,  von  kleinen  Putten  gehalten.  Am  charakteristischsten 
für  die  italienische  Beeinflussung  ist  das  Bildchen  im  Wiener  Hofmuseum. 
Hier  stehen  auf  den  Kapitalen  der  Säulen,  die  den  einfassenden  Bogen 
tragen,  Putten,  die  das  Ende  der  Girlanden  kräftig  anziehen,  während  von 
der  Laibung  des  Bogens  aus  andere  Putten  dieselben  gerade  über  dem 
Haupte  der  Madonna  befestigen  (s.  Abb.  81).  Da  Memling  selbst  niemals  in 
Italien  war,  so  ist  an  den  vermittelnden  Einfluß  französischer  Miniaturen  zu 
denken.  Wenn  Memling  mit  der  französichen  Miniaturmalerei  so  vertraut 
war,  daß  man  ihm  lange  Zeit  die  dem  Franzosen  Simon  Marmion  von 
Valenciennes  nahe  stehenden  Malereien  der  Orgelbrüstung  aus  Najera  hat 
zuschreiben  können,  warum  sollten  nicht  in  unserem  Falle  ihn  aus  ihm 
bekannten  Werken  eines  italienisierenden  französischen  Manieristen,  wie 
z.  B.  Jean  Fouquet,  Motive  zur  Nachahmung  gereizt  haben? 

Unter  dem  Einflüsse  von  Hans  Memling  steht  Gerard  David  (1460 
bis  1523)  aus  Oudewater,  meist  in  Brügge  tätig.  Seine  Madonnen  mit 
Heiligen,  Engeln  und  Stiftern  in  der  Nationalgalerie  zu  London  und  im 
Museum  zu  Rouen  zeigen  das  bei  Memling  übliche  Schema.  Der  Flügel- 
altar im  städischen  Museum  zu  Brügge  zeigt  Eigentümlichkeiten  in  der 
Raumverwendung.  Die  ruhig,  scheinbar  für  sich  in  Abgeschlossenheit 
sitzende  Gottesmutter  muß  sich  mit  der  Außenseite  eines  Flügels  begnügen; 
die  Hauptflächen  nehmen  die  Gruppen  der  Stifter  und  Heiligen  ein.  Die 
thronende  Madonna,  ganz  allein,  gibt  David  in  einem  Bilde  des  Museums 
Brignole  Säle  in  Genua.  Maria  als  Halbfigurenbild  in  der  Art  eines 
Rogier,  Memling  und  van  der  Goes  wählte  der  Maler  in  Bildern  beim 
Baron  de  Bethune  in  Brügge,  in  den  Sammlungen  Traumann  in  Madrid, 
Martin  le  Roy  in  Paris,  Clemens  in  München  und  zu  Schleißheim.  Die 
drei  letzten  dürften  Schülerhänden  entstammen.  Die  niederländische  Ader 
für  Genremalerei  greift  bei  David  gelegentlich  auch  in  die  religiösen 
Darstellungen  hinüber.  So  legt  er  auf  dem  Londoner  Bild  allerlei  Gerät 
zu  den  Füßen  des  Stifters  und  setzt  ein  Windspiel  daneben.  In  dem 
Madrider  Bilde  bereitet  Maria  dem  Kindlein  gerade  eine  Suppe.  Wie 
Memling  gewöhnlich  einen  Apfel,  gibt  David  dem  Kind  eine  Weintraube 
in  die  Hand,  das  Symbol  des  heiligen  Meßopfers,  der  Verwandlung  des 
Weines  in  das  heilige  Blut.  Folgende  Erscheinungen  sind  im  allgemeinen 
für  die  Marienbilder  Gerard  Davids  charakteristisch :  unselbständiges 
Nachahmen,  beginnender  Manierismus,  Nachlässigkeit,  die  oft  zur  Fehler- 
haftigkeit wird  in  Gestaltung  des  Raums  und  der  Perspektive,  kurz: 
Beginn  eines  künstlerischen  Niederganges.  Dem  stehen  auf  der  anderen 
Seite    in    Davids    Kunst    auch   Anzeichen    einer    neuen    Zeit    gegenüber: 


*  118  * 

Maria  wird  menschlich-weltlicher,  irdischer.  Und  vor  allem  an  Stelle  der 
feierlichen  Gewandung  bemerken  wir  schon  an  seinen  Madonnen  das 
Modekostüm  der  damaligen  Zeit. 

Besonders  stark  machen  sich  italienische  Einflüsse  seit  Beginn  des 
16.  Jahrhunderts  geltend.  Quentin  Massys  (1460  —  1530)  thronende 
Madonnen  in  den  Berliner  und  Brüsseler  Museen,  betende  Maria,  Ant- 
werpen —  Lukas  van  Leyden  (1494 — 1533),  —  heilige  Jungfrau  mit 
Engeln,    Berlin,  Cornelisz   von    Oostsanen   (ca.  1490  —  1535),  — 

Maria  mit  Kind  und  musizierenden  Putten  (Hausaltärchen),  Berlin  —  seien 
diesbetreffend  genannt.  Quentin  Massys  geht  bei  seinem  Studium  der 
italienischen  Kunst  und  in  der  Aufnahme  italienischer  Motive  von  großen 
Gesichtspunkten  aus.  Kraft  stark  ausgeprägter  Individualität  weiß  er  bei 
seinem  Streben  nach  monumentaler  Gestaltung  italienische  Elemente  mit 
niederländischer  Art  ungezwungen  frei  und  doch  harmonisch  zu  ver- 
schmelzen. Und  so  kommen  wir  vor  den  zugleich  erhabenen  und  zugleich 
gefühlswarmen  Madonnen  des  Meisters  zu  vollem  künstlerischen  Genüsse. 
Bei  anderen  dagegen,  besonders  bei  Jan  Gossaert,  gen.  Mabuse 
(ca.  1470 — 1541),  wirkt  die  Nachahmung  der  Italiener  direkt  manieriert, 
vergl.  „thronende  Madonna  mit  musizierenden  Engeln"  im  Museum  zu 
Palermo,  und  die  in  den  Lüften  schwebende,  von  Wolken  und  Engeln 
getragene  Madonna,  wie  der  heilige  Lukas  sie  malt,  im  Hofmuseum  zu 
Wien.  Besonders  bei  letztem  Bilde,  in  dem  die  Szene  in  einer  Kirche 
spielt,  förmlich  überladen  mit  Renaissance-Bögen,  Pfeilern,  Nischen,  herum- 
schwirrenden Putti,  wirken  die  Italianismen  überaus  aufdringlich. 

Eine  neue  und  letzte  Epoche  in  der  Geschichte  des  niederländischen 
Marienbildes  begann  mit  dem  genialen  Vlamen  Peter  Paul  Rubens 
(1577 — 1640).  Er  rettete  es  vor  dem  Untergang  im  Manierismus.  Sein 
kraftvolles  Wesen  trotzte  allen  fremden  Einflüssen,  in  welchen  die  Vorgänger 
untergegangen  waren,  ohne  nur  im  geringsten  auf  die  Errungenschaften 
der  italienischen  Renaissance  zu  verzichten.  Die  Größe  und  Freiheit  der 
Italiener  verbindet  er  mit  dem  derben  Realismus  der  Niederländer;  schwung- 
voll und  doch  einheitlich  formt  er  sich  daraus  einen  eigenen  neuen  Stil. 
Michelangelos  gewaltige  Formensprache,  Tizians  leuchtende  Farbenglut, 
Paolo  Veroneses  genialisch  leichte  Kompositionsweise  erkennen  wir  in 
seinen  kühnen  Madonnenkompositionen.  Und  doch  spiegelt  sich  in  ihnen 
zugleich  deutlich  und  unverkennbar  das  kraftvolle  germanische  Volks- 
tum, das  urwüchsig  derbe  flandrische  Naturell  wieder.  Die  Madonnen, 
prächtig-gesunde,  herrlich-schöne,  starke  Frauen,  die  umgebenden  Heiligen 
ein  kraftvolles  Athletengeschlecht,  meist  in  gewaltiger  Bewegung,  dieEngels- 
putti    gesundheitsstrotzende,    blühend    frische,    kleine,    nackte    vlämische 


*  119  * 

Bauernbuben,  so  atmen  seine  Bilder  eine  den  Beschauer  hinreißende  Lebens- 
lust. Daß  die  Kompositionen  der  Himmelfahrt  und  der  Krönung  der  seligsten 
Jungfrau  hierbei  dem  Künstler  besonders  gut  lagen  mit  ihren  Nuancen  des 
Jubels  und  der  Verzückung  folgt  dann  von  selbst.  Aber  auch  die  auf  die 
gleiche  jubilierende  Note  gestimmten  Altarbilder  der  von  Heiligen  ver- 
ehrten oder  von  Engeln  umschwärmten  Himmelskönigin  sind  nicht  selten: 
Museum   zu   Grenoble,   Santa   Maria   in   Vallicella  zu   Rom,   Museum    zu 


Phot.  Hanstaengl. 

Abb.  82.     Peter  Paul  Rubens,  Madonna  im  Blumenkranz.    München,  Pinakothek. 

(Siehe  Seite  119.) 

Antwerpen  (zweimal),  ebenso  zweimal,  davon  einmal  „im  Blumenkranz"  im 
Louvre  zu  Paris,  Eremitage  zu  Petersburg,  Museum  zu  Lille  „mit  dem 
heiligen  Franz",  Alte  Pinakothek  zu  München  „im  Blumenkranz"  (s.  Abb.  82), 
in  Worms  bei  Freiherrn  von  Heyl  zu  Herresheim,  im  Museum  zu  Lyon 
„als  Fürsprecherin  für  die  Menschheit",  Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin, 
zweimal,  Museum  zu  Brüssel,  Galerie  zu  Kassel  „mit  den  bußfertigen 
Sündern",  Städelsches  Institut  zu  Frankfurt  am  Main,  Augustinerkirche  zu  Ant- 
werpen, Jakobskirche,  ebenda,   und  bei  Frederick  Cook  in  Richmond.  — 


*  120  * 

Das  Gewand  der  Rubensschen  Madonna  ist  meist  das  damals  von 
den  vlämischen  Damen  getragene  Modekostüm  des  beginnenden  17.  Jahr- 
hunderts. Modell  für  die  heilige  Jungfrau  waren  dem  Meister,  sozusagen 
durchgängig,  je  nach  der  Zeit  der  Entstehung  der  Bilder,  seine  erste  Frau: 


Phot.  Haofstaeogl. 

Abb.  83.     Anton  van  Dyck,  Die  Madonna  mit  dem  kl.  Jesuskinde  und  Johannes. 

München,  Pinakothek. 

(Siehe  Seite  121.) 

Isabella  Brant  oder  seine  zweite:  Helene  Fourment,  wie  er  denn  auch  als 
Jesus-  und  Johannesknaben  gerne  seine  Söhnchen  porträtierte.  Nach  all  dem 
glaube  man  aber  nicht,  daß  die  Rubensschen  Madonnengemälde  in  ihrer 
Zeit  trivial  gewirkt  hätten.  Im  Gegenteil,  sie  rissen  die  Gläubigen  zur 
Begeisterung  hin  und  entsprachen  durchaus  der  Strömung  der  Zeit.  Rubens 


*   121   * 

war  ein  frommer  Mann,  der  jeden  Tag  die  heilige  Messe  hörte,  und  ein 
besonderer  Günstling  der  Jesuiten.  Nun  denke  man  an  die  damals  er- 
richteten prunkvollen  Barockkirchen  im  Jesuitenstil  mit  ihrem  fortissime 
der  Wirkung!  Was  ließ  sich  Glanzvolleres  denken  als  diese  schmuckvolle, 
prachtstrotzende  Ausstattung,  die  kostbaren  Altäre  mit  den  dickplastischen 
Ornamenten  und  der  strahlenden  Goldverzierung  und,  gleichsam  als  Perle 
im  Golde,  das  Altarbild:  in  Farbenglut  getaucht,  von  Engeln  umrauscht, 
formenkräftig  und  pompös:  eine  Madonna  von  Rubens. 

Von  hoher  Begabung  war  auch  der  Rubens-Schüler  Anton  van 
Dyck,  aber  weit  weniger  originell  als  sein  großer  Lehrer.  Seine  Madonnen 
sind  nicht  frei  von  Manier,  sei  es,  daß  der  Künstler  die  Italiener,  zumal 
die  Venezianer,  sei  es,  daß  er  Rubens  zu  engherzig,  unselbständig  nach- 
ahmt. Erinnert  sei  an  seine  beiden  Arbeiten  in  der  Pinakothek  zu  München 
„Maria  mit  den  kleinen  Jesus  und  Johannes"  (s.  Abb.  83)  und  „Mutter  Gottes 
mit  zwei  Stiftern"  und  an  das  Brustbild  der  Madonna  in  der  Galerie  zu 
Sanssouci. 

In  dem  gewaltigen  Werke  des  genialen  Holländers  Rembrandt 
van  Rijn  (1606 — 166Q)  von  mehr  als  600  Gemälden  und  2000  Zeichnungen 
zeigt  nur  ein  einziges  Blatt  (Bartsch  61)  aus  dem  Jahre  1641  —  wenn  man 
von  Schilderungen  der  biblischen  Geschichte,  in  welchen  Maria  handelnd 
auftritt,  absieht  —  die  heilige  Mutter  mit  dem  göttlichen  Kinde.  Aber  wie? 
in  seiner  Art  meisterhaft  gezeichnet,  besonders  in  der  wahrhaft  künstlerischen, 
echt  rembrandtesken  Verteilung  von  Schatten  und  Licht  bedeutend,  ruht  auf 
Wolken  ein  erschreckliches  Weib  mit  einem  noch  häßlicheren  Kind  im 
Arme.  Dies  Bild  kann  und  soll  auch  nicht  andächtig  wirken  und  fällt  nicht 
mehr  unter  die  Rubrik  religiöse  Kunst.  Entsinnt  man  sich  dann  vor  einer 
solchen  Rembrandtschen  Radierung  der  glanzvoll  repräsentativen,  himmlisch 
berückenden  Madonnenmalerei  eines  Rubens,  dann  erkennt  man  die  un- 
überbrückbare Kluft,  die  nach  der  Kirchenspaltung  zwischen  nördlich- 
holländischer und  vlämischer  Kunst  gähnte,  wo  Religion  und  Kirche  zu 
künstlerischer  Betätigung  begeisterten  und  wo  nicht. 

Die  Franzosen. 

)er  byzantinische  Marientyp  muß  frühzeitig  in  das  französische 
Gebiet  eingedrungen  sein  und  hat  sich  dort  ziemlich  unverfälscht 
bis  in  das  XIII.  Jahrhundert  hinein  erhalten.  Die  erhaltenen 
Bildsäulen  und  Statuetten  dieser  Zeit,  z.  B.  jene  aus  Moissac,  aus 
dem  XIII.  Jahrhundert,  lassen  darüber  keinen  Zweifel  (s.  Abb.  84).  Die 
geschlitzten  Augen,  die  hochgewölbten  Augenbrauen,  die  lange,  schmale 


122 


Nase,  die  sich  unter  der  Kuppe  durch  die  ausgewölbten  Nasenlöcher 
unschön  erbreitert,  der  breite  Mund,  das  über  den  Kopf  gezogene  Gewand, 
die  steife  Haltung,  das  greisenhafte  Kind  in  der  hockenden  Stellung,   der 

Thron,  alles  das  sind 
rein  byzantinische 
Motive,  zu  welchen 
allerdings  schon  die 
technisch  feinere  Mo- 
dellierung des  Ge- 
wandes, auch  in  etwa 
des  Gesichts  und  der 
Hände  nicht  mehr 
recht  passen  wollen.— 
Im  XIV.  Jahrhun- 
dert überrascht  uns 
dann  ein  völlig  neues, 
französisch-nationales 
Madonnen-Ideal,  zu- 
nächst in  Miniaturen. 
Gerade  in  Miniaturen 
absorbierte  sich  da- 
mals die  beste  Kraft 
der  ersten  franzö- 
sischen Maler.  Die 
Miniaturen  des  jetzt 
in  Chantilly  aufbe- 
wahrten Gebetbuchs 
des  Herzogs  Jean  de 
Berry,  die  sog.  „tres 
riches  heures  du  duc 
de  Berry",  vielfach 
den  durch  die  Pariser 
Schule  ausgebildeten 
Brüdern  von  Lim- 
purg  zugeschrieben, 
verraten  beispiels- 
weise solche  tüchtige 
Meister,  die  sehr 
Abb.  84.    Madonnen-Statue  aus  Moissac,  wohl     imstande     ge- 

französische Schule  des  XIII.  Jahrhunderts.  Paris,  Cluny-Museum.     wesen    sein    mußten 

(Siehe  Seite  121.) 


*  123  * 


in  Beobachtung  schöner  französischer  Rassetypen  aus  dem  Volke,  in 
Veredlung  und  Verfeinerung  derselben  ein  neues  Madonnen -Ideal  zu 
gründen.  Die  An- 
fänge zu  diesen 
französisch  -  natio- 
nalen, an  Byzanz 
in  keiner  Weise 
mehr  erinnernden 
Muttergottesdar- 
stellungen finden 
sich  schon  vor 
1400,  so  charakte- 
ristisch in  einem 
Stundenbuch  (livre 
d'heures)imCluny- 
Museum  zu  Paris. 
Verherrlicht  ist  die 
Regina  angelorum, 
Maria,  von  jubeln- 
den und  musi- 
zierenden Engeln 
umschwärmt  (s. 
Abb.  85).  Die 
Himmelskönigin 
ist  sehr  zart  und 
schmächtig  gege- 
ben, fast  ätherisch, 
mit  wallendem 
Haar,  das  ein  Dia- 
dem schmückt,  in 
langem,  kostbarem 
Oewand,  die  Stirn 
hoch,  die  Nase 
schmal,  vornehm 
leicht  gebogen,  das 
Mündchen  über- 
trieben       zierlich 

klein,  fast  wie  ein  Punkt,  dem  ganzen  Eindruck  nach:  ein  etwa  sechs- 
zehnjähriges Fürstenkind  aus  vornehmstem  Geschlecht.  Und  dann  fällt 
noch  ein  Zug  auf:   Es  blitzt  etwas  wie  ein  schalkhaftes  Lächeln  aus  den 


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Abb.  85.     Regina  Angelorum. 

Mittelstück  einer  französischen  Miniatur  des  livre  d'heures, 

XIV.  Jahrhundert.     Paris,  Cluny-Museum. 

(Siehe  Seite  123.) 


124 


Augen.  In  diesem  frühen  Bilde  ist  nun  in  der  Tat  schon  der  französische 
Marientypus,  an  dem  sich  die  späteren  Zeiten  halten,  fest  ausgeprägt. 
Namentlich  sind  es  die  zwei  Züge,  die  für  alle  Zeiten  charakteristisch  sind: 
a)  das  Höfisch-Vornehme,  b)  das  Lächelnde  in  der  Physiognomie,  nur  bei 
wenigen   großen  Meistern  der  gotischen  Periode  herzliche,  innere  Freude 

glaubhaft  bezeugend,  sonst  konven- 
tionell, ja  —  zumal  in  den  Zeiten  des 
Rokoko  und  Barock  —  hochmütig 
und    spöttisch    wirkend. 

Mit  der  Blüte  der  gotischen  Bau- 
kunst in  Frankreich  war  auch  eine 
Blüte  der  Plastik  verbunden.  Es  gab 
im  XIII.  und  XIV.  Jahrhundert  keine 
Kathedrale,  keine  Kirche,  die  nicht  im 
reichsten  Skulpturenschmuck  prangte. 
Die  Statue  der  heiligen  Jungfrau  aber 
durfte  an  keiner  fehlen;  an  den  meisten 
befand  sie  sich  mehrfach.  Im  An- 
schluß an  die  vertikalen  Linien  der 
Architektur  wird  die  Figur  in  frei 
umwallendem  Gewand  graziös  und 
schlank  gemeißelt.  Die  Streckung  der 
Statuen  steigert  den  Eindruck  des 
Symmetrischen.  Die  starren,  geraden 
Linien  wurden  dann  dadurch  wirk- 
sam gebrochen,  daß  der  Körper  in 
der  Hüfte  leicht  eingebogen  und 
das  Obergewand  in  horizontale  oder 
schräge  Falten  geworfen  wurden.  — 
Eine  Sonderstellung  nimmt  Bur- 
gund  ein.  Das  Zusammentreffen  von 
französischen  und  niederländischen 
Künstlern  in  Dijon  am  Hofe  der  bur- 
gundischen  Fürsten  weist  schon  dar- 
auf hin,  daß  von  einer  geschlossenen 
burgundischen  Schule,  die  aus  heimischen  Wurzeln  emporwächst,  kaum  die 
Rede  sein  kann.  Der  Wechsel  in  den  Maßverhältnissen,  der  Ersatz  der 
schlankeren  Figuren  durch  breitgedrungenere,  derbe  Formen,  ein  Zug 
größerer  Strenge  im  Gesichte  der  Madonnen  dürften  auf  den  Einfluß  der 
Niederländer  zurückzuführen  sein.    Ein  bezeichnendes  Beispiel  für  den  so 


Abb.  86 


Madonna  mit  dem  göttlichen  Kinde. 
Marmor-Statue 
aus  der  Schloßkapelle  zu  Ecouen, 
16.  Jahrhundert.     Paris,  Louvre. 

(Siehe  Seite  125.) 


*   125  * 

gewonnenen  Typ  ist  eine  aus  der  ersten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts 
stammende  Marmorstatue  der  heiligen  Mutter  mit  dem  göttlichen  Kinde 
aus  der  Schloßkapelle  von  Ecouen,  jetzt  im  Louvre  (s.  Abb.  86).  Den 
Höhepunkt  der  burgundischen  Kunstrichtung  bedeuten  die  Bildhauer- 
arbeiten des  Klaus  Slüter  (ca.  1350—1411),  den  an  kräftigem  Realismus 
der  Durchbildung  die  späteren  Künstler  kaum  erreichten,  und  der  in  seiner 
in  Haltung  wie  Gewandung  kraftvoll  bewegten  Madonna  am  Portal  der 
Chartreuse  von  Dijon  eines  seiner  Meisterstücke  schuf. 

Wenn  gelegentlich  italienische  Kunst  auf  französische  einwirkte,  so 
bekam  die  letztere  leicht  etwas  Manieriertes,  Langweiliges,  so  schon  bei 
Jean  Fouquets  (1415 — 1480)  „betende  Maria  mit  dem  Kinde  und  Engeln" 
im  Museum  zu  Antwerpen.  Es  war  kein  Unglück,  daß  die  französische 
Kunst  des  Rokoko  sich  von  dem  religiösen  Ideal  ab-  und  einem  weltlich- 
höfischen zuwandte,  denn  die  zu  dieser  Zeit  entstandenen,  Maria  getauften, 
süßlich-läppischen  Edeldamen  mit  ihrem  spöttischen  Lächeln  waren  mehr 
dazu  angetan,  heilige  Gefühle  zu  verletzen  als  solche  wachzurufen.  Als 
solche  Maler  des  XVII.  und  XVIII.  Jahrhunderts,  die  wenigstens  versuchten, 
in  ihren  Marienbildern  religiös-andächtig  zu  wirken,  ohne  aber  süßlichen 
Manierismus  verleugnen  zu  können,  seien  genannt:  Nicolas  Poussin 
(1594  —  1664),  der  bekanntlich  auf  anderem  Gebiete,  in  der  Landschafts- 
malerei, Hervorragendes  leistete,  Simon  Vouet  (1590  —  1649),  Laurent 
de  la  Hyre  (1606-1656),  Pierre  Mignard  (1610-1695),  Philipp  de 
Champaigne  (1612—1674),  Eustache  LeSueur(1617 — 1655),  Sebastian 
Bourdon  (1616-1671),  Charles  A.  van  Loo  (1705-1765)  und  Pierre 
Prud'hon  (1758—1823).  Auch  von  den  Anhängern  der  romantischen 
Schule  des  XIX.  Jahrhunderts  halten  sich  viele,  bei  aller  Echtheit  ihres 
religiösen  Gefühls,  von  italienisierender  Nachempfindelei  nicht  frei,  so 
schon  Eugene  Delacroix  (1799—1863),  Ary  Scheffer  (1795-1858), 
Paul  Delaroche  (1797—1856),  besonders  Leopold  Robert  (1794—1835) 
und  Victor  Schnetz  (1786—1870). 


Spanische  und  portugiesische  Kunst. 

nfänglich  in  der  Hauptsache  durch  die  Niederländer  vorgebildet, 
später  mehr  auf  Grund  italienischer  Einflüsse  entwickelte  sich 
die  spanische  Künstlerschule.  Sinn  für  glückliche  Verwendung 
von  Farbe  und  Licht  ist  ihr,  sozusagen  durchgängig,  im  hohen 

Maße   eigen.     Die   kompositioneilen  Motive  halten  sich  fast  durchgängig 

an  italienische  Vorbilder. 


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Abb.  87.     B.  E.  Murillo,  Maria  mit  Kind. 
Haag,  Mus.  Mauritshuis. 


(Siehe  Seite  128.) 


*   127  * 

An  hauptsächlichsten  hierhin  gehörigen  Arbeiten  seien  genannt:  die 
drei  großen  Wandgemälde  der  Madonna  in  Sevilla:  in  San  Lorenzo: 
Nuestra   Senora   de    Rocamador,    N.  S.   del  Corrat   in   San    Ildefonso   aus 


Abb.  88.  Bart.  Esteb.  Murillo.  Madonna.  Rom,  Palazzo  Corsini. 

(Siehe  Seite  128.) 

dem  XIV.  Jahrhundert,  die  im  XVI.  Jahrhundert  übermalte  Antigua  der 
Kathedrale,  dann  Coello  (Pradomuseum,  Madrid);  Ribera:  „die  heilige 
Jungfrau  zwischen  Sankt  Dominikus  und  Antonius  von  Padua"  im  Augu- 
stinerkloster zu  Salamanca;  Ribalta  (Museum  zu  Valencia);  Zurbaran: 


*  128  * 

die  „Virgen  de  las  Cuevas  mit  Kartäusermönchen"  im  Museum  zu  Sevilla; 
Cano:  „Madonna  mit  dem  Stern";  Pradomuseum  zu  Madrid;  „Heilige 
Jungfrau  von  Belen",  Kathedrale  zu  Sevilla;  endlich  als  die  hervorragendsten: 


Phot.  Udjod. 

Abb.  89.    J.  F.  Overbeck,  Maria  und  Elisabeth  mit  Jesus  und  Johannes. 

(Siehe  Seite  129.) 

Bartolome  Esteban  Murillo  (1618—1682):  „Maria  mit  Kind",  Prado- 
museum, Madrid,  und  Museum  zu  Haag  (s.  Abb.  87);  „Madonna  auf  der 
Serviette,  Museum,  Sevilla;  „Madonna",  Palazzo  Corsini  zu  Rom  (s.  Abb. 88); 
„Maria  mit  der  h.  Dreieinigkeit,  dem  Johannesknaben  und  der  Base 
Elisabeth",  Louvre  zu  Paris;  „Madonna",  Pittipalast  zu  Florenz;  „Madonna 
mit  dem  Wickelband",    im   Besitz   des   Prinzen   Don  Antonio   zu  Madrid. 


*  129  * 

Von  spanischen  Marien  statu en  sei,  außer  jenen  am  Hauptportal 
der  Kathedrale  von  Tarragona  vom  Maestre  Bartolome  von  1278  und  im 
dortigen  Kreuzgang  aus  dem  XV.  Jahrhundert,  als  interessanten  älteren 
Stücken,  die  des  Montaiiez  in  der  Kathedrale  von  Sevilla  (etwa  1640)  als 
wertvolle  Bildhauerarbeit  neueren  Datums  genannt. 

Als  spanische  Provinz  gleichsam  erscheint  in  der  Kunst:  Portugal. 
Typische  Beispiele  hierfür  bietet  das  Museum  zu  Lissabon:  Velasco  da 
Coimbra:  „Madonna  im  Garten,  von  Engeln  bedient";  ferner  von 
unbekannten  portugiesischen  Meistern  des  XVI.  Jahrhunderts:  Die  heilige 
Jungfrau  mit  dem  kleinen  Jesus,  dem  zwei  Engel  Erdbeeren  und  eine  Lilie 
darreichen;  -  -  auf  den  Flügeln  des  Triptychons  die  Heiligen  Dominikus 
und  Johannes  der  Täufer  mit  den  Prinzen  Alfons  und  Johann  —  dann 
eine  thronende  Madonna,  die  gemeinsam  mit  der  h.  Julita  und  mit  Daniel 
Recht  spricht. 


Mariendarstellungen  der  neueren  und  neuesten  Zeit. 

(Overbeck  und  die  Nazarener;  Münchener,  Düsseldorfer;  fremde  Kunst.) 

ährend  in  den  südlichen  Ländern  Europas  noch  lange  Zeit 
die  großen  Meister  der  Hochrenaissance  —  ohne  daß  man 
ihre  Vorbilder  annähernd  erreichte  —  nachgeahmt  wurden, 
erstickte  in  den  deutschen  Landen  der  Dreißigjährige  Krieg 
alsbald  jede  Kunsttätigkeit  im  Keime.  Nur  sehr  langsam  erholten  sich 
dann  in  den  folgenden  Jahrhunderten  Staaten  und  Bürger  von  den  traurigen 
Folgen  langer  Kriegsjahre.  Und  da  erschien  es  zunächst,  als  ob  Poesie 
(Goethe,  Schiller,  Schlegel,  Tieck,  Stolberg)  und  Musik  (Bach,  Händel, 
Gluck,  Haydn,  Mozart,  Beethoven)  alle  Schaffenskraft  genialer  Männer  auf 
sich  vereinigten,  während  die  bildenden  Künste  brach  danieder  lagen  und 
einen  neuen  Aufschwung  nicht  mehr  erwarten  ließen. 

Und   doch!    Wie   die  Romantiker  diejenigen  waren,   die  der  Poesie 

-  alten  Inhalt  in  neuer  Form  gebend  —  frischen  Nährstoff  brachten,  so 

waren   es  auch   die  sog.  Romantiker  der  bildenden  Kunst,   die  ihr  neuen 

Odem   einflößten,    besonders   aber  auch   der   Madonnenmalerei  zu   einer 

Nachblüte  verhalfen. 

Der  Maler  Friedrich  Overbeck  (1789 — 1869)  war  der  Führer  der 
sog.  Nazarener,  der  „römischen  Klosterbrüder",  wie  der  Künstler  und 
seine  Anhänger  sich  nannten,  die  im  Sinne  christkatholischer  Kirchlichkeit 
zu  Rom  religiöse  Bilder  malten.    Die  von  Overbeck  (s.  Abb.  89)  eingeleitete 

Rothes,  Madonna.  9 


*  130  * 


Phot.  Gurlitt. 


Abb.  90.    Jos.  v.  Führich,  Regina  Apostolorum. 
(Siehe  Seite  131.) 


131 


Richtung  wurde  dann  hauptsächlich  in  zwei  Kunstschulen  mit  Gründlich- 
keit und   Selbsthingabe   gepflegt:   zu   München  und   zu  Düsseldorf.     Die 
römischen  Genossen  Overbecks,  Johannes  und  der  bedeutendere  Philipp 
Veit     (1793  —  1877), 
JosephvonFührich 
(1800—1876)   (s.  Abb. 
90) ,     Eduard     von 
Steinle(1810  — 1886) 
arbeiteten  zunächst  im 
Sinne  dieses  Meisters. 

In  München  malten 
dann  neben  Peter  von 
Cornelius  (1783  bis 
1867) mit  H.  von  Heß 
zusammen  Johann 
Schraudolf  (1808 
bis  1879)  die  Fresken 
in  der  Allerheiligenhof- 
kirche (darunter  eine 
monumentale  thronen- 
de Madonna)  und  die 
Kartons  für  die  Glas- 
gemälde der  Maria- 
Hilfkirche   in  der  Au. 

In  Düsseldorf  ver- 
arbeiteten dieSchadow- 
schüler  ErnstDeger 
(1809—1885),  Franz 
Ittenbach  (1813 
bis  1879),  Andreas 
Müller  (1811—1890) 
undKarlMüller(1818 
bisl893)dieOverbeck- 
schen  Anregungen.  Ge- 
rade diese  Künstler  der 

rheinischen  Schule,  welchen  auch  die  erwähnten  Veit  und  Steinle  sowie 
Franz  Müller  und  Theobald  von  Oer  zugezählt  werden  dürfen, 
erfreuten  sich  als  Madonnenmaler  der  Volkstümlichkeit  weitester  Kreise. 
Man  mag  über  die  Kunst  der  „Nazarener"  denken  wie  man  will, 
die  Tatsache  bleibt  bestehen,  daß  ihre  Madonnen  die  Beliebtheit  interessierter 


Abb.  91.     Steinle,  Mutter  Gottes  mit  dem  Jesuskinde. 
Altarbild  in  der  Bonifatiuskirche  zu  Wiesbaden. 

(Siehe  Seite  138  ) 


*  132  * 


Phot.  der  Phot.    Gesellschaft. 

Abb.  92.     E.  Deger,  Madonna  mit  dem  Kinde. 

(Siehe  Seite  138.) 


*  133  * 

Kreise  sich  zu  erringen  wußten,  wie  kaum  irgendwelche  früherer  Meister, 
daß  sie  zu  Tausenden  und  Abertausenden  in  Nachbildungen  als  Schmuck 
der  Kirchen  und  Privatwohnungen,  der  Gebet-  und  Erbauungsbücher 
dienen.      Es    ist    nicht  leicht,   rein    kunstwissenschaftlich    betrachtet,    ein 


Abb.  93.     Karl  Müller,  Mutter  des  Erlösers.     Im  Privatbesitz  in  Köln. 

(Siehe  Seite  13S  ) 


objektives  Urteil  über  die  Art  dieser  Männer  zu  fällen,  deren  Wert- 
schätzung, von  der  Parteien  Haß  und  Gunst  verwirrt,  in  den  entgegen- 
gesetzten Extremen  vielfach  sich  bewegt.  Jedenfalls  ist  es  höchst  ungerecht 
und  einseitig,  in  ihrer  Madonnenmalerei  ausschließlich  den  Ausdruck 
kraftloser,  sentimentaler  Schwärmerei  und  die  schwächliche,  manierierte 
Nachahmung   der  Madonnen   der   großen    südlichen    Renaissance-Meister 


134 


erkennen  zu   wollen.     Nein,    nicht  süßliche  Nachempfindelei  spricht  aus 
ihren   religiösen   Schöpfungen.      Echte    und   tiefe   religiöse    Empfindung 


Phot.  der  Phot.  Gesellschaft. 

Abb.  94.     Karl  Müller,  Jungfrau  Maria.     Im  Privatbesitz  in  Köln. 

(Siehe  Seite  138.) 

führte  ihnen  den  Pinsel.    Wohl  gingen  sie  bei  Raffael  und  den  italienischen 
Renaissance-Künstlern   gleichsam   in  die  Schule.     Und   diese  romanische 


*  135  * 


Phot.  der  Photogr.  Gesellschaft. 


Abb.  95.     Franz  Ittenbach,  Mater  Christi. 
Privatbesitz  Prag,  Düsseldorf  u.  Newyork. 

(Siehe  Seite  138.) 


136 


Abb.  96.     H.  Sinkel,  Regina  coeli. 

(Siehe  Seite  138.) 


*  137  * 

Schule  bewahrte  sie  erfreulicherweise  davor,  Anmut  in  Ausdruck  und 
Formengebung  ihrer  Madonnen  zu  verschmähen.  Aber  deutsches 
Gemüt  und  deutsche  Empfindungstiefe  haben  die  Gebilde  ihrer  Kunst 
ersichtlich  beseelt.    Und  gerade  darum  spricht  das  Overbecksche  Madonnen- 


Phot.  Union. 


Abb.  97.     H.  Ballheim,  Die  Mutter  Gottes. 

(Siehe  Seite  138.) 


ideal  mit  „seiner  sanften  Hingabe,  dem  milden  Augenaufschlag,  der  jung- 
fräulichen Zaghaftigkeit"  (Gurlitt,  Die  deutsche  Kunst  des  XIX.  Jahrhunderts. 
3.  Auflage.  Seite  210)  so  ergreifend  und  dauernd  zu  den  Herzen  von 
Tausenden  im  deutschen  Volke. 

Nur   wenige  Marienbilder   der  Nazarener  seien   namentlich    hervor- 
gehoben: Philipp  Veit:  Magnificat,  Oelgemälde  in  Städelschen  Institut 


138 


zu  Frankfurt  am  Main ;  der  erste  Schritt,  Oelgemälde  für  den  Kardinal 
Viale  Prela  gearbeitet;  Gottes  Mutter  mit  dem  schlafenden  Kind,  im  Besitz 
der  Frau  Baronin  v.  Erlanger;  Steinte:  Muttergottesaltarbild  der  Boni- 
fatiuskirche  zu  Wiesbaden  (s.  Abb. 91).  Ernst  Deger:  „Madonna",  Maria 
mit  Kind  in  der  Apollinariskirche  bei  Remagen  (s.  Abb.  92);  Maria  Virgo, 

Himmelskönigin  usw. 
Franz  Ittenbach: 
Madonnen  mit  dem 
Motto :  Ego  dilecto, 
Ecce  agnus  Dei,  Mater 
Christi,  Mater  amabi- 
lis,  Regina  coeli  usw. 
(s.  Abb.  95).  Karl 
Müller:  Madonna  vor 
der  Grotte,  Galerie  zu 
Prag;  Maria  mit  dem 
Kind  im  Privatbesitz  zu 
Köln  (s.  Abb.  93  u.  94) 
usw.  Sinkel:  Regina 
coeli  (s.  Abb.  96)  usw. 
Von  denjenigen 
derzeitigen  Münchener 
und  sonstigen  Künst- 
lern, die  der  dortigen 
Gesellschaft  für  christ- 
liche Kunst  nahe  stehen, 
umweht  uns  noch  in 
vielen  der  Ehre  der 
Himmelskönigin  ge- 
widmetenKunsterzeug- 
nissen  mehr  oder  min- 
der der  Geist  Over- 
becks.  Wir  müssen  uns 
damit  begnügen,  diesbezüglich  einige  Künstlernamen  hier  kurz  zu  nennen: 
Albrecht,  Altheime r,  Ballheim  (s.  Abb.  97),  Busch,  Cornicelius, 
Defregger,  Dite  (s.  Abb.  80),  Feuerstein  (s.  Abb.  132),  Fugel,  Feld- 
mann, von  Hackl,  Kau,  Nüttgens  (s.  Abb.  98),  von  Kramer, 
A.  Müller-Warth,  Sichel  (s.  Abb.  99),  Schleibner,  Wadere, 
Zimmermann.  Weiten  Kreisen  unbekannt  dürfte  es  sein,  daß  der  1882 
in    Berlin    verstorbene    Bildhauer    Drake,     der    sonst    nur    patriotische 


Phot.  Union. 

Abb.  98.   H.  Nüttgens,  Madonna  mit  d.  Jesuskinde. 

(Siehe  Seite  138.) 


139 


Bildwerke   meißelte,    sich    einmal    mit    Erfolg   an   einer  andächtigen  und 
anmutigen  Madonna  (s.  Abb.  100)  versucht  hat. 

Eine  Sonderstellung  nehmen  die  Madonnen  von  Arnold  Böcklin, 
Hermann  Kaulbach,  Gabriel  Max  und  Fritz  von  Uhde  ein.  Eben  das 
„Rein-Menschliche"  der  Auf- 
fassung in  Böcklins,  durch 
einzigartige  Farbenwirkungen 
wertvollen  Marienbildern  weiß 
uns  den  Schmerz  der  um 
des  Sohnes  willen  leidenden 
Mutter  mit  ergreifender  Wahr- 
heit nahe  zu  bringen.  Reiches, 
volles  Gefühl  lebt  auch  in 
H.  Kaulbachs  Madonnen, 
die  aber  mit  ihren  anmutigen 
Reizen  vielen  zu  weltlich- 
modern aufgefaßt  sein  dürften. 
Merkwürdig  mutet  die  Ver- 
quickung von  „Irdisch-Hüb- 
schem" und  „Himmlisch- 
Geisterhaftem"  in  des  G.  Max 
Madonnen  an.  Als  „bleich- 
süchtige, somnambul  ange- 
legte, hysterische  Frauen"  sind 
sie  von  W.  Kirchbach  cha- 
rakterisiert worden.  Auch 
völlig  modern,  aber  wieder 
in  einem  gänzlich  anderen 
Sinne  gibt  F.  von  Uhde 
Maria.  Die  Frau  des  vierten 
Standes  mit  all  der  Armselig- 
keit des  Weibes  dieser  sozialen 
Schicht  zeigt  er  uns  in  Maria. 
Doch  das  soll  kein  Hohn  auf 
die  hohe  Heilige  sein.  Ge- 
rade durch  den  unverhüllten  Realismus  soll  echte  Empfindung,  Mitleid 
erweckend,  uns  an  das  Herz  greifen. 

Overbecks  Einfluß  machte  sich  nicht  nur,  abgesehen  von  Düssel- 
dorf und  München,  auch  in  anderen  deutschen  Kunstzentren  geltend 
—  so  inBerlin:  Pfannschmidt,  Plockhorst,  Dresden:  H.  Hofmann, 


Phot.  Froitzsch. 

Abb.  99.    N.  Sichel,  Madonna  mit  dem  Jesusknaben. 
(Siehe  Seite  138.) 


*   140  * 


Wien:  Kupelwieser  —  sondern  auch  weit  über  Deutschlands  Gauen 
hinaus. 

In  England  bewiesen  sich  die  Präraffaeliten  Ford  Madox  Brown 
und  Dante  Gabriel  Rossetti  als  begeisterte  Apostel  Overbeckscher  Art. 

Die  Engländer  Armitage,  Dyce, 
Parker  (s.  Abb.  101),  Parsons, 
Paton,  Shields,  Waters  (s.  Abb. 
102)  malten  in  diesem  Sinne. 

Nach  Frankreich  war  der 
Düsseldorfer  Karl  Müller  berufen 
worden,  um  die  Kathedrale  von 
Marseille  auszumalen.  Bouguereau 
schuf,  hiervon  wohl  abhängig,  seine 
religiösen  Fresken  in  den  Kirchen 
St.  Augustin  und  Sainte  Clotilde 
zu  Paris.  In  desselben  Meisters 
Tafelbild  Mater  afflictorum  im 
Musee  de  Luxembourg  zu  Paris  steht 
die  nervöse  Fassungslosigkeit  der 
unglücklichen  Frau,  die  ihr  Kind 
durch  den  Tod  verloren  hat  und 
erschüttert  zu  den  Füßen  Mariens 
liegt,  in  packendem  Gegensatz  zu 
der  steinernen  Ruhe  der  tröstenden 
Madonna.  Dieselbe  den  Beschauer 
fast  erkältende  Ruhe  und  Feier- 
lichkeit besitzt  die  thronende  Gottes- 
mutter mit  den  herzig -prächtigen 
Knaben  Jesus  und  Johannes  von 
Humbert  im  gleichen  Museum 
(s.  Abb.  103).  Auf  dem  Bilde  von 
Landelle,  ebenda,  dem  sog.  Pres- 
sentiment,  Vorahnung  der  heiligen 
Jungfrau,  greift  der  Jesusknabe  wie  begeistert  nach  dem  Kreuz,  das 
ihm  der  kleine  Johannes  vorhält.  Zwei  Engel  mit  Kelch,  Hostie  und 
Dornenkrone  erhöhen  die  schwermütige  Stimmung  dieses  Marienbildes, 
das  einem  Botticelli  nachempfunden  ist  (s.  Abb.  105).  Hippolyte 
Fl  an  drin  in  seinen  Fresken  in  St.  Germain  de  Pres  zu  Paris  und 
Saint  Vincent  de  Paul  zu  Nimes,  Jean  Baptiste  A.  Hesse  in  seinen 
Fresken  in  Saint  Gervais  und  Saint  Sulpice  zu  Paris,  Beraud,  Collier, 


Abb.  100.     Madonna  mit  Kind. 
Marmor-Statue  von  Drake. 

(Siehe  Seite  139.) 


*  141   * 


Roy  er,    Ary    Scheffer    erinnern    alle    mehr   oder    weniger   —  es   ist 

selbstverständlich  nur  von  ihren  religiösen  Malereien,  im  besonderen  von 

ihrer      Madonenauf- 

fassung  die  Rede  — 

an      die      deutschen 

Nazarener. 

In  Italien  wirken 
die  symbolischen  Dar- 
stellungen der  laure- 
tanischen  Litanei  von 
Ludwig  Seitz  im 
Chor  der  Kirche  della 
Casa  Santa  zu  Loreto 
für  die  Art  Overbecks 
und  seiner  Jünger. 
Kunstwerke  von 

Giovanni  Dupre, 
Cesare  Maccari, 
FrancescoNenci, 
Tito  Sarrocchi, 
Angiolo  Visconti 
sind  in  ähnlichem 
Geiste  gearbeitet.  Ge- 
mälde religiösen  In- 
halts, besonders  auch 
Marienbilder,  von 
Gaetano  Previati 
und  Giovanni  Se- 
gantini  erscheinen 
dagegen  völlig  unab- 
hängig hiervon,  ganz 
andersartig,  im  mo- 
dernsten Sinne  ge- 
schaffen. 

Selbst  unter  den 
modernen  russischen 
Malern  fand  die 
Richtung  der  Naza- 
rener Anklang,  wie 
die   neuerliche   künstlerische    Ausschmückung   der   Wladimir -Kathedrale 


Abb.  101.     S.  Parker,  Salvator  mundi. 

(Siehe  Seite  140.) 


*  142  * 

zu   Kiew,    zumal    eine  monumentale  Madonna   von  Wasnetzow  daselbst 
beweist  (s.  Abb.  106). 


Phot.  Union. 

Abb.  102.     S.  Waters,  Madonna  mit  dem  Lilienzweige. 
(Siehe  Seite  140.) 

Das  deutsche  Gemüt,  die  deutsche  Oefühlstiefe,  die  den  Madonnen 
Overbecks,  der  Nazarener  und  ihrer  deutschen  Nacheiferer  doch  so 
eigentlich  erst  die  rechte  Weihe,  den  andächtigen  Stimmungsgehalt  ver- 
leihen, suchen  wir  bei  den  fremdländischen  Nachahmern  vergebens. 


*  143  * 


Die  Malerschule  der  Beuroner  Benediktiner. 

j|ine  Kunstschule,  die  von  der  Art  der  Nazarener  wesentlich  ab- 
weicht, ihrem  tiefen  Gehalt  und  mystischen  Charakter  nach  nicht 
weniger  deutsch  und  neuerdings  recht  berühmt  geworden  ist, 
bleibt  noch  hier  zu  erwähnen:  die  Benediktinerschule  von 
Beuron.  Eigen  ist  ihr  eine  mönchisch -kirchliche,  streng  hieratische 
Richtung,  die  aber  dem 
akademischenSchematis- 
mus  kühn  den  Fehde- 
handschuh hingeworfen 
hat.  Innerlich  ist  Ver- 
tiefung der  Idee,  äußer- 
lich Tasten  nach  der 
feinen  Linie  und  Be- 
wertung der  vollen  Farbe 
ihr  Ideal.  Theologie 
und  formale  Aesthetik 
heißen  die  beiden  Rüst- 
kammern, aus  welchen 
sie  sich  wappnet.  Nicht 
l'art  pour  l'art,  die  Kunst 
um  der  Kunst  willen, son- 
dern  l'art  pour  Dieu,  die 
Kunst  zu  Ehren  Gottes  ist 
ihre  Devise.  „Eine  solche 
Kunst  kann  aber  nur" 
—  so  definiert  der  Vor- 
kämpfer Beuroner  Kunst- 
anschauungen, PaterAns- 
gar  Pöllmann,  O.S.  B. — 
„reine,  begrifflich  reinste 
Kunst  sein,  denn  sie  ist 
nur  sie,  rückhaltlos  und 
selbstlos,  ohne  Nebenab- 
sichten, einzig  versunken 
in     den    Urquell    aller 

sinnlichen  und  geistigen  , 

.  .  Abb.  103.     Humbert,  Heilige  Jungfrau  mit  den  Jesus- 

bcnonneit,tursiezugIeich  uncj  Johannesknaben.     Paris,  Musee  du  Luxembourg. 
Ursprung  und  Zweck."  (Siehe  Seite  140) 


*  144  * 

Aus  dieser  Erklärung  ersehen  wir,  von  welchem  Standpunkt  aus 
wir  der  Beuroner  Malerschule  allein  gerecht  werden  können,  und  ferner, 
worin  sie  sich  wesentlich  von  den  Nazarenern  unterscheidet.  Diese  letzteren 
erfassen  Christus,  die  Gottesmutter  und  die  Heiligen  in  ihrem  kurzen 
Erdenwallen,  ihrem  historischen  Dasein,  das  ihnen  die  Stufenleiter  zum 
Himmel  war,  —  der  überirdische  Schein  hat  sich  nur  leise  auf  echt 
menschliches  Sein  und  Leiden  gesenkt.  Die  Beuroner  Benediktiner  geben 
einer  theologisch  tieferen  Auffassung  statt:  es  werden  die  Heiligen  am 
Ziel  ihrer  Wanderung  von  ihrem  Prinzip  aus  und  als  Glieder  am 
mystischen  Opferleibe  Christi  erfaßt,  und  dann  wird  das  Natürliche  zum 
Symbol  für  eine  Sprache,  die  nicht  von  dieser  Welt  ist,  —  es  ist  die 
priesterliche  Kunst,  die,  wie  jene  der  Katakomben,  gleichsam  zum  Opfer 
mitgehörig,  um  den  Altar  steht.  Die  romantische  Richtung  ist  die  lyrische, 
die  mehr  subjektive,  die  religiöse  Kunst  des  privaten  Gebets,  die  Beuroner 
Richtung  ist  die  objektiv -epische  und  gedankliche  Kunst,  die  Kunst  der 
kirchlichen  Solidarität,  die  Kunst  des  göttlichen  Dienstes  im  klösterlichen 
Chorgebete.  Darum  hat  eine  Madonna  von  Deger,  Ittenbach,  Fugel,  Busch 
als  erstes  Merkmal  die  zarte  Innigkeit  des  Gemüts,  eine  solche  von  den 
Benediktinern,  von  Lenz,  Wueger,  Steiner,  Krebs,  aber  -  -  gleich  den 
hieratischen  Skulpturen  der  Aegypter  oder  Babylonier  —  das  fast  unnahbar 
Erhabene  der  mystischen  Wolke  des  Allerheiligsten.  Tatsächlich  sind  es 
die  Grabkammern  der  Pharaonen  des  alten  Reiches  am  Nil,  deren  Malereien 
den  Beuroner  Künstlern  in  erster  Linie  als  Muster  dienten.  Wie  diese 
Kunst  ausschließlich  der  Verherrlichung  des  großen  Osiris  und  der  Dahin- 
geschiedenen galt,  so  weist  von  dieser  selbstlosen  Gottesdienstlichkeit 
außer  Beuron  und  dem  Berge  Athos  keine  Kunstrichtung  heute  noch 
etwas  auf,  kaum  Japan,  obwohl  auf  den  Landschaften  eines  Hokusai  mit 
seiner  rührenden  Liebe  zum  Fuji  ein  großes  Stück  religiöser  Stimmung, 
der  Rest  einer  großen  Hieratik,  ruht. 

Was  die  Beuroner  Kunst  der  ägyptischen  nahebrachte,  das  war  die 
gleiche  Auffassung  von  der  Gottesdienstlichkeit  der  Kunst.  Beide 
hatten  sich  de  principio  auf  eine  typische  Kunst  festzulegen:  Da  steht 
der  Priester  in  Gewändern  typischer  Bedeutung  uralten  Ursprungs  beim 
heiligsten  Werke,  seine  Zeremonien,  seine  Bewegungen  kommen  in  der 
modernen  Gestensprache  nicht  mehr  vor  —  und  nun  wollt  ihr  —  so 
glauben  die  Beuroner  folgerichtig  fragen  zu  dürfen,  —  das  Gotteshaus 
dem  jeweils  kurzen  Geschmack  einer  ephemeren  Anschauung  überliefern? 
Eine  Ausscheidung  für  Gott  muß  in  der  sakralen  Kunst  stattfinden ;  gerade 
diese  gibt  ihr  das  Geheimnisvolle,  denn  sie  ist  ganz  und  gar  unirdisch 
und  jenseitig;   sie   führt   ihr  eigenes   mystisches  Alphabet    der  Symbolik. 


Abb.  104.     Quinten  Massys  und  Willem  Key,  Pietä. 
München,  alte  Pinakothek. 

( Siehe  Seite  195.) 


*  145  * 

Nur  dem  „Wissenden",  dem  „Eingeweihten"  greift  sie  daher  voll  und  ganz 
ans  Herz;  nur  „durch  Mitleid  wissend,  der  reine  Tor"  kann  sie  ganz  er- 
fassen und  wird  von  ihr  erschüttert. 


Abb.  105.    Ch.  Landelle,  Vorahnung  der  hl.  Jungfrau. 
Paris,  Musee  Luxembourg. 

(Siehe  Seite  140.) 


„Begriffliche  Typik"  war  das  Ideal  der  ägyptischen  Kunst;  dem 
Streben,  dieses  Ideal  zu  erreichen,  mußte  sich  die  Technik  unterordnen. 
Gleiche  Ziele,  gleiche  Mittel.  Die  ägyptische  Technik  wurde  die  Beuroner. 
Die  klaren,  flachen  Farben  der  Aegypter  hat  keine  Kunst  nachher  wieder 
erreicht,  nur  eine,  die  Beuroner.  Man  hält  dieser  Kunst  oft  ihren 
Aegyptizismus  vor  und  meint   damit   die  Zeichnung,   während   man    ihre 


Rothes,  Madonna. 


10 


Abb.  106.    Viktor  Wasnetzow,  Madonna  mit  Kind. 
Wladimir-Kathedrale  zu  Kiew. 


Farbe  als  tief  empfunden 
rühmt:  nirgends  sind  die 
Beuroner  ägyptischer  als  auf 
dem  Gebiete  der  Farbe;  denn 
dieses  unplastische,  unper- 
sönliche Malen  entwickelt  die 
Linie.  So  gleichartig  in  ältester 
und  neuester  Zeit  ist  noch 
nirgends  der  Stift  geführt 
worden  —  so  einfach  und 
doch  so  fein,  so  frei  und  doch 
so  gemessen,  so  kühn  und 
doch  so  anmutig — wie  gerade 
in  Aegypten  und  in  Beuron. 
Vor  allem  aber  darf  bei 
Beurteilung  der  Beuroner 
Malerschule  ein  Moment  nicht 
außer  acht  gelassen  werden, 
das  Monastisch-Benedik- 
tinische.  Und  zwar:  äußer- 
lich und  innerlich,  äußerlich 
insofern,  als  die  Mönche  des 
beschaulichen  Ordens  in  her- 
vorragendem Maße  all  jenen 
Forderungen  des  hieratischen 
Stils  gerecht  zu  werden  ver- 
mögen, und  innerlich  da- 
durch, daß  es  dem  Kunst- 
schaffen der  Schola  artistica 
ein  ganz  besonderes,  eigen- 
tümliches Gepräge  verleiht,  das 
sie  von  den  alten  Aegyptern 
bei  allerVerwandtschaft  wieder 
unterscheidet  und  ihre  per- 
sönliche Note  abgibt.  Die 
Beuroner  Kongregation  stellt 
eine  bis  in  die  kleinsten 
Lebensfasern  sich  erstreckende 
Kultur  dar.  Ihr  Gesang, 
der  gregorianische  Choral  in 


(Siehe  Seite  142.) 


*  147  * 

eigener  Ausbildung,  ihre  Kunst  und  ihr  Leben  sind  eins:  sie  zielen  alle 
auf  den  einen  Gottesdienst.  Waren  die  Benediktiner  von  jeher  Männer 
des  feinen  Geschmacks,  so  zeigt  er  sich  eben  bei  der  Beuroner  Kunst- 
schule in  der  Regelung  der  passenden  Verhältniszahlen  und  in  der 
symphonischen  Besetzung  der  Farben.  So  wie  bei  den  vorbildlichen 
Aegyptern  die  Kunst  wie  eine  zarte  Lotosblüte  aus  dem  Schafte  des 
national-religiösen  Lebens  ohne  jede  Beeinflussung  von  außen  her  aufblühte, 
alles  gebend,  nichts  empfangend,  so  erklärt  sich  auch  die  Beuroner  Kunst 
trotz  der  ägyptischen  Anregung  und  trotz  des  Studiums  von  Giotto  und 
Fra  Angelico  ganz  allein  aus  sich  selber.  Aus  dem  essentiellen  Innersten 
ihres  Klosterlebens  und  ihrer  Benediktiner-Kultur  heraus  haben  sie  „ihren" 
hieratischen  Stil  geschaffen  und  in  demselben  ihre  Devise  verwirklicht, 
die  da  lautet:  „Ut  in  omnibus  glorificetur  Deus",  „in  allem  Gott  die  Ehre"! 

Alle  diese  die  Beuroner  Kunstauffassung  betreffenden  Erörterungen 
waren  vorauszuschicken,  wenn  anders  der  Beuroner  Mariendarstellung 
Verständnis  entgegengebracht  werden  und  Gerechtigkeit  widerfahren  sollte. 

Pater  Willibrord  Verkade  stellt  in  einem  Gemälde  die  beiden  weib- 
lichen Urbilder  nebeneinander,  Eva,  die  dem  Menschengeschlechte  die 
Sünde  gebracht  hat,  und  Maria,  die  allerreinste,  unbefleckte,  aus  der  ein 
Erlöser  der  Welt  hervorgehen  soll.  Der  Augenblick  wählt  sich  ganz  von 
selbst:  es  ist  der  des  Protoevangeliums  im  Paradiese.  Das  Ewig- Weibliche 
ward  zum  Mittel-  und  Angelpunkte  der  gesamten  Kunst.  Eva  im  Falle 
lautet  das  ewig  variierte  Thema  der  in  Sinnlichkeit  verstrickten  Schön- 
heitswelt. Diesem  seichten  und  laxen  Prinzip  irdischer  Weichlichkeit  steht 
nun  das  christlich-hieratische  Vorbild  der  himmlischen  Schönheit,  Maria, 
gegenüber.  Maria,  die  keusche  Magd  des  Herrn,  steht  da  mit  gefaltenen 
Händen,  eine  gemalte  Predigt  gleichsam,  mahnend  zur  Demut,  Reinheit, 
Jungfräulichkeit,  unendlich  einfach  und  doch  unvergleichlich  erhaben.  Das 
ist  das  hieratische  Schönheitsprinzip!    Das  ist  das  Beuroner  Madonnen-Ideal! 

Programmatisch  für  die  Mariendarstellung  der  Beuroner  Kunst  wurde 
besonders  die  thronende  Madonna  über  der  Türe  unter  der  Vorhalle 
der  Sankt  Mauruskapelle  (Hohenzollern).  Umflossen  von  weitem, 
feingefältetem  Linnen  von  schneeiger  Weiße  sitzt  sie  da,  die  Braut  des 
Heiligen  Geistes  mit  ihrem  Priesterkönigssohn,  und  aus  ihren  großen, 
mädchenhaften  Augen  bricht  ein  Strahl  des  Himmels  ins  Herz  des 
Beschauers.  Die  Cherubime  verhüllen  ihr  Antlitz  vor  diesem  glänzenden 
Sinne  des  göttlichen  Schöpferwillens,  der  hier  sich  den  Menschen  —  ein 
Urtypus  geweihter  Hoheit  —  offenbart.  Das  edle  Geschwisterpaar, 
Benediktus  und  Scholastika,  steht  in  Andacht  versunken,  und  die  Jungfrauen 
beiderlei  Geschlechts,  Mönche  und  Nonnen,  opfern  ihre  Kronen,  in  Habitus 


*  148  * 

und  Gebärde  erinnernd  an  die  Adoranten  in  den  Katakomben,  an  die 
Opferspender  auf  antiken  Grabdenkmälern  (s.  Abb.  107).  —  Durchaus 
verwandt  mit  dem  Fresko  der  Mauruskapelle  ist  jenes  der  Scholastikakapelle 
des  Benediktinerklosters  von  Monte  Cassino  (s.  Abb.  108).  Benediktus 
und  Scholastika  werden  von  Engeln  an  den  Thron  der  Madonna  geleitet. 


Abb.  107.     Beuroner  Schule. 

Thronende  Madonna  mit  den  Heiligen  Benediktus  und  Scholastika. 

Vorhalle  der  St.  Mauruskapelle,  Hohenzollern. 

(Siehe  Seite  148.) 

Scheinbar  steinerne  Ruhe  gibt  auch  diesem  Bilde,  das  zwölf  Engel  beleben, 
die  hohe,  feierliche  Würde.  Die  himmlische  Psychologie  ist  einfach  und 
schlicht.  Die  heiligen  Stirnen  tragen  keine  Furchen,  die  Sorge  und 
Leidenschaft  mit  eisernem  Griffel  eingegraben  hätten,  und  in  den  Engel- 
augen brennt  kein  flackerndes  Feuer;  was  da  leuchtet,  ist  nur  einfacher 
Widerschein  der  göttlichen  Sonne.  Genialische  Rasereien  und  starke 
Effekte  drängen  sich  überdies  auch  der  minderscharfen  Beobachtungsgabe 


149 


auf,  aber  die  feinen  Regungen  kindlich  reiner,  schüchterner  Seelen  lassen 
sich  nur  mit  dem  Mikrometer  der  höchsten  Kunst  erlauschen. 

Das  archaisierende  Element  in  der  Beuroner  Kunst  mußte  dazu  führen, 
daß  Oebärde  und  Stellung  Mariens  und  des  Jesukindes  nach  byzantinischen 
Mustern  wiedergegeben  wurden.  Die  ägyptisierenden  Motive  fallen  sofort 
auf.    Die  dekorative  Ornamentik, 


zumal  die  pflanzliche  Typik,  weist 
deutlich  nach  Aegypten.  Geht 
es  aber  nicht  zu  weit,  wenn  wir 
sogar  die  Kleidung  der  Mutter 
Gottes  und  des  Christkindes 
ägyptisch  gemustert  sehen,  das 
punktierte  Gewand  des  kleinen 
Jesus,  die  Kopfbänder  bei  Mutter 
und  Kind?  Dadurch  wird  auf 
einen  psychologischen,  gedank- 
lichen Zusammenhang  der  Dar- 
stellung mit  Aegypten  hinge- 
wiesen, der  doch  ganz  und  gar 
nicht  besteht. 

Die  Beuroner  Kunst  hat  nun 
auch  eine  Richtung  aufkommen 
lassen,  in  der  das  ägyptische 
Element  in  etwa  zurückgedrängt 
ist  zugunsten  eines  engeren  An- 
schlusses an  die  italienischen  Tre- 
centisten,  an  Giotto,  an  Fra  Ange- 
lico.  Diese  „etwas  ketzerische" 
Richtung  könnte  man  die 
„mildere"  nennen;  sie  trägt  mehr 
Unbewußtes,  Naives,  weniger 
pointiert  Lehrhaftes  an  sich;  sie 
ist  nicht  mehr  so  ganz  aus- 
schließlich „nur  hieratisch".    Die 

thronende  Madonna  mit  musizierenden  Engeln  in  der  Kapelle  des  ver- 
storbenen Justizrats  Reinhard  in  Ehrenbreitstein  ist  hierfür  charakteristisch 
(s.  Abb.  109).  Unter  den  17  großen  Fresken  der  Abteikirche  Emaus  zu 
Prag,  die  das  Leben  Maria  darstellen,  finden  wir  eine  ganze  Anzahl,  die 
im  gleichen  Sinne  weniger  streng,  weicher  wirken  und  vor  allem  ver- 
ständnisvollen  Anschluß    an    die    Kunst   des    Dominikaners    von    Fiesole 


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Abb.  108.     Beuroner  Schule. 

Mittelstück  aus  dem  Bilde  in  der  Scholastika- 

Kapelle  auf  Monte  Cassino. 

(Siehe  Seite  148.) 


150 


verraten.   Zumal  bei  Darstellungen  der  mater  dolorosa  wußten  die  Beuroner 
Künstler  ihr  hieratisches  Ideal  mit  Schilderung  warmen  Seelenlebens  sehr 

wohl  zu  vereinigen. 
In  dem  IQ  Fresken 
zählenden  großen 
Kreuzweg  der  Marien- 
kirche zu  Stuttgart 
gibt  sich  das  schmerz- 
volle Seelenleben  der 
Madonna  sogar  in  zar- 
ter Steigerung  kund. 
AufdemKreuzigungs- 
bilde  der  Maurus- 
kapelle  entbehrt  der 
Madonnenkopf  nicht 
eines  tiefen,  leidens- 
vollenZuges,  während 
einematerdolorosaim 
charakteristischsten, 
strengst  hieratischen 
Stil  der  Beuroner 
Schule  in  der  Abtei- 
kirche zu  Sankt 
Gabriel  in  Smichow- 
Prag  sehr  wenig  vor- 
teilhaft von  den  eben 
erwähnten  absticht. 
Auch  in  einem  Herz- 
Mariä  -  Oelgemälde 
mit  den  symbolisch 
beigefügten  sieben 
Schwertern  kommt 
zugunsten  der  hie- 
ratischen Strenge  der 
seelische  Ausdruck 
etwas   zu  kurz. 

Um  gerecht  zu 
bleiben,  lasse  man 
keinen  Augenblick 
den  Standpunkt   der 


VSA-  NOSTRAS-  L  AETIT I  A£  *0  P-N- 


Abb.  109.     Beuroner  Schule. 

Thronende  Madonna  mit  musizierenden  Engeln. 

Ehrenbreitstein,  Hauskapelle  Reinhard. 


(Siehe  Seite  149.) 


*  151   * 

Beuroner  Kunstschule  außer  Auge.  lieber  alles  menschliche  Fühlen 
Erhabenes  soll  Eindruck  auf  uns  machen.  Ruhe,  unentwegte  Ruhe  in 
der  Darstellung  ist  die  Folge  solcher  Auffassung.  Es  soll  in  der  Kirche, 
dem  „Vorhofe  des  Himmels",  schon  wie  ein  Stück  der  „beata  sessio",  der 
ruhigen  Seligkeit  des  himmlischen  Thronens  über  uns  selbst  kommen. 
Was  da  fern  von  den  Straßen  des  gemeinen  Lebens  in  unendlicher 
Hoheit  sich  zu  uns,  mütterlich  liebend,  hinabneigt  und  uns  wie  mit 
seligen  Mutterarmen  von  oben  her  umfängt,  dem  muß  auch  die  Kunst 
—  läßt  sie  uns  die  allerbarmende  Königin-Mutter  in  ihrer  Pracht  er- 
schauen —  in  erster  Reihe  jenes  Ueberirdisch-Geheimnisvolle,  Visionäre 
geben,  das  dem  Beschauer  —  als  ersten  Eindruck  —  das  einzig  wahre: 
„Bitte  für  uns,  Königin!"  auf  die  bebenden  Lippen  drängt. 

So  sei  denn  gern  öffentlich  anerkannt,  daß  wenn  irgend  eine,  dann 
die  Beuroner  Kunstschule  auf  hoch  ideellen,  theologisch  unanfechtbaren 
Grundsätzen  aufgebaut  ist.  Aber  mögen  die  Beuroner  Kunstjünger,  ein- 
gedenk des  liberalen  Sinnes  und  der  Toleranz,  die  gerade  den  Benediktiner- 
Orden  immer  auszeichneten,  sich  hüten,  ihre  Kunst  als  die  einzig  berech- 
tigte religiöse  zu  preisen,  für  sie  ausschließlich  gleichsam  das  „Celebret" 
zu  erwirken.  Das  hieße  zahlreiche  andere  Knospen  im  reichen  Gottes- 
garten kirchlicher  Kunst,  die  auch  herrliche  Blüten  erhoffen  lassen, 
gewaltsam  knicken  wollen!  —  wie  in  der  Kirchenmusik  allezeit  erschallen 
möge  —  durch  seine  schlichte,  einfache  Weise  das  Herz  ergreifend  —  der 
gregorianische  Choral,  daneben  aber  dulden  möge  die  freieren,  nicht 
weniger  erschütternden  Harmonieen  eines  Palestrina,  eines  Orlando  di 
Lasso,  selbst  eines  Mozart,  Haydn  weihevoll  bestrickende  Klänge,  ja  eines 
Beethoven  berauschende  „missa  solemnis"! 

Begrüßt  sei  das  Beuroner  Madonnen-Ideal  als  die  rosa  mystica,  die 
in  der  Farbe  der  Liebesglut  purpurn  leuchtende  Rose  im  Blumenstrauß 
der  Kunst,  gewunden  zu  Ehren  der  heiligen  Jungfrau,  als  funkelnder 
Brillant  in  ihrem  Ehren -Diadem,  als  schwellender  Akkord  —  aber  nur 
als  einer  unter  vielen!  —  im  hehren  Konzerte,  dem  Magnificat  der 
bildenden  Künste  zum  Preise  der  Himmelskönigin. 


B.    DARSTELLUNGEN    AUS    DEM 
LEBEN    MARIA. 

Folgen  des  Marienlebens. 

|S  erübrigt  jetzt  noch,  von  den  Darstellungen  aus  dem  Leben 
der  heiligen  Jungfrau,  die  mitunter  in  ganzen  Zyklen,  meistens 
aber  in  Einzelwiedergaben  Episoden  aus  dem  Erdendasein  und 
der  Legende  der  Muttergottes  künstlerisch  verewigen,  zu  reden. 
Von  den  in  Serien  gegebenen  Folgen  des  Marienlebens  ist  die 
in  Holzschnitt  von  Albrecht  Dürer  von  1506  verfertigte  die  mit 
Recht  gefeiertste.  In  echt  deutscher  Gemütlichkeit,  Innigkeit  und  von 
hohem  Schwung  der  Phantasie  getragen,  sind  folgende  Begebenheiten 
erzählt:  „Joachim  vom  Hohenpriester  zurückgewiesen",  „Joachim  vor  dem 
Engel",  „Begegnung  an  der  goldenen  Pforte",  „Maria  Geburt",  „ihr  erster 
Tempelgang",  „Vermählung",  „Verkündigung",  „Heimsuchung",  „Geburt 
Jesu",  „Beschneidung",  „Anbetung  der  Könige",  „Darstellung  im  Tempel", 
„Flucht  nach  Aegypten",  „Ruhe  auf  der  Flucht  nach  Aegypten",  „der 
zwölfjährige  Jesus  im  Tempel",  „Christi  Abschied  von  seiner  Mutter", 
„Tod  Maria",  „Maria  Himmelfahrt".  Wie  das  erst  1511  vollendete  Titel- 
blatt Maria  auf  der  Mondsichel  als  Königin  des  Himmels  preist  (s. 
Abb.  70),  so  mutet  uns  das  Schlußblatt  wie  ein  Gebet  des  Künstlers  zur 
Gebenedeiten  an;  die  treue  Verehrung  der  allerseligsten  Jungfrau  durch 
Erden-   und  Himmelsbewohner  ist  trefflich  illustriert. 

Der  Bocholter  Kupferstecher  Israhel  von  Meckenem  (f  1503) 
hatte  schon  vorher  ein  wenig  originelles  „Marienleben"  gestochen.  Die 
vorgeschrittene  Art  des  Meisters  des  sogenannten  Münchener 
Marienlebens  kann  man  in  Malereien  der  Münchener  Pinakothek 
bewundern.  In  Italien  schmückten  Reihen  von  Szenen  aus  dem  Leben  der 
Madonna  wiederholt  al  fresco  Kirchenwände.  Nur  an  Giottos  Fresken 
in   der  Arenakapelle   zu  Padua,  an    Ghirlandajos    im  Chor  von  Santa 


*  153  * 


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*  154  * 

Maria  Novella  zu  Florenz  sei  erinnert.  Marienleben  schufen  al  fresco  in 
ausgedehnter  Bilderreihe  in  Spanien:  Juan  de  Borgofia  (f  1533)  im 
Kapitelsaal  der  Kathedrale  zu  Toledo,  AI.  Ca  ho  in  der  Capilla  Mayor 
der  Kathedrale  zu  Granada,  Francisco  Alfaro  an  gleicher  Stelle  in 
Sevilla,  in  Portugal:  Velasco  da  Coimbra,  Museum  zu  Lissabon. 
Wir  kommen  nun  zu  den  Einzeldarstellungen. 

Maria  Geburt. 

Maria  Geburt  erzählt  Giotto  in  der  Arenakapelle  zu  Padua  mit  der 
größten  Umständlichkeit  in  sieben  Gemälden  nach  den  apokryphen  Evan- 
gelien: Zurückweisung  des  Opfers  Joachims  wegen  seiner  Kinderlosigkeit, 
Betrübnis  des  Joachim  in  der  Einsamkeit,  Verkündigung  an  die  Mutter 
Anna,  daß  sie  eine  Tochter  gebären  werde,  ein  Engel  meldet  Joachim  die 
Botschaft,  Joachim  wird  vom  Engel  die  Heimkehr  vom  Felde  befohlen, 
Begegnung  von  Joachim  und  Anna  an  der  goldenen  Pforte,  endlich  die 
eigentliche  Geburt  als  Wochenstubenszene.  Frauen  bemühen  sich  um  das 
neugeborene,  zu  badende  Kind  und  die  Wöchnerin. 

Die  hier  gegebenen  Motive  sind  der  Darstellung  dieser  Szene  in 
der  Folge  durchgängig  eigen.  Gelegentlich  sind  Joachim  und  Freunde 
der  Familie  anwesend.  Auch  von  den  anderen  Bildern  wurden  oft  einige, 
besonders  gern  die  Begegnung  an  der  goldenen  Pforte,  wiederholt. 
Hauptsächliche  Darstellungen:  Giovanni  da  Milano  und  Taddeo  Gaddi 
in  Santa  Croce  zu  Florenz;  Pietro  Lorenzetti:  Domopera  zu  Siena;  Bar- 
tolo  di  Fredi:  San  Agostino  zu  San  Gimignano;  Orcagna:  Or  San  Michele 
in  Florenz,  Ottaviano  Nelli:  Palazzo  de  Trinci  in  Foligno;  B.  Vivarini: 
Santa  Maria  Formosa,  Venedig;  Carpaccio:  Akademie,  ebenda;  Andrea 
del  Sarto:  Annunciata  in  Florenz;  Rundbild  des  Filippo  Lippi  im  Pitti- 
palast,  daselbst;  Homilien  des  Mönches  Jakob,  Nationalbibliothek  zu  Paris; 
Darstellungen  in  den  Biblia  pauperum  und  Canticum  canticorum;  Marien- 
altar zu  Lübeck,  Schöllenbacher  Altar  in  Erbach  von  1503,  Tiroler 
Elfenbein  in  Berlin,  1500,  Schnitzwerk,  ebenda,  1510,  Meister  des  Marien- 
lebens in  Köln,  1470;  Dürer  in  Folgen  des  Marienlebens;  B.  E.  Murillo: 
Louvre  zu  Paris  (s.  Abb.  110).  Neue  Kunst:  Karl  Müller:  Bleistiftzeichnung 
zu  einem  unausgeführten  Entwurf  für  die  Apollinariskirche  in  Remagen, 
um  1845,  im  Besitz  der  Familie  des  Künstlers. 

Erziehung  Maria. 

Bilder  der  sogenannten  Erziehung  Maria,  wie  die  heilige  Jungfrau 
im  kindlichen  Alter  von  der  h.  Mutter  Anna  unterwiesen  wird,  waren  in 
Spanien  üblich.     Das  berühmteste  mit  Maria  als  zwölfjährigem  Mädchen, 


*  155  * 

mit  allen  Reizen  spanischer  Kinder  ausgeschmückt,  ist  das  von  Murillo 
im  Pradomuseum  zu  Madrid  (s.  Abb.  111).    Roelas  behandelte  den  Gegen- 


Abb.    111.     Bart.  Esteb.  Murillo,  Erziehung  Maria.    (Madrid,  Prado.) 
(Siehe  Seite  155.) 

stand  in  einem  Gemälde  des  Museums  zu  Sevilla,  Juan  de  Juni,  sogar 
plastisch  in  einer  Gruppe  am  Trascoro  der  Kathedrale  zu  Salamanca.    Vom 


*  156  * 


Abb.  112.    Pet.  Paul  Rubens,  Die  Erziehung  der  hl.  Jungfrau.    Antwerpen,  Museum. 

(Siehe  Seite  157.) 


*  157  * 


Vlamen  Rubens  be- 
findet sich  eine  Er- 
ziehung Maria  im 
Museum  zu  Antwer- 
pen (s.  Abb.  112),  aus 
neuer  Zeit  eine  von 
Karl  Müller  in  der 
Remigiuskirche  in 
Bonn  (s.  Abb.  113). 
Auf  des  Anglo- 
Italieners  Rossetti 
Bild  „Mariens  Mäd- 
chenzeit" ist  die 
heilige  Jungfrau  mit 
einer  Handarbeit  be- 
schäftigt. Die  heilige 
Mutter  Anna  lehrt  ihr 
die  Stickerei. 

DarstellungimTempel. 

Diese  Darstellung 
ist  am  weitschweifig- 
sten in  fünf  Bildern 
in  den  schon  er- 
wähntenHomilien  des 
Mönches  Jakob  ge- 
malt: Feierlicher  Zug 
zum  Tempel,  eigent- 
liche Darstellung, 
Zacharias  umarmt  die 
kleine  Maria,  das 
Kind  wird  im  Tem- 
pel vom  Engel  er- 
nährt, Maria  emp- 
fängt den  Purpur.  In 
der  Regel  ist  nur  die 
eine  Szene  gegeben: 
Während  unten  die 
Eltern  und  Freunde 
stehen,  eilt  Maria  die 


Phot.  Gesellschaft. 

Abb.  113.     Karl  Müller,  Erziehung  der  hl.  Jungfrau 
Maria.     Altarbild  in  der  St.  Remigiuskirche  in  Bonn. 

(Siehe  Seite  157.) 


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*  159  * 

Treppe  zum  Tempel   hinauf,   wo  oben  der  Hohepriester  mit  Gefolge   sie 
empfängt. 

Hauptsächliche  Darstellungen:  Außer  jenen  in  den  früher  erwähnten 
Zyklen  von  Dürer,  Ghirlandajo,  Gaddi,  Giovanni  da  Milano,  Nelli,  Orcagna 
seien  erwähnt:  Livres  d'heures  des  Duc  de  Berry  in  der  Bibliothek  des 
Duc  d'Aumale  in  Chantilly,  Carpaccio:  Brera  in  Mailand;  Sodoma:  Ora- 
torio  di  San  Bernardino  in  Siena;  Cima  da  Conegliano,  Gemäldegalerie 
zu  Dresden  (s.  Abb.  114),  Tintoretto:  Santa  Maria  del  Orto,  Venedig,  und 


Phot.  UnioD. 

Abb.  115.    Franz  Ittenbach,  Tempelgang  Maria.  Fresko  in  der  Apollinariskirche  zu  Remagen. 

(Siehe  Seite  159.) 


die  mit  Recht  berühmteste  von  allen:  Tizian:  Akademie  zu  Venedig. 
Bernhard  Striegel:  Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin.  Aus  neuer  Zeit: 
Franz  Ittenbach:  Fresko  in  der  Apollinariskirche  bei  Remagen  (s.  Abb.  115). 


Vermählung. 

Die  Vermählung  Maria  ist  in  der  Regel,  wie  folgt,  gegeben:  Vor 
dem  Hohenpriester  steht  das  Brautpaar.  Hinter  Joseph  sind  die  herbei- 
geeilten, verschmähten  Freier  versammelt,  die  ihm  auf  den  Rücken  klopfen 
oder  die  Stäbe  zerbrechen,  hinter  Maria  befreundete  Frauen.  Bei  Giotto 
(Padua)  und  dem  Mönche  Jakob  (Homilien)  ist  der  Stoff  wieder  in  mehrere 


*  160  * 

Szenen    zerlegt.     In    den    früher   erwähnten  Zyklen  wurde   dieses  Thema 
selbstverständlich  auch  behandelt. 


Abb.  116.     Raffael  Sanzio,  Vermählung  Maria  (Sposalizio).  Mailand,  Brera. 

(Siehe  Seite  161.) 

Folgende  Wiedergaben  seien  ferner  genannt:  Lorenzo  da  Viterbo: 
Kirche  della  Verita,  Viterbo,  Luini,  Kirche  zu  Saronno,  Carpaccio,  Brera 
zu  Mailand;    Fra  Angelico:  Akademie,  Florenz;  Perugino:  Caen,  Galerie; 


*   161  * 

Raffael:  Sposalizio,  Mailand,  Brera  (s.  Abb.  116).  Plastische  Gruppe  eines 
niederrheinischen  Künstlers  am  Marienaltar  der  Pfarrkirche  zu  Calcar. 
Hans  Fries  von  Freiburg:  Germanisches  Museum,  Nürnberg.  Meister  von 
Flemalle:  Museum  zu  Madrid.  Juan  Valdes  Leal,  Kathedrale  zu  Sevilla. 
Von  neuen  Arbeiten  seien  die  Vermählung  von  Overbeck  in  der  Raczynski- 
Sammlung  des  Kaiser  Friedrich-Museums  zu  Posen  erwähnt  und  das  Ge- 
mälde des  van  Loo  im  Louvre  zu  Paris. 

Verkündigung. 

Die  Verkündigung  Maria  ist  wohl  das  in  der  bildenden  Kunst  am 
häufigsten  gefeierte  Ereignis  aus  dem  Leben  der  heiligen  Jungfrau.  Viele 
hunderte  Male  ist  der  Stoff  behandelt  worden,  wie  der  Engel  des  Herrn 
Maria  die  Botschaft  bringt.  „Und  sie  empfing  vom  Heiligen  Geiste. 
Maria  sprach:  Siehe,  ich  bin  eine  Magd  des  Herrn,  mir  geschehe  nach 
deinem  Worte."  Diese  Gebetsworte  enthalten  den  Kern  der  zahllosen  Ver- 
kündigungsdarstellungen. Ob  nun  das  erste  Stammeln  der  Kunstbetätigung 
Maria  und  den  Engel  unkenntlich,  steif,  beziehungslos  nebeneinander  setzt, 
ob  Maria  und  der  Engel  in  lebhafte,  künstlerisch  vollendet  gegebene 
Beziehung  treten,  ob  der  Engel  schwebt,  kniet,  schreitet  oder  steht,  die 
h.  Jungfrau  majestätisch  thront  oder  bescheiden  betend  kniet,  ob  beide 
ätherisch  zart,  wie  hingehaucht  gegeben  sind,  ob  sie  in  vollen,  breiten 
Formen,  sehr  real,  sich  gegenübertreten,  in  welcher  Phantasiegewandung, 
durch  welche  Farbenwirkung,  mit  welchen  Abzeichen  versehen  wir  sie 
beschauen,  ob  in  geschlossenem,  architektonischem  Raum,  ob  in  freier 
Natur,  ob  allein,  oder  ob  unter  Hinzuziehung  himmlischer  oder  mensch- 
licher Zeugen  —  stets  sollen  uns  das  Lob  der  Demut  und  Jungfräulichkeit, 
das  höchste  Geheimnis  göttlicher  Liebe,  der  Beginn  der  Menschwerdung 
Gottes  nahe  gebracht  werden  und  uns  erschüttern. 

Die  älteste  Wiedergabe  des  erhabenen  Geheimnisses  stammt  bereits 
aus  dem  II.  Jahrhundert  und  findet  sich  in  der  Priszillakatakombe.  Der  Engel, 
in  feierlicher  Gewandung,  steht  vor  der  Jungfrau  und  hat  die  Rechte  zum 
Redegruß  erhoben.  Maria  empfängt  sitzend  die  Botschaft,  wodurch  der 
Maler  ihren  Vorrang  vor  dem  Engel  hervorheben  wollte.  Ganz  ähnlich  ist 
die  Szene  auf  einem  Fresko  des  III.  Jahrhunderts,  in  Kammer  54  der 
Katakombe  der  Heiligen  Petrus  und  Marzellinus  gegeben. 

Eine  sehr  alte  und  historisch  hoch  interessante  „Verkündigung",  nicht 
später  als  aus  der  Zeit  vom  V.  bis  VIII.  Jahrhundert,  wurde  jüngst  auf 
einem  byzantinischen  Gewebe  aus  dem  neuerschlossenen  Schatze  der 
lateranischen  Palastkapelle  der  mittelalterlichen  Päpste  entdeckt.  Maria  hat 
hier  bei   der  Begrüßung  durch  den  Engel  einen  Arbeitskorb  neben  sich 

Rothes,  Madonna.  ]  ] 


*  162  * 


stehen,  aus  dem  ein  Faden  hervorgeht.  Den  derröm 


Sammlung  Trivulzio  zu  Mailand;  Sarkophag  bei  dem 
Kästchen  des  X.Jahrhunderts,  Louvre,  Paris;  Hom 


isch-griechisehen  Reichs- 
kunst eigenen  Cha- 
rakter beweisen  der 
reiche  Schmuck  des 
Thrones,  die  Ge- 
wandung des  Engels, 
mit  viereckigen,  dun- 
keln Clavi  versehen, 
auch  dessen  starrer 
Blick,  dann  der  Prunk 
in  den  Farben,  be- 
sonders der  Flügel. 
Es  handelt  sich  hier 
um  eines  der  schön- 
sten, wenn  nicht 
geradezu  um  das 
schönste  Stück  unter 
allen  erhaltenen,  ge- 
webten alten  Darstel- 
lungen rein  christ- 
lichen Charakters. 
Durch  das  freund- 
liche Anerbieten  des 
Entdeckers,HerrnPro- 
fessors  Paters  Grisar 
S.  J.,  wird  das  wert- 
volle Bild  in  bei- 
stehender Reproduk- 
tion zuerst  weiteren 
deutschen  Kreisen  be- 
kannt (s.  Abb.  117). 
Aeltere  Darstel  - 
hingen  der  Verkün- 
digung sind  ferner: 
Elfenbeinrelief  des 
Bischofsstuhls  Maxi- 
mians zu  Ravenna; 
Elfenbeinrelief       der 

Grab  Dantes  in  Ravenna; 

ilien  des  Mönches  Jakob 


*  163  * 

in  fünf  Szenen  nach  apokryphen  Evangelien  (h.  Jungfrau  am  Brunnen, 
Ankunft  des  Engels,  eigentliche  Verkündigung,  Rückkehr  des  Engels  in  den 
Himmel,  die  h.  Jungfrau  trägt  den  Purpur  zum  Tempel);  Gemmen  der 
Nationalbibliothek  zu  Paris;  Exultet  von  Capua;  Kapital  an  der  Kirchtür 
von  San  Andrea  zu  Pistoja,  von  Magister  Enricus,  ebenda;  San  Bartolomeo 
da  Pantano:  Relief  an  der  Kanzel  von  Guido  da  Como;  Mosaik  in  Santa 
Maria  Trastevere  in  Rom. 

Die  ältere  Germanische  Kunst  knüpfte  an  den  sog.syro-palästinensischen 
Typ  an,  wo  Maria  vor  ihrem  Sessel  stehend,  die  Arme  erhoben  oder  ge- 


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Abb.  118.     Lionardo  da  Vinci,  Maria  Verkündigung,  Florenz,  Uffizien. 

(Siehe  Seite  167.) 


kreuzt,  den  Boten  empfängt,  so  auf  dem  angelsächsischen  Ruthwellkreuz, 
in  karolingisch-ottonischen  Bibeln  (Cod.  Egberti),  an  Bernwards  Bronze- 
Domtüre  zu  Hildesheim  und  im  Wischerahder  Kodex  in  Prag  aus  dem 
XI.  Jahrhundert. 

Eine  höfische,  fast  etwas  abgeschmackt  wirkende  Konzeption  bringt 
die  französische  Plastik  des  XIII.  Jahrhunderts,  die  von  Rheims  her  auch 
nach  Deutschland,  Bamberg,  Freiburg,  Trier  eindringt.  Gabriel,  schalk- 
haft lächelnd,  als  Mitwisser  eines  süßen  Geheimnisses,  begrüßt  die  ob 
der  Botschaft  freudig  bewegte  Jungfrau.  Das  Bestreben,  die  Empfängnis 
durch  den  Heiligen  Geist  anzudeuten,  verleitete  die  alten  deutschen  Künstler 
oft  zu  unästhetischen,  grob  massiven  Verirrungen.  Noch  verständlich  und 
nicht  unkünstlerisch  ist  das  einfachste  Symbol,  die  Taube,  die  sich  auf  das 


*  164  * 


Abb.  119.     Albr.  Dürer,  Die  Verkündigung.     Holzschnitt  aus  dem  Marienleben. 

(Siehe  Seite  167.) 


*  165  * 

Haupt   der  Jungfrau   senkt   oder  auf  sie  zuflattert,  oft  in  einem  Strahlen- 
bündel, das  oben  vom  segnenden  Gott  Vater  in  Wolken  ausgeht.   Dahinter 


Original-Aufnahme. 

Abb.  120.     Lukas  Cranach,  Verkündigung.     Halle  a.  S.,  Marktkirche. 

(Siehe  Seite  167.) 


aber,   oder  statt  dessen,   ist  häufig  der  Logos  gegeben   in  Gestalt  eines 
kleinen  Kindes,  mit  dem  Kreuze  beladen  oder  in  betender  Haltung,  so  an 


*  166  * 

dem  Tympanon  zu  Wimpfen  i.  Th.  von  1476.  Der  Strahl  nimmt  manch- 
mal die  Form  eines  Schlauches  oder  Stabes  an,  der  den  Logos  oder  die 
Taube  nach  dem  Ohr  der  Jungfrau  leitet,  so  am  Katzenwicker  und  der 
Liebfrauenkirche,  früher  auch  am  Dome  zu  Würzburg,  nach  der  mystischen 
Auffassung,  Maria  habe  durch  das  Ohr  empfangen.  „Dur  ir  öre  empfienc 
si  den  vil  süezen",  singt  Walter  von  der  Vogelweide.  Im  Glasgemälde 
der  Benediktuskirche  zu  Freising  hat  Gott  Vater  statt  des  Strahles  ein 
großes  Blasrohr  in  der  Hand,  in  Thörl  in  Kärnten  reicht  er  das  Kind  in 
einem  Ei  mit  Kreuz  herunter.    Erst  durch  den  in  diesem  Falle  „reinigenden" 


Abb.  121.     Bart.  Esteb.  Murillo,  Maria  Verkündigung,  Madrid,  Prado. 

(Siehe  Seite  167.) 


Einfluß  der  feierlichen  Verkündigungsbilder  der  italienischen  Renaissance 
ließ  die  deutsche  Kunst  von  diesen  groben  Versinnlichungen  des  über- 
sinnlichsten Geheimnisses  ab  und  erhob  sich  auch  ihrerseits  zu  weihevollen 
und  feinsinnigen  Konzeptionen  des  erhabenen  Vorgangs. 

Im  folgenden  seien  nur  noch  kurz  die  Namen  bedeutenderer  Künstler 
genannt,  die  Maria  Verkündigung  —  zum  großen  Teil  mehrfach  —  be- 
handelten: Giotto,  Duccio,  Simone  Martini,  Lippo  Memmi,  die  Lorenzetti 
Gaddi,  Taddeo  di  Bartolo,  Spinello  Aretino,  Fra  Guglielmo  da  Pisa 
Pisanello,  Orcagna,  Fra  Angelico  da  Fiesole,  Donatello,  die  della  Robbia, 
Pier  de  la  Francesca,  Filippo  Lippi,  Botticelli,  Carlo  Crivelli,  Ghirlandajo, 


*  167  * 

Lorenzo  di  Credi,  Perugino,  Filippino  Lippi,  Francesco  Francia,  Lionardo 
da  Vinci  (s.  Abb.  118),  Tizian,  Paolo  Veronese,  Tintoretto,  Andrea  del  Sarto, 
Francesco  Abani,  Meister  der  Miniatur  in  der  Hofbibliothek  zu  Darmstadt, 


Phot.  Alinari. 

Abb.  122.    Luca  della  Robbia,  Heimsuchung,  Pistoia,  Skulptur  in  S.  Giovanni. 

(Siehe  Seite  170.) 


Meister  F.  V.  B.  (Kupferstich),  Dürer  (s.  Abb.  1  IQ),  Lukas  Cranach  der  Aeltere 
(s.  Abb.  120),  Martin  Schaffner,  Grünewald,  Veit  Stoß,  Jan  Joest  von  Calcar, 
Petrus  Christus,  van  Eyck,  Murillo  (s.  Abb.  121),  Cano,  Pacheco,  Verdiguier. 
Neuerdings:  Eduard  von  Steinle,  Franz  Müller,  Frl.  v.  Oer,  Vogeler- 
Worpswede,  Parsons,  Shields,  Dante  Gabriel  Rossetti,  Segantini. 


*  168  * 


Heimsuchung. 


Maria  Heimsuchung  ist  weit  weniger  häufig  dargestellt.    Kurze  Zeit 
vor  der  Geburt  Jesu  besucht  Maria  ihre  Base  Elisabeth.     Diese  empfängt 


Phot.  Union. 

Abb.  123.    J.  E.  von  Steinle,  Heimsuchung  Maria. 

(Siehe  Seite  171.) 


und  begrüßt  die  hl.  Jungfrau  vor  ihrem  Hause.  Vielfach  sind  dienende 
Frauen,  mitunter  auch  Joseph  und  Zacharias  bei  der  Begegnung,  ja  Um- 
armung der  beiden  heiligen  Frauen  zugegen. 


*  169  * 


Abb.  124.     Karl  Müller,  Maria  Heimsuchung.     Privatbesitz  in  Köln. 
(Siehe  Seite  171.) 


170 


Hauptsächlichste  Darstellungen:  Homilien  des  Mönches  Jakob,  der 
in  einem  der  eigentlichen  Begegnung  vorausgehenden  Bild  auch  noch 
Maria  auf  dem  Wege  zu  Elisabeth  ausruhend  zeigt,  Dürer,  Giotto,  Gaddi, 
Ghirlandajo,  Sodoma  in  früher  erwähnten  Zyklen,  Fra  Guglielmo  da  Pisa, 
Kanzel  zu  Pistoia;  Carpaccio,  Museo  Correr,  Venedig;  Sebastian  del  Piombo 

(Schulbild),  Akade- 
mie, daselbst;  Luca 
della  Robbia,  Pistoia, 
S.  Giovanni  fuori 
civitas  (s.  Abb.  122); 
Albertinelli:  Uffizien 
zu  Florenz;  Raffael 
Sanzio:  Pradomu- 
seum  zu  Madrid; 
Juanes,  ebenda;  Juan 
del  Castillo,  Museum 
zu  Sevilla;  Meister 
von  S.  Bento,  Museum 
zu  Lissabon;  Tobias 
Stimmer(Holzschnitt), 
Skulptur  des  sog. 
„Meisters  der  Heim- 
suchung" am  Dome 
zu  Bamberg,  Skulp- 
tur am  Dome  zu 
Freiburg,  Schühleins 
Altar  in  Tiefenbronn. 
Auch  bei  den  Dar- 
stellungen der  Heim- 
suchung hat  die  ältere 
deutsche  Kunst  oft 
—  was  man  der  sehr 
derben  Zeit  zugute 
halten  muß  —  die  Grenzen  des  guten  Geschmacks  in  unerhörter  Weise 
überschritten.  Darstellungen,  auf  welchen  ein  vielstrahliger  Stern  vor 
dem  Körper  der  Frauen  erscheint,  wie  auf  dem  Herlinschen  Altar  in 
Rotenburg,  oder  die  Kinder  in  Strahlennimben  vor  den  Gewändern 
schweben,  wie  auf  dem  Hallerschen  Altar  im  Ferdinandeum  zu  Innsbruck, 
auf  einem  Altkölner  Altärchen  aus  Oberwesel  im  erzbischöflichen  Museum 
zu   Utrecht   und    auf   einem    Bild    im  Rathaus   zu    Nördlingen     sind   zur 


Abb.  125.     Karl  Müller,  Maria  Heimsuchung. 
Im  Privatbesitz  in  Geestemünde. 

(Siehe  Seite  171.) 


*  171   * 

Not  noch  erträglich,  nicht  mehr  aber  jene,  von  offenbar  roheren  Naturen 
geschaffenen,  ordinär -sinnlichen  Symbolismen  auf  Wiedergaben  an  der 
geschnitzten  Tür  von  Trandorf  bei  Straßwalchen  im  Salzburgischen,  bei 
einer  Elfenbeingruppe  auf  Burg  Falkenstein  im  Harz,  auf  einem  Teppich 
(No.  41)  im  Museum  zu  Sigmaringen,  auf  einer  Holzgruppe  von  Sankt 
Petri- Pauli  in  Görlitz,  auf  Bildern  zu  Sankt  Georg  bei  Bonaduz,  zu 
Bogen  an  der  Donau. 


Phot.  Löwy. 


Abb.  126.    Jos.  von  Führich,  Der  Gang  Maria  über  das  Gebirge. 

(Siehe  Seite  171.) 


Von  neueren  Künstlern  haben:  J.  E.  von  Steinle  (s.  Abb.  123)  und 
Karl  Müller,  Düsseldorf  1868  (Privatbesitz  zu  Köln  und  zu  Geestemünde) 
(s.  Abb.  124  und  125),  das  Thema  edel  behandelt.  Den  „Gang  Mariens 
über  das  Gebirge  zu  Elisabeth"  malte  poesievoll  Joseph  von  Führich 
(s.  Abb.  126).  Fritz  von  Uhdes  Gemälde:  „Ein  schwerer  Gang"  („Gang 
nach  Bethlehem"),  Pinakothek,  München,  und  „Der  heilige  Abend"  mögen 
an  dieser  Stelle  Erwähnung  finden. 


172 


Maria  und  die  Kindheit  Jesu. 

)n  den  Bildern,  die  sich  mit  der  Kindheit  des  göttlichen  Erlösers 
beschäftigen,  spielt  die  Mutter  Gottes  selbstverständlich  auch  eine 
Rolle.   Und  so  haben  Künstler,  die  das  Marienleben  schilderten, 
wie  auch   Dürer,    mit  Recht   die  Szenen    aus   der   Kindheit  Jesu  in   diese 


Phot.  Hanfstaeogl. 

Abb.  127.     Albr.  Dürer,  Geburt  Christi.    München,  Pinakothek. 

(Siehe  Seite  174.) 

Zyklen    hineinbezogen.      Da   aber   doch    das   göttliche    Kind   hierbei    im 
Vordergrund    des   Interesses    steht    und  Maria   nur  in   zweiter    Linie   in 


*  173 


Abb.  128.     Albr.  Dürer,  Die  Geburt  Christi.     Kupferstich  aus  dem  Jahre  1504. 

(Siehe  Seite  174.) 


*  174  * 

Betracht  kommt,  sind  diese  Darstellungen  an  dieser  Stelle  nur  ganz 
flüchtig  zu  berühren.  Christi  Geburt  ist  entweder  als  Wochenstubenszene 
gegeben  und  Maria  als  Wöchnerin  im  Ruhebett  (Elfenbeinrelief  vom 
Bischofsstuhl  Maximians  zu  Ravenna;  Elfenbeinrelief  des  Kölner  Museums, 
Rheinische  Kunst,  XII. Jahrhundert;  Guglielmo  da  Pisa,  die  Pisani,  Cimabue, 
Giotto,  Orcagna),  oder  die  Anbetung  des  göttlichen  Knaben  durch  Maria 
und  Joseph  (Miniatur  im  Besitz  des  Fürsten  zu  Salm-Salm,  Anhalt),   oder 


Abb.  129.     Bart.  Esteb.  Murillo,  Anbetung  der  Hirten.     Madrid,  Prado-Museum. 

(Siehe  Seite  174.) 

durch  die  vom  Engel  herbeigerufenen  Hirten  ist  gewählt.  In  diesem 
letzten  Falle  ist  Maria  meist  ebenfalls  niedergekniet  und  verehrt  betend 
die  in  der  Krippe  liegende  göttliche  Allmacht.  (Fra  Angelico,  Benozzo 
Gozzoli,  Perugino,  Botticelli,  Lorenzo  di  Credi,  Correggio,  Meister  von 
Liesborn,  Dürer  [s.  Abb.  127  und  128],  Holbein  d.  J.,  Barthel  Bruyn,  van 
der  Goes,  van  Dyck,  Rubens,  Rembrandt,  Murillo  [s.  Abb.  129],  Velasquez 
u.  a.).  Neue  Behandlungen  des  Stoffs  sind  z.B.  von  Walter  Firle,  Karl  Marr, 
Karl  Müller,  Nüttgens,  v.  Oer,  Sinkel,  Uhde  usw. 


*  175  * 


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*  176  * 

Die  Anbetung  der  hl.  drei  Könige  zeigt  Maria  durchgängig 
sitzend;  auf  ihrem  Schoß  hat  sie  das  Kind,  dem  gehuldigt  wird.  (Die 
Pisani,  Lorenzo  Monaco,  Gentile  da  Fabriano,  Lionardo  da  Vinci,  Fra 
Angelico,  Ghirlandajo,  Stefan  Lochner,  Meister  der  heiligen  Sippe  [s.  Abb.  131], 


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Phot.  Bruckniann. 


Abb.  131.     Meister  der  hl.  Sippe.    Anbetung  der  hl.  drei  Könige. 
Im  Besitz  des  Grafen  Landsberg-Velen  auf  Schloß  Genen. 

(Siehe  Seite  176.) 


Hans  Baidung  Grün,  Hans  von  Kulmbach,  Albrecht  Dürer,  Rogier  van  der 
Weyden,  Memling,  Roelas,  Nie.  Poussin  [s.  Abb.  130],  Pfannschmidt,  Strath- 
mann.)  Maria  ist  neben  anderen  Personen  zugegen  auf  jenen  den  jüdischen 
Ritus  gebenden  Bildern  der  Beschneidung  (Giottoschule,  Lorenzetti- 
schule,  Salzburger  Antifonar,  Klosterneuburger  Altar,  Michael  Pacher)  und 


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Abb.  132. 

Martin  Feuerstein 
Madonna 
auf  der  Mondsich« 
Straßburg. 

i  Siehe  Seite  138.) 


*  177  * 

der  Darstellung  Christi    im  Tempel.     (Die   Pisani,   Giotto,  Avanzi, 
Montagna,  Francia,   V.  Carpaccio,  Meister  von  St.  Severin,    Meister   des 


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Abb.  133.  Lukas  Cranach  d.  Ae.,  „Ruhe  auf  der  Flucht  nach  Aegypten". 

Berlin,  Kaiser  Friedrich-Museum. 

(Siehe  Seite  181.) 

Münchener  Marienlebens,    Memling,    Morales,    Meister  von  San    Bento, 
Bourdon.) 


Rothes,  Madonna. 


12 


*  178 


Abb.  134.     Lukas  Cranach  d.  Ae.,  Ruhe  auf  der  Flucht  nach  Aegypten. 
Bez.  m.  d.  geflügelten  Drachen.     Holzschnitt. 

(Siehe  Seite  181.) 


*  179  * 

Auf  der  Flucht  nach  Aegypten  sitzt  Maria  mit  dem  Kinde  auf 
einem  Esel,  der  entweder  von  Sankt  Joseph  selbst  oder  von  einem  Diener 
geführt  wird.  (Oiotto,  Gentile  da  Fabriano,  Fra  Angelico,  Peruzzi,  Mem- 
ling,  Dürer,  Hans  Baidung  Grün,  Elsheimer,  Holman  Hunt,  Hans  Thoma.) 


Abb.  135.     Bart.  Esteb.  Murillo,  Ruhe  auf  der  Flucht  nach  Aegypten.     Petersburg,  Eremitage. 

(Siehe  Seite  181.) 


Mitunter  ist  die  gleichartige  Darstellung  Rückkehr  von  der  Flucht  genannt. 
Namentlich  in  späterer  Zeit  war  die  sog.  Ruhe  auf  der  Flucht 
ein  beliebtes  Thema.  Maria  ist  mit  dem  Kinde  unter  schattigem  Baume 
gelagert.  Auch  Sankt  Joseph  rüstet  zur  Rast  oder  pflückt  zur  Erquickung 
Früchte  vom  Baume.   Englein  sind  manchmal  vom  Himmel  niedergestiegen, 


*   180  * 


Abb.  136     Albr.  Dürer,   Hl.  Familie  bei  der  Arbeit  in  Aegypten.    Holzschnitt. 

(Siehe  Seite  181.) 


*  181  * 


um  dem  Jesukind  die  Zeit  der  Rast  zu  verkürzen.  (Tizian,  Correggio, 
Lukas  Cranach  d.  Ae.  [s.  Abb.  133  und  134],  Altdorfer,  Gerard  David, 
Joachim  Patinir,  van  Dyck  [s.  Abb.  54],  Murillo  [s.  Abb.  135],  Ribera.) 
Dürer  gibt  den  Aufenthalt  in  Aegypten:  die  heilige  Familie  bei  der 
Arbeit  (s.  Abb.  136). 

Den  zwölfjährigen,  im  Tempel  lehrenden  Jesusknaben  zurück 
zu  holen,  treffen  wir  dort  Maria  nebst  Jesu  Pflegevater.  (Giotto,  Barna, 
Luini,  Bonifazio  Veneziano, 
LudovicoMazzolino,Kodex 
Egbertus,  Fresco  zu  Terlan, 
Creglinger  Altar  von  1487, 
Ulmer  Tympanon,  Kanzel 
zu  Naumburg,  Dürer,  Cam- 
pana, Meister  von  San 
Bento,  neuerdings:  Adolf 
Menzel  und  Max  Lieber- 
mann.) Simone  Martini  gibt 
in  einem  Bilde  im  Museum 
zu  Liverpool  die  Rückkehr 
des  Zwölfjährigen  vom 
Tempel  zwischen  Maria 
und  Joseph. 

An  dieser  Stelle  ver- 
dienen auch  die  merk- 
würdigen Darstellungen  der 
Sankt  Anna  selbdritt, 
Mutter  Anna  mit  der  hei- 
ligen Jungfrau  und  dem 
kleinen  Jesus  zusammen, 
Erwähnung.  (Masaccio, 
Masolino,Lionardo  daVinci 
[s.  Abb.  137],  Andrea  San- 

sovino,  Albrecht  Dürer  [s.  Abb.  138],  die  beiden  Hans  Holbein:  der 
Jüngere  und  der  Aeltere,  Lukas  Cranach,  Bernhard  Strigel,  Hans  Baidung 
Grün,  „mit  der  Familie  des  Christof  von  Baden"  als  Stiftern,  Geertgen 
von  Haarlem,  Quentin  Massys  und  Jan  Skorel,  „Heilige  Sippen".) 

Die  heilige  Familie,  Maria  mit  dem  Jesuskinde  und  dem  Nähr- 
vater Jesu,  Sankt  Joseph,  manchmal  unter  Hinzuziehung  des  Johannes- 
knaben, der  Base  Elisabeth,  auch  wohl  anderer  Heiliger,  wurde  —  darunter 
von   den    ersten   Meistern    der  verschiedensten  Länder  —  recht  vielfach 


Abb.  137.    Lionardo  da  Vinci,  Sankt  Anna  selbdritt. 
Paris,  Louvre. 

(Siehe  Seite.  181.) 


182 


dargestellt.    (Lionardo  da  Vinci:  „mit  der  h.  Katharina",  Eremitage,  Peters- 
burg;   Tizian:   London,  Paris;    Raffael  Sanzio:   „mit  dem  Lamm",    Prado- 


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Abb.  138.     Albr.  Dürer,  Die  heilige  Anna  selbdritt. 
Kolorierte  Handzeichnung  von  1514.     Im  German.  Museum,  Nürnberg. 

(Siehe  Seite  181.) 

Museum,  Madrid,  „mit  dem  bartlosen  h.  Joseph",  Eremitage,  St.  Petersburg, 
„mit  der  Eidechse",  Prado-Museum,  Madrid,   „große  hl.  Familie",  Louvre, 


*  183  * 

Paris,  „la  perla",  Prado-Museum,  Madrid,  „Impanata",  Pittipalast,  Florenz; 
Michelangelo,    Uffizien,    Florenz;     Correggio,    Sodoma,    Palma  Vecchio, 


Abb.  139.     Pet.  Paul  Rubens,  Die  hl.  Familie.     Köln,  Wallraf-Richartz-Museum. 

(Siehe  Seite  184.) 

[s.  Abb.  30],  Tiepolo;  der  Spanier  Murillo  [Nationalgalerie  zu  London] 
Martin  Sehongauer,  Pinakothek  zu  München,  Albrecht  Dürer:  „mit  den 
zwei  am  Boden  sitzenden  Kindchen",  „mit  der  Heuschrecke",  „mit  fünf 
Engeln",    „mit    den    drei    Hasen",    „an    der    Mauer"    [Holzschnitte    und 


*   184  * 

Kupferstiche],  Rubens  [s.  Abb.  139],   Rembrandt.     Neuerdings:  J.  Albrecht, 
Karl  Müller,  Ittenbach,  Feuerstein,  Fugel,  Wirsching  usw.) 

Weit  mehr  nebensächlich  als  in  den  Szenen  aus  der  Kindheit  Jesu 
erscheint  Maria  gelegentlich  auf  Darstellungen  aus  dem  weiteren  Leben 
des  Herrn,  auf  der  Hochzeit  zu  Cana,  bei  Erscheinungen  nach  seiner 
Auferstehung  usw.  In  Bildern  mit  dem  jüngsten  Gericht  nimmt  die 
Mutter  Gottes  durchgängig  den  Ehrenplatz  zunächst  ihrem  göttlichen 
Sohne  ein.     An  dieser  Stelle  muß  dieser  kurze  Hinweis  genügen. 

Die  Mater  dolorosa. 

Maria,  die  schm  erzenreiche  Mutter  des  Herrn,  steht  dem 
Herzen  der  Gläubigen  menschlich  so  nahe!  Und  wohl  selten  hatte  die 
Kunst  Ergreifenderes  zu  schildern  nach  dem  Leiden  des  Gottmenschen,  als 
die  bitteren  Schmerzen  der  Gottesmutter,  als  die  Erfüllung  der  Simeonschen 
Weissagung:  „Deine  eigene  Seele  aber  wird  ein  Schwert  durchdringen!" 
Maria,  die  dem  gemarterten,  dornengekrönten  göttlichen  Sohne,  der 
mühsam  das  Kreuz  schleppt,  auf  dem  Wege  nach  dem  Kalvarienberge 
begegnet,  die  unter  dem  Kreuze  steht  mit  zerrissenem  Herzen  oder  durch 
das  Uebermaß  seelischer  Qualen  gebrochen  zusammenstürzt,  die  bei  der 
Kreuzabnahme  dem  zerschundenen  Leichnam  des  Sohnes,  ihn  zu  um- 
fangen, entgegenstrebt,  die,  den  teuersten  Leichnam  auf  dem  Schöße, 
ihrem  sie  zermalmenden  Schmerze  lauten,  klagenden  Ausdruck  gibt, 
die  dem  unschuldig  gemordeten  Sohne  das  Grab  selbst  bereiten  hilft  - 
fand   in   der  bildenden  Kunst   durch   erste  Meister   packenden   Ausdruck. 

Für  das  treu  katholische  und  echt  deutsch  gefühlvolle  Herz  des 
Altmeisters  Albrecht  Dürer  ist  es  recht  charakteristisch,  daß  er  in  seine 
Folge  des  Marienlebens  wie  in  jener  der  kleinen  Passion  eine  Szene 
eingeflochten  hat,  die  den  Abschied  Christi  von  seiner  Mutter  vor  seinem 
Leidenswege  gibt  (s.  Abb.  140).  Maria,  nicht  mehr  Meister  ihrer  seelischen 
Erregungen,  ringt  die  Hände  und  muß  von  Frauen  gestützt  werden,  Christus 
steht  vor  ihr,  erhaben,  beruhigend,  völlig  ergeben  in  den  Willen  des  gött- 
lichen Vaters.  In  der  Bildhauerkunst  hat  Adam  Krafft  das  Thema  in 
einem  Relief  seines  Sakramentshäuschens  in  der  Lorenzkirche  zu  Nürn- 
berg geschildert.  Der  Italiener  Correggio  malte  die  gleiche  Episode 
(Sammlung  R.  Benson,  London)  und  erhöhte  dadurch,  daß  er  die  Nacht 
hereinbrechen  läßt,  die  tragische  Stimmung.  Der  Venezianer  Lorenzo 
Lotto  behandelte  denselben  Stoff  in  einem  Bilde  im  Kaiser  Friedrich- 
Museum  zu  Berlin. 

In  den  Darstellungen  der  Kreuztragung  wirken  oft  die  nach  Aus- 
druck ringenden  Qualen   der  Mater  dolorosa,   die   ihrem   Sohn   auf  dem 


*   185  * 


Abb.  140.     Albr.  Dürer,  Christus  nimmt  Abschied  von  seiner  Mutter. 
Holzschnitt  aus  dem  Marienleben. 


(Siehe  Seite  184.) 


*   186  * 

Leidenswege  nach  Golgatha  begegnet,  herzzerreißender  als  die  geduldige 
Ergebung  des  unschuldigen  Gotteslammes  selbst. 

Bei  den  deutschen  Künstlern,  in  Dürers  Passionen,  sucht  Maria  meist 
ihre  Schmerzen  zu  bemeistern  und  ist  noch  imstande,  dem  kreuztragenden 
Heiland  zu  folgen.  Weit  dramatischer  verwenden  die  Italiener  das  Motiv. 
Bei    Giotto  (Arenakapelle,    Padua)    und    Simone    Martini    (Louvre,    Paris) 


Abb.  141.     Gebh.  Fugel,  Die  Muttergottes  beim  Anblick  ihres  kreuztragenden  Sohnes. 

(Siehe  Seite  1S8.) 


drängen  rohe  Schergen  die  nach  ihrem  Sohne  hinstrebende  schmerzhafte 
Mutter  hart  zurück.  In  späteren  Darstellungen  sind  Schmerz  und  Sehnsucht 
der  Mutter,  Roheit  und  Grausamkeit  der  Kriegsknechte  noch  lebendiger 
geschildert.  (Lorenzetti  in  Assisi;  Niccolo  di  Pietro  Gerini,  Sakristei  von 
Santa  Croce,  Florenz;  Tiepolo,  Votivbild  in  San  Alvise,  Venedig.)  Den 
erschütterndsten  Ausdruck  verleiht  Raffael  Sanzio  in  seinem  sog.  Spasimo 
di  Sicilia  dieser  Szene.     Der  Heiland  bricht  unter  der  Last  des   Kreuzes 


*  187  * 


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*  188  * 

zusammen,  Maria,  die  ihn  auffangen  will,  ist  selbst  einer  Ohnmacht  nahe. 
In  neuester  Zeit  behandelte  Gebhart  Fugel  das  Thema  ergreifend  und 
voller  Lebendigkeit  ('s.  Abb.  141).    Joseph  Janssens  hält  in  einer  Dar- 


Abb.  143.     Grünewald,  Die  Schmerzensmutter. 
Teildarstellung  aus  dem  Isenheimer  Altargemälde,  Colmar. 

(Siehe  Seite  190.) 

Stellung  den  Augenblick  fest,  in  dem  Veronika  der  schmerzhaften  Mutter 
das  Schweißtuch  mit  dem  eingeprägten  Leidensantlitz  ihres  göttlichen 
Sohnes  überbringt  (s.  Abb.  142). 


*  189  * 

In  zahlreichen  Darstellungen  steht  Maria  unter  dem  Kreuzesholze, 
an  dem  ihr  göttlicher  Sohn  verblutet.  (Martin  Schongauer,  Kupferstich, 
Akademie  zu  Wien;  Holbein  d.  J.,  Tuschzeichnung,  Basel;  Mosaik  in  San 


Abb.  144.     B.  Plockhorst,  Die  schmerzhafte  Mutter  Gottes  am 
Fuße  des  Kreuzes  wird  von  einem  Engel  getröstet. 

(Siehe  Seite  190.) 

Marco  zu  Venedig,  XIII.  Jahrhundert;  Jacopo  Avanzi,  Galleria  Colonna  zu 
Rom;  Fra  Angelico,  San  Marco,  Florenz;  Marco  Palmezzano,  Uffizien, 
Florenz;  Perugino,  Santa  Maddalena  dei  Pazzi  zu  Florenz,  Akademie, 
daselbst  und  San  Agostino,  Siena.)    Weit  häufiger  jedoch  wird  die  heilige 


190 


Mutter  auf  Golgatha  vom  Schmerz  übermannt;   sie   ist   einer   Ohnmacht 
nahe,  sie  wird  gerade  ohnmächtig  oder  ist  bereits  in  Ohnmacht  gesunken. 

(Dürer,  Passions  - 
folgen ;  Nicola  Pisano, 
Kanzel  im  Dom  zu 
Siena;  Giotto,  Assisi 
und  Padua;  Giottino 
in  Santa  Maria  No- 
vella,Florenz;  Duccio, 
Domopera,  Siena; 
Tintoretto,  Akademie 
zu  Venedig;  Grüne- 
wald, Isenheimer  Altar, 
Colmar  [s.  Abb.  143].) 
Plockhorstgab  neuer- 
dings die  schmerz- 
hafte Mutter  am  Fuße 
des  Kreuzes  kniend, 
während  sie  ein  Engel 
zu  trösten  versucht 
(s.  Abb.  144). 

Die  Darstellungen 
der  Kreuzabnahme 
wirken  vielfach  gerade 
durch  die  Anwesen- 
heitderschmerzhaften 
Mutter  und  durch  die 
Rolle,  die  sie  hier 
spielt,  erst  recht  er- 
greifend. Während 
bei  Signorelli  in 
seinem  Bilde  in  der 
Kirche  Santa  Croce  in 
Umbertide  (La  Fratta) 
Maria  zur  Zeit,  als  der 
Heiland  vom  Kreuze 
gelöst  wird,  noch  in 
tiefer  Ohnmacht  liegt 
und  so  die  Veränderung  nicht  gewahr  wird,  während  bei  Perugino 
in   seinem  Gemälde   in  der  Akademie  zu  Florenz  Maria,   die  sich  bisher 


Abb.  145.     Duccio,  Kreuzabnahme.     Szene  aus  dem 
Dombild  in  d.  Domopera  zu  Siena. 

(Siehe  Seite  191.) 


*  191  * 

mit  Aufbietung  aller  ihrer  Kräfte  standhaft  bezwungen  hat,  jetzt,  ge- 
legentlich der  Abnahme  ihres  Sohnes  vom  Kreuze,  die  Besinnung  ver- 
liert und  den  klagenden  Frauen  in  die  Arme  fällt,  strebt  meistens  die 
schmerzgebeugte  Mutter  dem  vom  Kreuze  gelösten  Herrn  entgegen,  ihn 
zu  empfangen,  ihre  Lippen  auf  seine  Hand  oder  auf  sein  Gesicht  zu 
drücken.  Alte  Elfenbeinreliefs  im  Museo  nazionale  zu  Ravenna,  im  Museo 
art.  ind.  zu   Mailand  (XIII.  Jahrhundert),  von  Nicola  Pisano  im  Dome  zu 


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Abb.  146.     Fra  Bartolommeo,  Beweinung  Christi.     Florenz,  Pittipalast. 

(Siehe  Seite  193.) 

Lucca,  stellen  die  Szene  bereits  derartig  dar.  An  wahrem,  innigem 
Gefühlsausdruck,  auch  von  der  späteren  Kunst  unübertroffen,  gibt  sie 
Duccio  auf  dem  Dombild  zu  Siena  (s.  Abb.  145). 

Ein  überquellendes,  mannigfaltig  abgestuftes  Gefühlsleben  spricht 
dann  aus  den  zahlreichen  Darstellungen  der  Beweinung  Christi.  Der 
vom  Kreuze  herabgenommene  Leichnam  des  Heilandes  ruht  im  Schöße 
der  Mater  dolorosa,  die  den  unerträglichen  Qualgefühlen,  die  ihr  Inneres 
zerreißen,  durch  heiße  Klage  Ausdruck  verleiht.  Vielfach  beteiligen  sich  der 
Lieblingsjünger,  Maria  Magdalena  und  andere  Heilige  an  der  Beweinung. 


*  192  * 

Häufig  ist  mit  der  Beweinung  die  Grablegung  verbunden.  Die 
ganze  Gefühlsskala  von  sanft  elegischer,  stiller,  ergebener  Klage  bis  zum 
wildesten,    leidenschaftlichsten    Schmerzensansbruch    gelangt    gelegentlich 


Abb.  147.     Michelangelo  Buonarroti,  Pietä  in  der  Peterskirche  zu  Rom. 

(Siehe  Seite  193.) 

dieser  Szenen  zum  Ausdruck.  Das  tiefe  Leid  der  Gottesmutter  um  den 
unschuldsvoll  hingemordeten  göttlichen  Duldersohn  vibriert  in  allen 
denkbaren  Nuancen.  Zahlreiche  Arbeiten  behandeln  das  Thema  in  dieser 
oder  jener  Weise:  Giotto:  Assisi,  Padua;  Giottino:  Uffizien,  Florenz  und 


*  193     * 

Santa  Croce,  ebenda;  Fra  Angelico  da  Fiesole:  Akademie  und  Kloster 
San  Marco  zu  Florenz;  Perugino:  Pittipalast  zu  Florenz;  Marescalco, 
Museum  zu  Vicenza;  Francesco  Francia:  Nationalgalerie  zu  London; 
Donatello:  South  Kensington-Museum,  ebenda;  Begarelli:  San  Pietro  in 
Modena;  Tizian:  Akademie  zu  Venedig;  Sebastian  del  Piombo:  Museo 
communale  zu  Viterbo;  Fra  Bartolommeo:  Pittipalast,  Florenz  (s.  Abb.  146); 
Raffael  Sanzio:   Galerie  Borghese,    Rom;     Tintoretto:   Pittipalast,   Florenz. 


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Phot.  HanfstaeDgl. 

Abb.  148.    Jaspar  de  Crayer,  Pietä.    Wien,  Kgl.  Gemäldegalerie. 
(Siehe  Seite  195.) 

Nimmt  bereits  bei  Tintoretto  das  Schmerzgefühl  der  Madonna 
so  Oberhand,  daß  sie,  während  der  tote  Heiland  auf  ihrem  Schöße  liegt, 
plötzlich  in  eine  Ohnmacht  sinkt,  so  ist  bei  Botticelli  (Museo  Poldi 
Pezzoli  zu  Mailand,  Pinakothek  zu  München)  die  Schilderung  des  Affekts 
bis   zum   alleräußersten  gesteigert  und  überschreitet  alle  Grenzen. 

Michelangelo  Buonarroti  hat  die  Beweinung  des  toten  Christus 
durch  seine  Mutter  dreimal  in  Stein  gehauen:  Die  erste  Pietä,  das  be- 
kannte Jugendwerk,  das  im  Auftrage  des  Kardinals  de  Villiers  gearbeitet 
wurde,  befindet  sich  in  der  Peterskirche  zu  Rom  (s.  Abb.  147);  die  beiden 
anderen,   die   letzten  Bildhauerwerke  seines  Lebens,   stehen   im  Hofe   des 


Rothes,  Madonna. 


13 


194 


Palastes  Rondanini,  ebenda,  und  hinter  dem  Hochaltar  im  Dom  zu  Florenz. 
In  den  überschwenglichen  seelischen  Leidensausdruck,  den  der  hochbetagte 
Michelangelo  in  diesen  beiden  letzten  Pietäs  dem  Antlitz  der  Mater  dolo- 
rosa wie  auch  jenem  des  bereits  gestorbenen  Heilands  aufgeprägt  hat, 
wollte  er  alle  Kümmernisse  seines  eigenen  an  schmerzlichen  Erfahrungen 

undEnttäuschungen 
reichen  langen  Le- 
bens gleichsam  hin- 
einlegen, und  sind 
dieselben,  obwohl 
nicht  ganz  vollendet, 
schon  deswegen 
kunstgeschichtlich 
von  hervorragender 
Bedeutung. 

AlbrechtDürer, 
obgleich  sonst  in 
seinen  Passions- 
folgen von  drama- 
tischer Wucht,  war 
trotzdem  speziell  in 
seinen  Wiedergaben 
derBeweinung  einer 
sanfteren  Tonart  der 
Klage  nicht  abge- 
neigt. Von  Bewei- 
nungen deutscher 
Künstler  seien  noch 
genannt  die  Pietä 
eines  fränkischen 
Künstlers  in  der  Ja- 
kobskirche zu  Nürn- 
berg; die  ebenfalls 
plastische  Gruppe 
von  Adam  Kr  äfft  in  der  Sebalduskirche,  ebenda;  jene  im  Domschatz 
zu  Fulda;  die  in  der  Marienkirche  zu  Zwickau  aus  der  sächsischen  Schule; 
Martin  Schongauers  Bild  zu  Kolmar;  Schüchlins  Altarwerk  in  Tiefen- 
bronn; Tilman  Riemenschneiders  Beweinung  zu  Maidbrunn. 

Von  den  flämischen  Künstlern  gab  keiner  die  Pietä  so  häufig  und  so 
ergreifend  wie  der  empfindsame  Anton  van  Dyck:  Museum  zu  Antwerpen, 


Abb.  149.     Hendrik  Goltzius,  Pietä.     Kupferstich  von  1596. 
I  Siehe  Seite  195.) 


195 


Kaiser  Friedrich -Museum  zu  Berlin,  zweimal  in  der  Pinakothek  zu 
München.  Ebendaselbst  befindet  sich  eine  mit  warmer,  mitfühlender 
Gesinnung  großzügig  gemalte  Behandlung  des  Themas  von  Quentin 
Matsys  (s.  Abb.  104).  Von  einem  anderen  Vlamen,  einem  Nachahmer 
des  Rubens,  Jaspar  deCrayer,  zeigt  eine  tiefempfundene  Pietä  ein  Bild 
im  Kgl.  kunsthistorischen  Museum  zu  Wien  (s.  Abb.  148).  Vom  Holländer 
Hendrik  Goltzius  gibt  dieselbe  ein  Kupferstich  von  1596  (s.  Abb.  149). 


Abb.  150.     G.  Busch,  Pietä  in  der  St.  Antoniuskirche  zu  Frankfurt  a.  M. 

(Siehe  Seite  195.1 

Bedeutendere  spanische  Beweinungen  sind  z.  B.  die  des  Murillo  im  Museum 
zu  Sevilla  und  die  des  Juan  Nunez  (XV.  Jahrhundert)  mit  den  Heiligen 
Michael,  Vinzenz  und  dem  Stifter  in  der  Sacristia  de  los  Calices  der 
Kathedrale  zu  Sevilla.  Von  den  zahlreichen  Behandlungen  des  Stoffes  aus 
neuerer  Zeit  seien  ein  Gemälde  von  Max  Klinger  und  zwei  hervorragende 
plastische  Arbeiten  genannt:  von  Georg  Busch  in  der  Sankt  Antonius- 
kirche zu  Frankfurt  am  Main  (s.  Abb.  150)  und  von  Giovanni  Dupre 
auf  dem  Campo  Santo  zu  Siena  (s.  Abb.  151). 


*  196  * 

Die  schmerzhafte  Mutter  nur  durch  einen  weiblichen  Kopf  voll 
klagenden,  leidenden  Ausdrucks  zu  geben,  liebten  in  mannigfaltigen  Dar- 
stellungen Sassoferrato,  Carlo  Dolci  (s.  Abb.  152)  und  Guido  Reni 
(s.  Abb.  153),  auch  die  von  diesen  Meistern  künstlerisch  abhängigen  Franzosen, 
wie  z.B.  Pierre  Mignard,  und  Spanier,  wie  Juseppe  Ribera  z.  B.  auf 
einem  Bilde  in  der  Gemäldegalerie  zu  Kassel.  Aehnlich  befinden  sich  von 
Tizian  zwei  ausdrucksvolle  Bilder  der  Mater  dolorosa  in  halber  Gestalt  im 
Prado-Museum  zu  Madrid.  Die  deutschen  Künstler  zogen  Einzeldarstellungen 
der  Schmerzensmutter  in  ganzer  Gestalt  vor.  Eine  solche  plastische  klagende 
Mutter  Gottes   aus   der  Frühzeit   des  XVI.  Jahrhunderts  im  Germanischen 


Abb.  151.     G.  Dupre,  Pietä.     Siena,  Capeila  Bicchi-Ruspoli  auf  dem  Canipo  Santo. 

(Siehe  Seite  195.) 


Museum  zu  Nürnberg  verbindet  hohen  Adel  im  Ausdruck  der  Empfindung 
mit  feinfühliger  Modellierung.  Hans  Holbeins  des  Jüngeren  Oel- 
gemälde  bräunlichen  Tons  mit  der  niedergeknieten  Schmerzensmutter  in 
klassisch-phantastischer  Architektur  gehört  zu  den  interessantesten  Arbeiten 
des  hervorragenden  deutschen  Malers.  Von  spanischen  Einzeldarstellungen 
der  Mater  dolorosa  seien  erwähnt:  die  des  Morales  im  Prado-Museum  zu 
Madrid;  die  des  Murillo  in  der  Sakristei  der  Capella  Real  der  Kathedrale 
zu  Sevilla;  die  Virgen  de  la  Soledad  von  AI.  Cano  in  der  Capella  de  San 
Miguel  der  Kathedrale  von  Granada,  nach  einem  Bildwerk  des  Gaspar 
Becerra  gearbeitet. 

Zyklische  Darstellungen  der  sieben  Schmerzen  Maria  sind  zweifellos 
im  Anschluß  an  Jacopones  ergreifend  schöner  Sequenz  „de  Septem  doloribus 


*   197  * 

Mariae  virginis"  entstanden;  sie  sind  auf  Altarwerken  des  XV.  Jahrhunderts 
erhalten,    z.  B.  in    Reliefs   auf   dem   Schmerzensaltar  der   Pfarrkirche  zu 


Abb.  152.     Carlo  Dolci,  Mater  dolorosa. 
(Siehe  Seite  196.) 

Schwerte,  waren  aber  weniger  beliebt  als  die  der  sieben  Freuden  Maria. 
(Memling,  Pinakothek  zu  München;  Meister  des  Münchener  Marienlebens, 


*  198  * 

ebenda;  Veit  Stoß,   Englischer  Gruß,   Lorenzkirche  zu  Nürnberg.)     Das 
symbolistische  Motiv,  das  Marias  Herz,  gemäß  der  Prophezeiung  Simeons 


Abb.  153.     Guido  Reni,  Mater  dolorosa. 

(Siehe  Seite  ]Q6.) 


„Deine    eigene  Seele  aber  wird  ein  Schwert  durchdringen"  (Lukas,  2,  35) 


*  199  * 

von  einem  Schwerte,  später  in  Anlehnung  an  die  „sieben  Schmerzen"  gar 
von  sieben  Schwertern  durchstochen  zeigt,  wirkt  in  seiner  grobsinn- 
lichen Verdeutlichung  mehr  drastisch  als  künstlerisch;  solche  Darstellungen 
kommen  nicht  vor  1450  vor,  sind  aber  namentlich  in  neuester  Zeit  wieder 
recht  verbreitet. 

Der  Tod  Maria. 

Der  Tod  Maria  ist  wohl  mit  der  größten  Ausführlichkeit  von  dem 
Sienesen  Duccio  in  den  Predellen  zu  des  Meisters  berühmtem  Sieneser 
Dombild  geschildert.  Sechs  Szenen  befassen  sich  hier  mit  dem  Ableben 
der  heiligen  Jungfrau.  Ein  Engel  verkündet  Maria  ihren  nahen  Tod  — 
Krankenbesuch  der  Apostel  —  Eigentlicher  Tod  —  Trauerfeier  am  Toten- 
bette —  Leichenbegängnis  —  Grablegung.  —  Vier  Episoden  (Krankenbesuch 
der  Apostel,  Tod,  Leichenfeier,  Begräbnis)  gibtTaddeo  di  Bartolo  in  Fresko- 
darstellungen in  San  Francesco  zu  Pisa  und  in  der  Rathauskapelle  zu  Siena. 

In  bezug  auf  die  übrigen  Einzeldarstellungen  des  Todes  Maria  ist  zu 
bemerken,  daß  in  der  nordischen  Kunst  meistens  der  Augenblick  fest- 
gehalten wird,  in  dem  die  seligste  Jungfrau,  umgeben  von  den  Aposteln, 
die  ihre  Erschütterung  kaum  verbergen  können  und  Sterbegebete  ver- 
richten, gerade  den  Geist  aufgibt,  während  von  den  südlichen  Meistern 
die  Leichenfeier  vorgezogen  wird,  welche  die  Apostel,  um  das  Totenlager 
der  bereits  heimgegangenen  Madonna  gruppiert,  veranstalten.  In  ihrer 
Mitte  steht  der  göttliche  Heiland  und  hat  die  Seele  seiner  Mutter  in 
Gestalt  eines  Kindes  in  den  Armen.  Aelteste  derartige  Darstellungen  sind 
ein  byzantinisches  Gemälde  im  South  Kensington  -  Museum  zu  London, 
das  Elfenbeintriptychon  der  ehemaligen  Kollektion  Spitzer;  ein  Mosaik 
der  Kirche  della  Martorana  in  Palermo  aus  dem  XII.Jahrhundert(s.Abb.  154); 
aus  gleicher  Zeit,  aus  der  Salzburger  Schule:  ein  Miniaturbild  des  Cod. 
Latin.  15  903  in  der  Staatsbibliothek  zu  München;  ein  Elfenbeindeckel  im 
Museo  di  Classe  zu  Ravenna;  ein  Mosaik  des  XIII. Jahrhunderts  in  Santa 
Maria  in  Trastevere  zu  Rom;  ein  Relief  an  der  Kanzel  der  Kirche  San 
Giovanni  fuori  civitas  in  Pistoja  von  Fra  Guglielmo  da  Pisa;  ein  solches 
am  Tabernakel  des  Orcagna  in  Or  San  Michele  zu  Florenz.  Masaccio 
gibt  die  Bestattung  Maria  in  der  Bibliotheca  Vaticana;  Jacopo  Avanzi  den 
Tod  in  San  Michele  zu  Padua;  Ottaviano  Nelli:  Ankündigung  des  Todes 
durch  den  Engel,  Krankenbesuch  der  Apostel,  Heimgang,  Leichenfeier  und 
Begräbnis  im  Palazzo  dei  Trinci  zu  Foligno;  Fra  Angelico  da  Fiesole t 
Tod,  Leichenfeier,  Grablegung,  Aufnahme  in  den  Himmel,  in  der  Jesus- 
kirche zu  Cortona,  den  Uffizien  zu  Florenz,  dem  Museum  zu  Madrid,  bei 
Mr.  Fuller-Maitland  und  Lord  Methuen  in  London;  Luca  Giordano:  Tod, 


*  200  * 


Abb.  154.     „Der  Tod  Maria".     Mosaik  des  XII.  Jahrhunderts. 
Kirche  della  Martorana  in  Palermo. 


(Siehe  Seite  199.) 


*  201  * 

Begräbnis  und  Aufnahme  in  den  Himmel  al  fresco  am  Deckengewölbe 
vor  der  Capilla  Mayör  der  Kirche  des  Escorial.  Ein  Bild  des  Todes 
Maria  aus  altdeutscher  Schule  besitzt  die  Sacristia  de  los  Calices  der 
Kathedrale  zu  Sevilla.  Eine  bereits  aus  dem  XIII.  Jahrhundert  stammende 
treffliche  plastische  deutsche  Behandlung  des  Themas  zeigt  das  Südportal 
des  Münsters  zu  Straßburg.  Eine  schwäbische  Darstellung  von  Maria 
Heimgang  (ca.  1510)  besitzt  das  Kaiser  Friedrich -Museum  zu  Berlin; 
ebendaselbst  ist  ein  interessantes  Gemälde  dieses  Inhalts  von  dem  Württen- 
berger   Hans   Multscher  (1400—1467).     Wahrhaft  ergreifend  durch  die 


Abb.  155.     Meister  des  Todes  Maria,  Tod  Maria.     Köln,  Stadt.  Wallr.-Rich. -Museum.    (Mittelstück.) 

(Siehe  Seite  201.) 


Innigkeit  des  Gefühls  und  die  Schlichtheit  der  Auffassung  wirken  die 
zwei  Gemälde  mit  dem  Ableben  der  heiligen  Jungfrau  des  hiernach  be- 
nannten „Meisters  des  Todes  Maria"  mit  knienden  Stiftern  und  deren 
Schutzheiligen  im  Museum  zu  Köln  (s.  Abb.  155)  und  in  der  Pinakothek 
zu  München.  Verwandt  hiermit  erscheint  eine  den  gleichen  Stoff  gebende 
Darstellung  am  Hochaltar  der  Kirche  von  Calcar,  ein  Werk  des  Jan  Joest 
von  Calcar,  der,  wie  auch  der  „Meister  des  Todes  Maria",  aus  den  Nieder- 
landen stammen  mag,  aber  den  Hauptwirkungskreis  für  sein  Schaffen  an  den 
Ufern  des  deutschen  Rheines  fand. —  Hugo  van  der  Goes  komponierte 
die  Szene  gleichartig  in  seinem  Bilde  in  der  Akademie  zu  Brügge. 


*  202  * 

Anders  wieder  gibt  die  Darstellung  der  Bildhauer  Veit  Stoß,  der 
Maria,  in  voller  Gewandung  kniend,  betend,  in  die  Arme  der  Apostel  zum 
plötzlichen  Todesschlaf  fallen  läßt,  so  auf  dem  Marienaltar  der  Marienkirche 
zu  Krakau,  dem  Altar  in  Kirchdrauf  und  dem  Hochaltar  in  Schwabach. 
Aehnlich  verbildlicht  Maria  Tod  Martin  Schaffner  auf  dem  Gemälde 
von    1524    aus   Wettenhausen,    jetzt   in    der    Münchener   Pinakothek  und 


Abb.  156.    Jan  Macip,  Tod  Maria.     Dresden,  Gemälde-Galerie. 
(Siehe  Seite  203.) 

H.  Holbein  der  Aeltere  —  hier  stirbt  die  Gottesmutter  zwischen  Petrus 
und  Paulus  —  in  Basel.  Auf  einem  altdeutschen  Hausaltärchen  in  Maria 
Pfarr  von  1443  kniet  Maria  vor  ihrem  Bette  und  wird  von  Johannes  auf- 
gefangen. —  Von  spanischen  Arbeiten  seien  die  plastischen  Reliefdar- 
stellungen des  Todes  und  der  Erhebung  Maria  am  Südportale  der  Kathedrale 
von  Leon  genannt  und  das  vortreffliche,  lionardesk  empfundene  Gemälde 
des  Heimgangs  der  heiligen  Jungfrau  unter  den  von  Llanos  und  Almedina 


*   203  * 

1506  gemalten  Flügelbildern  des  Hochaltars  der  Kathedrale  von  Valencia, 
ferner  ein  Bild  von  Jan  Macip  in  der  Dresdner  Galerie  (s.  Abb.  156).  Arbeit 
neueren  Datums  ist  Franz  Ittenbachs  Fresko  Tod  und  Begräbnis  Maria 
in  der  Apollinariskirche  bei  Remagen. 

Himmelfahrt. 

Die  Darstellungen  der  Himmelfahrt  Maria  haben  allmählich  in  der 
bildenden  Kunst  die  ihres  Ablebens  auf  dem  Sterbebette  verdrängt.  Be- 
reits Cimabue  gab  vor  1300,  laut  Vasari,  vite,  I.  p.  374,  in  Gemälden  der 
„Aufnahme  Mariens  in  den  Himmel"  vor  der  Schilderung  ihres  Todes 
den  Vorzug.  Oben  gab  er  die  gen  Himmel  fliegende  Madonna,  von 
Engeln  geleitet,  von  ihrem  göttlichen  Sohne  empfangen,  unten  das  leere 
Grab  mit  den  Aposteln,  dahinter  drei  Reihen  Heilige.  Ganz  ähnlich  ge- 
halten ist  das  in  den  Beginn  des  Quattrocento  fallende  Fresko  in  der 
Unterkirche  von  Subiaco.  Aber  erst  die  sienesische  Malerschule  mit  ihrem 
ausgebildeten  Sinn  für  Glanz  und  festliche  Stimmung  verhalf  der  Komposition 
zu  künstlerischer  Bedeutung.  Von  einem  Kranz  entzückender  Engel  um- 
schwärmt, schwebt  die  zu  höchster  Herrlichkeit  Erhobene  verklärt  in 
himmlische  Sphären  empor.  Das  Staunen  der  Apostel  unten  am  leeren 
Grabe  wird  gegenstandslos  gegenüber  dem  Freudenrausch  der  Himmels- 
bewohner über  die  Ankunft  ihrer  Königin.  Engelsmusik  tönt  ihr  entgegen. 
Die  Gottheit  selber  bereitet  den  Empfang.  So  gaben  die  Himmelfahrt 
Mariens  Pietro  Lorenzetti  und  Lippo  Memmi  in  Bildern  zu  Siena  und 
München,  abhängig  von  diesen  der  sienesische  Quattrocentist  Giovanni 
di  Paolo  in  der  Kollegiatkirche  zu  Asciano  bei  Siena,  der  Pisaner 
Francesco  Train i  im  Campo  Santo  zu  Pisa.  An  die  gleichen  Motive 
anknüpfend  gedieh  die  Komposition  dann  weiter  in  Florenz.  Ghirlandajo 
brachte  sie  dort  in  der  Chorkapelle  von  Santa  Maria  Novella  in  Verbindung 
mit  ihrem  Hinscheiden;  plastisch:  Nanno  di  Banco  im  Dom  daselbst  und 
Donatello  in  Sant' Angelo  a  Nilo  zu  Neapel,  Masolino  in  einem  Bilde  in 
gleicher  Stadt  im  Museo  Nazionale.  Von  Maria  Himmelfahrtsdarstellungen 
der  Spätzeit  in  Siena  wären  noch  eine  des  Matteo  Balducci  in  San  Spirito 
und  die  des  Sodoma  im  Oratorio  di  San  Bernardino  zu  erwähnen. 
Botticelli  behandelte  das  Thema  mit  Reminiszenzen  an  Dantes  Schilderung 
des  Paradieses  in  einem  großen  Gemälde  der  Nationalgalerie  zu  London, 
Correggio   monumental   al   fresco  in  der  Kuppel  des  Domes  zu  Parma. 

Fuhr  Maria  in  den  frühen  Bildern  demütig  betend,  mit  gefaltenen 
Händen  und  niedergeschlagenen  Augen,  zum  Himmel  auf,  so  richtet  sich  nun 
mit  verzehrendem  Sehnsuchtsblick  ihr  Auge  schwärmerisch  nach  oben,  mit 


*  204  * 


Abb.  157.    Tiziano  Vecellio,  Maria  Himmelfahrt.    Venedig,  Akademie. 

(Siehe  Seite  206.) 


205 


Abb.  158.     Bart.  Esteb.  Murillo,  Maria  Himmelfahrt.     Petersburg,  Eremitage. 

(Siehe  Seite  206.) 


*  206  * 

über  der  Brust  gekreuzten  Armen  strebt  die  Verzückte  der  ewigen 
Heimat  entgegen.  So  entschwebt  Maria  gen  Himmel  auf  dem  Altarbild 
des  Tiepolo  in  der  Würzburger  Schloßkapelle,  so  von  den  entzückten 
Blicken  der  Apostel  verfolgt,  auf  jenem  des  Tintoretto  in  der  Akademie 
zu  Venedig.  Den  nicht  mehr  wieder  erreichten  Höhepunkt  dieser  Auffassung 
aber  bildet  doch  Tizians  unvergleichliche,  weltberühmte  Assunta,  ebenda 
(s.Abb.  157). 

Im  Anschluß  an  italienische  Muster  wurde  die  Szene  auswärts  gegeben: 
in  Spanien  von  Murillo  (Eremitage,  Petersburg)  (s.  Abb.  158);  von  dem  her- 
vorragenden aragonischen  Bildhauer  Damian  Forment  (f  1533)  in  einem 
Relief  des  Retablo  der  Kathedrale  von  Zaragoza;  von  den  aus  Frankreich 
stammenden  Brüdern  Verdiguier  (1782)  als  Portalrelief  der  Kathedrale 
von  Granada,  von  Vicente  Juanes  Macip  (1523 — 79)  in  einem  mit  sehr 
warmen,  saftigen  Farben  gegebenen  Bilde  des  Museums  zu  Valenzia;  in 
Bildern  von  Valdes  Leal  und  Juan  del  Castillo  im  Museum  zu  Sevilla, 
die  vielleicht  von  des  Italieners  Carlo  Maratta  Assunta  in  der  Kathedrale 
daselbst  manches  abgesehen  haben.  Auch  des  großen  Vlamen  Peter 
Paul  Rubens'  Maria  Himmelfahrtdarstellungen  im  Brüsseler  Museum,  im 
Hofmuseum  zu  Wien,  in  der  Sammlung  der  Kunstakademie  zu  Düsseldorf, 
in  der  fürstlich  Liechtensteinschen  Galerie  zu  Wien,  in  der  Heilig-Kreuzkirche 
zu  Augsburg  und  vor  allem  auf  dem  Hochaltar  der  Kathedrale  zu  Antwerpen 
stehen  völlig  unter  dem  Banne  italienischer  Kompositionen,  selbst  Albrecht 
Dürers  Darstellungen:  —  Hellersches  Altarbild,  nur  in  einer  Kopie  im 
städtischen  Museum  zu  Frankfurt  am  Main  erhalten  (s.Abb.  159),  und  das 
der  Schilderung  des  Todes  Maria  nachfolgende  Blatt  in  der  Holzschnitt- 
folge des  Marienlebens  -  -  sind  von  südlichen  Anklängen  nicht  frei. 

Doch  kamen  auch  von  dem  italienischen  Schema  unabhängige  Dar- 
stellungen vor.  Auf  der  bekannten  Tutilo-Tafel  steht  Maria  als  Matrone 
mit  erhobenen  Händen  zwischen  je  zwei  bewegten  Engeln.  Die  einfache 
Szene  ist  ausdrücklich  durch  Inschrift  als  „Himmelfahrt  Mariens"  bezeichnet. 
Später  tragen  die  Engel  die  Mandorla  empor,  in  der  Maria  steht.  Hier 
knüpft  das  Motiv  also  schon  wieder  an  die  ältere  italienische,  sienesische 
Auffassung  an.  Originell  ist  das  Tympanon  der  goldenen  Pforte  in 
Magdeburg,  aus  dem  beginnenden  XIV.  Jahrhundert.  Christus  trägt  in  der 
strahlengefüllten  Mandorla  die  Seele  Mariens  in  Kindesgestalt  gerade  vor 
sich;  zu  seinen  Füßen  schweben  zwei  Engel  mit  der  Bahre,  worauf  der 
Leib,  mit  dem  Bahrtuche  bedeckt,  ruht.  Unten  steht  Thomas  mit  dem 
Gürtel,  den  er  verwundert  in  Händen  hält,  vor  einem  Kessel  und  Salb- 
gefäß, hinter  ihm  und  gegenüber  stehen  die  anderen  Apostel  mit  ihren 
Abzeichen   in   bewegten  Gruppen.     In    einer  anderen    plastischen  Arbeit, 


*  207  * 


Abb.  159.     Albrecht  Dürer,  Maria  Himmelfahrt.     Frankfurt  a.  M.,  Knnsthistor.  Museum. 

(Siehe  Seite  206.) 


208 


von  einem  Meister  V.  S.  am  Marienaltar  der  Herrgottskirche  zu  Creglingen 
an  der  Tauber,  aus  dem  Jahre  1487,  schwebt  die  heilige  Jungfrau,  von 
Engeln  leicht  getragen,  aus  der  Mitte  der  Apostel  empor,  die  kniend,  lesend, 


Abb   160.    N.  Poussin,  L'Assomption  de  la  Vierge,  Paris,  Louvre. 
i  Siehe  Seite  209.) 

nachschauend,  in  malerischer  Weise  gruppiert  sind.  Auf  einem  Gemälde 
in  Breslau  fallen  aus  der  Gewandung  der  Madonna  Hostien  in  das  offene 
Grab.  Ueber  dem  Nordportal  von  Sankt  Moritz  in  Halle  ist  die  Himmel- 
fahrt mit  der  Begräbnisdarstellung  verbunden.     Endlich  sei  noch  das  die 


Abb.  161. 


Georg  Kau,  Madonna  mit  dem  hl.  Dominikus  und  der  hl.  Katharina  von  Siena     In  der  Kirche  zu  Rixheim. 

i  Siehe  Seite  216.  i 


*  209  * 

ganze  Decke  einnehmende  riesige  Monumentalfresko  von  Knoller  aus 
dem  XVIII.  Jahrhundert  in  der  sog.  Bürgersaalkirche  zu  München  erwähnt. 
Für  die  ekstatisch-schwärmerische  Auffassung  des  Themas  von  Seiten  der 
Franzosen  sind  die  Arbeiten  von  Nicolas  Poussin  und  Pierre  Prud'hon 
im  Louvre  zu  Paris  charakteristisch  (s.  Abb.  160). 

Krönung. 

Die  Krönung  Maria  hat  Dürer  in  seinen  beiden  zuletzt  erwähnten 
Darstellungen  der  Himmelfahrt  Maria  zugleich  mit  dieser  Darstellung 
verbunden.  Im  unteren  Teil  des  Bildes  sehen  wir  das  leere  Grab,  um- 
ringt von  den  Aposteln.  Oben  hält  die  hl.  Dreieinigkeit  die  Krone  über 
die  schwebende  Madonna.  Aehnlich  gibt  Raffael  Sanzio  die  Doppelszene 
in  dem  Oelgemälde  der  Vatikanischen  Sammlung.  Blumen  sprießen  aus 
dem  Sarkophag,  den  die  verwunderten  Apostel  umstehen.  Oben,  von 
musizierenden  jubelnden  Engeln  umflattert,  krönt  Christus  seine  Mutter, 
die  auf  einer  Wolke  neben  ihm  thront.  Hiervon  beeinflußt,  schufen  Giulio 
Romano  und  Francesco  Penni  die  Darstellung  in  ihrem  Bilde  am 
gleichen  Platz.  Der  Heilige  Geist  ist  diesmal  Zeuge  der  „Krönung"  durch 
Christus. 

Aus  diesen  von  ersten  Meistern  der  höchsten  Blütezeit  der  Kunst 
herrührenden,  Himmelfahrt  und  Krönung  der  heiligen  Jungfrau  in  einem 
Bilde  zusammenfassenden  Darstellungen  könnte  man  nun  schließen,  daß 
etwa  die  Wiedergabe  der  Krönung  aus  jener  der  Himmelfahrt  allmählich 
entstanden  sei.  Weit  gefehlt!  Die  beiden  Themen  bestanden  in  der  Kunst 
völlig  unabhängig  voneinander;  ja,  Krönungsbilder  sind  selbst  älter  als 
die  der  Himmelfahrt  Maria.  Schon  in  alten  byzantinischen  Arbeiten  wurde 
Maria,  die  Himmelskönigin,  vielfach  gekrönt  gegeben.  Entweder  saß  die 
Krone  fest  auf  ihrem  Haupte  oder  Engel  hielten  sie  schwebend  darüber. 
Zu  den  ältesten  Darstellungen,  die  auf  den  eigentlichen  Krönungsakt,  die 
feierliche  Handlung  hinweisen,  gehören  eine  auf  einem  romanischen 
Bronzegefäß  aus  dem  XI.,  spätestens  XII. Jahrhundert  im  Provinzialmuseum 
zu  Hannover;  ein  Mosaik  in  Santa  Maria  in  Trastevere  zu  Rom,  eines  in 
Santa  Maria  Maggiore  ebenda.  In  der  Regel  nimmt  Christus  die  Krönung 
vor,  seltener  die  hl.  Dreifaltigkeit,  ganz  vereinzelt  Gott  Vater  allein 
oder  gar  —  in  Gestalt  einer  Taube  mit  dem  Diadem  im  Munde  —  der 
Hl.  Geist.  Nicht  so  oft  spielt  der  Vorgang  auf  festem  Boden,  auf  erhöhtem 
Podium  bezw.  Thron,  viel  häufiger  hoch  auf  schwebenden  Wolken,  die 
manchmal  von  Engeln  gleichsam  getragen  und  gestützt  sind.  Zuweilen 
kniet  Maria   vor   Christus,    häufiger   sitzt   sie   neben   ihm.     Scharen   von 

Rothes,  Madonna.  14 


*  210  * 

jubelnden    und    musizierenden   Engeln,    zahlreiche   Heilige   sind  vielfach, 
ferner  oder  näher,  Zeugen  des  erhabenen  Vorgangs. 

Hauptsächlichste  Darstellungen  sind:  Oiotto,  Altarwerk  der  Baroncelli- 
Kapelle  in  Santa  Croce  zu  Florenz;  Spinello  Aretino,  Akademie  zu  Siena; 


Phot.  Hanfstaengl. 

Abb.  162.     Diego  Velasquez,  Krönung  Madonnas.     Madrid,  Prado. 

(Siehe  Seite  212.1 


Barna,  Tabernakel  von  San  Giovanni  im  Lateran;  Francesco  di  Giorgio 
Martini,  Akademie  zu  Siena;  Bernardino  Fungai,  Santa  Maria  della  Concezione, 
daselbst;  Pietro  Pollaiuolo,  Akademie,  ebenda;  Lorenzo  Monaco,  Uffizien, 
Florenz;    Niccolo  Gerini,  an  gleicher  Stelle;   Gentile  da  Fabriano,  Brera, 


*  211   * 


*  212  * 

Mailand;  Giacomo  und  Pier  Paolo  di  Venezia,  San  Francesco  in  Bologna; 
Fra  Angelico  da  Fiesole  in  mindestens  sechs  Wiedergaben:  San  Marco, 
Fresko  und  auf  dem  Reliquiar  des  Maso,  Silberschrank  der  Annunziata, 
Uffizien,  Akademie,  alle  zu  Florenz  und  Louvre,  Paris;  Filippo  Lippi,  Dom 
zu  Spoleto;  Borgognone,  San  Simpliciano  zu  Mailand;  Ghirlandajo,  Palazzo 
Communale  in  Narni;  Pinturricchio,  Pinakothek  des  Vatikans  und  Santa 
Maria  del  popolo  zu  Rom;  Luca  della  Robbia,  Ognisanti  in  Florenz.  — 
Tympanonrelief  der  Liebfrauenkirche  zu  Trier;  Flügelaltar  der  Zisterzienser 
in  Wiener  Neustadt  aus  dem  XV.  Jahrhundert;  Veit  Stoß,  Altarskulpturen 
im  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg  und  in  Kirchdrauf;  Peter  Vischer 
auf  der  Gedächtnistafel  Henning  Godens  in  der  Schloßkirche  zu  Wittenberg; 
Adam  Krafft  auf  der  Rebeckschen  Gedächtnistafel  in  der  Frauenkirche  zu 
Nürnberg;  Michael  Pacher,  Hochaltar  der  Kirche  zu  Sankt  Wolfgang; 
Email  zu  Kloster  Neuburg;  Passionale  der  Prinzessin  Kunigunde,  Aebtissin 
des  Klosters  St.  Georg  auf  dem  Hradschin  in  der  Universitätsbibliothek 
zu  Prag;  Imhofscher  Altar  in  der  Sankt  Lorenzkirche  zu  Nürnberg; 
Westfälische  Schule  des  XV.  Jahrhunderts,  Kunstvereinsmuseum  zu  Münster; 
H.  Burgkmair,  Gemäldegalerie  Augsburg.  —  Peter  Paul  Rubens,  im  Louvre 
zu  Paris,  im  Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin,  im  Museum  zu  Brüssel. 
Francesco  Ribalta,  Museum  zu  Valencia;  Diego  Velasquez,  Pradomuseum, 
Madrid  (s.  Abb.  162);  Domenico  Theotocopuli,  genannt  Greco,  in  der 
Sammlung  Bosch  zu  Madrid.  Bekannt  unter  den  zahlreichen  neuen  Be- 
handlungen des  Stoffes  sind  das  Fresko  Johann  Schraudolfs  im  Dome  zu 
Speyer  (s.  Abb.  163)  sowie  ganz  neuerdings  jenes  der  Beuroner  Schule  im 
Emmaus-Kloster  zu  Prag. 

Die  Rosenkranzkönigin. 

Als  Königin  des  hochheiligen  Rosenkranzes  fand  Maria  auch  in  der 
Kunst  gebührende  Verherrlichung.  Wie  oft  wurden  doch  Blumen  und 
Blüten,  besonders  aber  Rosen  auf  Marienbildern  mit  ihr,  die  als  rosa 
mystica  in  der  lauretanischen  Litanei  angerufen  wird,  in  mystische  Be- 
ziehung gebracht!  Wie  wurde  ferner  häufig,  sei  es  dadurch,  daß  ein 
Kranz  echter  Rosen  der  heiligen  Jungfrau  in  das  Haar  geflochten  war, 
sei  es,  daß  die  Gebetsperlenschnur  des  Rosenkranzes  in  irgend  einer 
Weise  auf  dem  Bilde  angebracht  war,  auf  Maria  als  zu  verehrende  Rosen- 
kranzkönigin hingewiesen. 

Man  kann  dann  drei  Klassen  der  Rosenkranzbilder  unterscheiden. 
Die  älteren  Darstellungen  zeigen  Maria  mit  Kind,  umgeben  von  einem 
Rosenkranz,    so   der  anmutige   niederrheinische  Kupferstich    von   ca.  1460 


*  213  * 

(Koll.  Weig  II,  424)  und  Altarschreine  zu  Frauenmark  in  Mecklenburg,  zu 
Ketting  und  im  Heil.  Geist-Hospital  zu  Lübeck,  mit  dem  hl.  Dominikus 
und  Vertretern  der  Christenheit  in  Sankt  Andreas  zu  Köln,  der  Altar  aus 
dem  Katharinenkloster  zu  Lübeck,  wo  drei  Kränze  aus  Kornblumen,  Rosen 
und  Sternen   die   mater   piissima  umgeben.     Die  zweite  Klasse  knüpft  an 


Phot.  Löwy. 

Abb.  164.     Albrecht  Dürer,  Rosenkranzfest.   Wien,  Museum  und  Prämonstratenserstift  Strahow  bei  Prag. 

(Siehe  Seite  215.) 

die  fünfzehn  freudenreichen,  schmerzenreichen  und  glorreichen  Geheimnisse 
des  Rosenkranzgebetes  an  und  bringt  die  Schilderung  der  betreffenden 
Geheimnisse  in  je  fünf  Rosetten,  bei  dem  schmerzenreichen  Rosenkranz 
auch  wohl  in  fünf  Kreuzen,  so  auf  Tafeln  in  Witting  und  Schwabach. 
Derartige  Darstellungen  bringen  Tafeln  aus  dem  Heidelberger  Schloß- 
museum   von     1418,     in    Sankt   Johann    in    Schleswig,     in    Neukloster- 


214 


Mecklenburg,  in  Lutteran,  auf  fünf  von  Engeln  gehaltenen  Schilden  in  Getiorf, 
ferner  eine  Anzahl  Holzschnitte:  Schreiber,  manuel:  1012,  1131,  1132,  1136 
und  in  der  Koll.  Weig  I,  62  aus  dem  Jahre  1485.  Vielfach  verfuhren  dann 
später  die  Künstler  ganz  frei  und  fügten,  nicht  mehr  genau  sich  an  die 
Geheimnisse  des  Gebetes  haltend,  in  beliebiger  Anzahl  Rosetten  will- 
kürliche Szenen  dem  Rosen- 
kranze ein.  Charakteristisch 
hierfür  sind  die  Arbeiten  von 
Veit  Stofs,  der  im  Rosen- 
kranz zu  Sankt  Lorenz  in 
Nürnberg  in  der  Mitte  die 
Verkündigung  gibt  und  in 
fünf  Medaillons  Geburt,  An- 
betung der  drei  Weisen, 
Auferstehung,  Himmelfahrt, 
Sendung  des  Hl. Geistes  dar- 
stellt, auf  seiner  prächtigen 
Rosenkranztafel  im  Germa- 
nischen Museum  unten  das 
Weltgericht  und  ringsum 
24  biblische  Szenen  frei  zu- 
sammenkomponiert hat. 

Die  dritte  Klasse  der 
Rosenkranzbilder,  deren  Art 
heute  am  populärsten  ist, 
bilden  dann  jene  anfangs 
schon  erwähnten  Darstellun- 
gen, auf  welchen  zu  Kränzen 
gewundene,  blühende  Rosen 
oder  die  in  die  Hand  ge- 
gebene Gebetsperlenschnur 
die  heilige  Jungfrau  symbo- 
lisch als  Rosenkranzkönigin 
feiern. 
Aus  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  stammt  ein  kölnischer  Kupfer- 
stich der  Madonna  in  halber  Gestalt  mit  der  Mondsichel.  Nicht  nur  das 
göttliche  Kind  in  ihren  Armen  hält  mit  beiden  Händchen  einen  Rosenkranz, 
sondern  außerdem  halten  oben  zwei  Engel  einen  großen  Rosenkranz,  der 
das  ganze  Bild  umgibt.  Mit  einem  Rosenkranz  spielt  auch  das  Kind  der 
Kölner  Madonna  mit  der  Wickenblüte.  (Vgl.  S.  74.)    Und  wie  oft  ist  gerade 


Abb.  165.  E.  v.  Steinle,  Königin  des  Rosenkranzes. 

(Siehe  Seite  216.) 


*  215  * 


auf  deutschen  Bildern 
beigegebenen  beten- 
den Stiftern  der  Rosen- 
kranz in  die  Hand 
gedrückt!  Wie  charak- 
teristisch ferner  z.  B., 
daß  auf  Baidung  Grüns 
Flucht  nach  Aegypten 
der  neben  Maria  wan- 
delnde heilige  Joseph 
einen  Rosenkranz  in 
der  Hand  hält,  daß  die 
auf  Jan  Joests  von 
Calkar  „Tod  Mariens" 
versammelten  Apostel 
am  Sterbebette  den 
Rosenkranz  beten.  Ein 
Kranz  blühender  Rosen 
umwindet  häufig  das 
Haupt  von  Dürers  Ma- 
donnen, z.  B.  in  einem 
Kupferstiche  u.  einem 
Holzschnitte  vom  Jahre 
1518.  Das  berühmte 
Rosenkranzfest  Al- 
brecht Dürers  (s. 
Abb.  164)  im  Prämon- 
stratenserstift  Strahow 
zu  Prag  —  eine  alte 
Kopie  in  der  Galerie 
zu  Wien  —  ist  wohl  die 
bedeutendste  sym- 
bolische Darstellung 
der  Segnungen  des  Ro- 
senkranzgebets. Maria 
krönt  den  vor  ihr  knien- 
den KaiserMaximilianl. 
miteinemRosenkranze, 
das  Christkind  auf 
ihrem  Schoß  den  Papst 


Phot.  der  Phot.  Gesellschaft. 

Abb.  166.     M.  Ribustini,  Königin  des  Rosenkranzes 
mit  Papst  Leo  XIII. 

(Siehe  Seite  216. i 


*  216  * 

Julius  II.  Der  heilige  Dominikus  vollzieht  die  Rosenkranzkrönung  an  einem 
Hofmann  des  Papstes,  während  die  Krönung  des  Gefolges  von  Papst 
und  Kaiser  im  übrigen  durch  in  den  Lüften  schwebende  Engel  geschieht. 

In  Italien  schuf  Sassoferrato  seine  Madonna  del  Rosario  für  Santa 
Sabina  zu  Rom.  Links  erhält  von  der  thronenden  heiligen  Jungfrau  der 
heilige  Dominikus  die  Rosenkranzperlenschnur,  rechts  kniet  die  heilige 
Dominikanerin  Katharina  von  Siena.  In  der  Kirche  dei  Gesuati  zu  Venedig 
malte  Tiepolo  al  fresco  das  monumentale  Deckenbild  mit  der  Austeilung 
des  Rosenkranzes  durch  den  heiligen  Dominikus. 

Von  Spaniern  seien  nur  die  beiden  Rosenkranzköniginnen  des 
Murillo  im  Pradomuseum  zu  Madrid  und  in  der  Dulwich-Galerie  bei 
London  erwähnt.  Beidesmal  spielt  das  Jesuskindchen  mit  der  Rosenkranz- 
schnur, die  aus  Marias  Fingern  gleitet.  Neuerdings  behandelte  Georg 
Kau  (s.  Abb.  161)  mit  Liebe  den  Stoff,  ebenso  E.  Steinle  (s.  Abb.  165), 
der  Italiener  Ribustini  (s.  Abb.  166). 

Die  Immaculata. 

Die  unbefleckte  Empfängnis  Maria  erlebte  in  der  künstlerischen 
Wiedergabe  ihre  Blüte  im  XVII.  Jahrhundert  in  Spanien.  Die  frühesten 
Darstellungen  waren  reich  an  Symbolismen  und  allegorischen  Hinweisen 
auf  das  erhabene  Geheimnis.  Im  Anschluß  an  die  Apokalypse  wurde 
die  reinste  Jungfrau  geschildert  als  „mit  der  Sonne  bekleidet,  mit  dem 
Mond  zu  ihren  Füßen  und  eine  Krone  mit  zwölf  Sternen  auf  ihrem  Haupte". 
Reicher  Goldschimmer  drückt  die  Bekleidung  durch  die  Sonne  aus.  Die 
Sternenkrone  flimmert  auf  der  hehrsten  Jungfrau  Haupt.  Auf  Wolken 
getragen,  von  reizenden  Engelsknaben  umschwärmt,  schwebt  sie  nach  oben, 
wo  die  heilige  Dreieinigkeit  thront  oder  Gott  Vater  mit  ausgebreiteten 
Armen  sie  empfängt.  Der  Unbefleckten  Fuß  tritt  häufig  auf  die  Mond- 
sichel, auch  wohl  auf  die  Erdkugel,  vielfach  zertritt  er  den  Kopf  der 
Schlange,  in  deren  Maul  man  den  Apfel  vom  Sündenbaum  des  Paradieses 
sieht.  Ihr  Gewand  ist  blendend  weiß  „wie  der  Schnee",  manchmal  mit 
einem  himmelblauen  Ueberhang  darüber.  Gezüchtigte  teuflische  Brut 
bäumt  sich  vereinzelt  unten  in  ohnmächtiger  Wut  auf.  Die  zahlreichen 
lieblichen  Putten,  die  sozusagen  durchgängig  die  Makellose  umschwärmen, 
haben  häufig  Abzeichen  von  Symbolen  höchster  Reinheit  in  Händen: 
Rosen,  Lilien,  Spiegel. 

Der  ausgezeichnetste  —  hierin  alle  anderen  Künstler  überragende  — 
Maler  der  unbefleckten  Empfängnis  war  Bartolome  Esteban  Murillo 
(1618  — 1682).     An    30   Verherrlichungen   der   Immaculata   stammen  von 


217 


Abb.  167.     Bartolome  Esteban  Murillo,  Unbefleckte  Empfängnis. 
Paris,  Louvre. 


(Siehe  Seite  218.) 


*  218  * 


seiner  Hand.  Die  bedeutendsten  hiervon  befinden  sich  heute  in  den 
Museen  zu  Madrid,  Sevilla  und  im  Louvre  zu  Paris.  An  blendender 
Wirkung  des  Lichts  und  warm  getönter  Farbensymphonie  stellen  sie  von 
der  Gesamtkunst  Unerreichtes  dar.  Nur  einmal  im  Louvre  —  und  zwar 
dort  nicht  bei  seiner  bekanntesten  Immaculata  aus  dem  Jahre  1678  (s. 
Abb.  167),   sondern   bei    einer  anderen  aus  Maria  la  blanca  in  Sevilla  — 

hat  Murillo  unten  eine  Stifter- 
familie, die  zur  Makellosen  ver- 
ehrend aufblickt,  angebracht. 

Von  weiteren  spanischen  Ar- 
beiten seien  noch  genannt:  Juan 
de  las  Roelas,  Kathedrale  zu 
Sevilla;  Sun  er,  durch  Kupfer- 
stiche Capillas  erhalten  (im  unteren 
Teil  des  Bildes:  glänzende  Kirchen- 
versammlung zugunsten  der  Lehre 
von  der  unbefleckten  Empfängnis); 
Louis  de  Vargas,  Kathedrale 
zu  Sevilla  (mit  Adam  und  Eva, 
zur  Makellosen  betend);  Ribera, 
Augustinerkloster  zu  Salamanca; 
plastische  Wiedergaben:  Cano, 
Kathedrale  von  Granada;  Mon- 
tanez,  Kathedrale  zu  Sevilla,  i 

Von  den  Spaniern  gerade 
wurden  auch  auswärtige  Künstler 
zur  Behandlung  dieses  Themas 
angeregt,  so  Guido  Reni  in 
Tafelgemälden,  so  Luca  Gior- 
dano,  Gewölbe  der  Kirche  des 
Eskorial;  so  Tiepolo,  Galerien  zu 
Madrid  und  Vicenza.  Carlo 
Maratta  liebte  es,  unterhalb  der 
Makellosen  über  das  Geheimnis  ihrer  unbefleckten  Empfängnis  nach- 
sinnende Evangelisten  und  Kirchenlehrer  zu  geben;  Spätsienesen,  die  das 
Thema  behandelten,  zogen  an  deren  Stelle  verehrende  und  verzückt  auf- 
schauende Heilige  vor.  Von  sienesischen  Immaculata-Wiedergaben  seien 
genannt:  Girolamo  del  Pacchia,  Pieve  zu  Buonconvento  sowie 
Francesco  Vanni,  San  Niccolo  zu  Maggiano  und  Kathedrale  zu  Mon- 
talcino.     Gerade   in  neuester  Zeit  wurde   dann   die  Immaculata  auch  in 


Abb.  168.     Franz  Ittenbach, 

Unbefleckte  Empfängnis. 

Holzschnitt  von  Franziska  Ittenbach. 

(Siehe  Seite  219.1 


219 


Deutschland  durch  die  Kunst  gern  verherrlicht,  so  von  Jos.  Albrecht, 
Frl.  von  Oer,  Karl  Müller,  Franz  Ittenbach  (s.  Abb.  168). 

Wohl  zu  unterscheiden  von  den  künstlerischen  Verherrlichungen 
der  Immaculata,  die  selbst  durch  die  göttliche  Gnade  bei  ihrer  Geburt 
von  dem  Makel  der  Erbsünde  frei  blieb,  sind  die  sog.  marianischen 
Empfängnis-Typen  des  Mittelalters,  die  auf  die  übernatürliche  Geburt 
des  Herrn  aus  Maria,  der  reinsten  Jungfrau,  symbolisch  hinweisen  sollen. 
In  diesem  Sinne  wurden  eine  Reihe  alttestamentlicher  Frauen  (Saba, 
Abigail,  Ruth,  Judith,  Esther)  und  noch  folgende  Symbole  auf  die  reinste 
Jungfrau  bezogen:  der 
brennende  Busch  Mo- 
sis,  der  grünende  Stab 
Aarons  (Exod.  3,  2 
und  Num.  17,  7,  8.), 
die  goldene  Gelte 
(Ebr.  9,  4.),  das  be- 
taute Vließ  Gideons 
(Ind.  6,  37.),  der  ver- 
schlosseneGarten  und 
der  vergitterte  Quell, 
hortus  conclusus  und 
fons  signatus,  Cant.  4, 
12,  der  elfenbeinerne 
oder  Davidsturm , 
Cant.  7,  4.  Wie  aus 
der  „Verteidigungs- 
schrift für  die  unver- 
sehrte und  fort- 
dauernde Jungfrauen- 
schaft Mariens",  „de- 

fensorium  inviolatae,  perpetuaeque  virginitatis"  des  Franz  von  Rezsa  er- 
sichtlich, sind  dann  auch  profane  Gleichnisse  aus  der  Sage,  Geschichte 
und  Natur,  die  zur  jungfräulichen  Geburt  in  Parallele  gesetzt  werden, 
in  die  marianische  Typologie  eingedrungen,  so  aus  der  antiken  Sage 
wunderbare  Befruchtungen  der  Europa,  Danae,  Wunder  der  Geschichte 
wie  Arion  auf  Delphinen,  der  Gesang  der  Circe  und  die  Verwandlung  der 
Helden  in  Tiere,  Wunder  der  Natur,  die  Kraft  des  Magnets,  der  Phönix 
und  Pelikan,  das  Einhorn  (s.  Abb.  169)  etc. 

Nur  wenige  von  diesen  marianischen  Typen  waren  wirklich  kunstfähig. 
Der  „hortus  conclusus"  z.  B.  bürgerte  sich  auf  Verkündigungsbildern  ein. 


Abb.  169.     Maria  mit  dem  Einhorn. 
Mittelstück  des  Altarbildes  im  Erfurter  Dom. 

(Siehe  Seite  219  u.  220.) 


*  220  * 

Maria  empfängt  die  Engelsbotschaft  in  einem  abgeschlossenen  und  um- 
zäunten Garten,  z.  B.  auf  Fra  Angelicos  Darstellungen  zu  Cortona  und  in 
San  Marco  zu  Florenz.  —  Das  Einhorn  ist  nach  antiker  Sage  von  solcher 
Wildheit,  daß  es  von  keinem  Jäger  gefangen  werden  kann,  aber  einer 
reinen  Jungfrau  legte  es  zahm  den  Kopf  in  den  Schoß. 

Die  verwandte  Situation  und  der  Anklang  der  Worte  unicornus- 
unigenitus  legte  die  Deutung  auf  den  eingeborenen  Sohn  und  die  reine 
Gottesmagd  nahe.  Die  erste  Darstellung  findet  sich  in  einem  Antifonar 
des  XII.  Jahrhunderts  in  Einsiedeln;  vor  Maria,  zu  deren  Füßen  sich  das 
Einhorn  niedergelegt  hat,  kniet  Gabriel,  das  Hörn  blasend,  aus  dem  der 
Englische  Gruß  „Ave  Maria"  hervorkommt.  Diesen  Charakter  als  modifizierte 
Verkündigung  behält  das  Bild,  das  namentlich  in  der  Mitte  des  XV.  Jahr- 
hunderts beliebt  ist,  dann  bei.  In  ca.  50  Beispielen  auf  Skulpturen, 
Schnitzereien,  Tafelgemälden,  Wandmalereien,  besonders  in  Webereien,  auch 
in  einigen  graphischen  Darstellungen  ist  es  nachgewiesen,  z.  B.  Altarbild 
im  Erfurter  Dom  (s.  Abb.  169),  Teppich  der  Sammlung  Thewaldt  in  Köln, 
Glockenrelief  in  Kahla,  Antependium  in  Brandenburg,  etc.  —  Die  anderen 
zahlreichen  genannten  marianischen  Typen  sind  kaum  kunst-  und  lebens- 
fähig geworden.  Im  Kreuzgang  des  Doms  zu  Brixen  hat  ein  Maler  ver- 
sucht, die  gesamte,  auf  die  jungfräuliche  Geburt  Christi  aus  der  virgo 
purissima  hinweisende  marianische  Typologie,  symbolisch  andeutend,  im 
Zusammenhang  zu  behandeln. 


»  221   » 


SCHLUSSWORT. 


er  vermöchte  alle  Variationen  zu  nennen,  in  welchen  Maria 
in  der  Kunst  als  Königin  des  Himmels,  als  treue  Helferin 
der  Menschen  verherrlicht  wurde?!  Noch  unerwähnt  sind 
die  Darstellungen,  wo  sie  sich  in  beseligenden  Erscheinungen  Heiligen 
und  Erdenbewohnern  überhaupt  gnädig  erweist.  Maria  erscheint  dem 
h.  Bernard  (Perugino,  Pinakothek  zu  München,  und  Murillo,  Prado-Museum, 
Madrid  [s.  Abb.  170]),  Bernardin  (Filippino  Lippi,  Badia,  Florenz),  Rosa 
und  Dominikanerinnen  (Tiepolo,  Gesuati,  Venedig),  Evangelisten  Johannes 
(Meister  B.M.  und  Schongauer,  Kupferstiche,  Dürer,  Holzschnitt),  Augustin 
(Murillo,  Museum  zu  Sevilla)  übergibt  dem  h.  Ildefons  ein  Meßgewand 
(Rubens  in  der  Eremitage  zu  Petersburg,  Medaillon-Relief  in  der  capilla 
de  la  Descension  de  Nuestra  Senora  der  Kathedrale  zu  Toledo  und 
Theotokopuli,  genannt  El  Greco:  einzige  Skulptur  dieses  Malers  im  Priester- 
seminar zu  Toledo).  Tintoretto  zeigt  fast  durchgängig  seine  glorreichen 
Madonnen  den  Heiligen  in  Vision. 

Erwähnt  seien  noch  die  Darstellungen,  wo  sie  die  noch  auf  der 
Erde  Weilenden  durch  ihr  kräftiges  Gebet  unterstützt,  so  die  Apostel  am 
Pfingstfest  (Rabulas  Kodex,  Laurenziana  zu  Florenz;  Fra  Angelico, 
Akademie,  ebenda;  Paris  Bordone,  Brera,  Mailand;  Meister  von  Groß- 
gmain,  Salzburger  Schule,  Kirche  zu  Großgmain),  wo  sie  in  symbolischem 
Hinweis  die  Gläubigen  unter  ihren  schützenden  Mantel  nimmt,  sog. 
Schutzmantelbilder.  (Andrea  della  Robbia,  Santa  Maria  delle  Grazie  zu  Arezzo ; 
S.  Maria  in  Gradi,  ebenda,  Fra  Filippo  Lippi,  Kaiser  Friedrich-Museum  zu 
Berlin,  Pergerstorff-Epitaph,  Nürnberg,  Friedrich  Schramm  von  Ravensburg: 


*  22  2   * 


Abb.  170.     Bart.  Esteb.  Murillo,  Maria  erscheint  dem  hl.  Bernard  von  Clairvaux. 

Madrid,  Prado. 

(Siehe  Seite  221.) 


*  223   * 

Oberschwäbische  Skulptur  von  1480,  Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin. 
Lambertikirche  in  Düsseldorf,  Speculum  salvationis.) 

Wieviel  tausendmal  verherrlichte  doch  die  bildende  Kunst  die  heilige 
Gottesmutter!  Wie  eindringlich  -  -  oft  viel  erschütternder  als  mensch- 
liche Zungen  es  vermöchten  —  predigt  sie  uns  Liebe  und  Verehrung 
zur  allerseligsten  Jungfrau!  Wie  erstaunt  und  bewundernd  aber  auch  der 
Marienverehrer  über  so  manches  Maria  wiedergebende,  unvergleichliche 
Erzeugnis  höchster,  vollendeter  Kunstbetätigung  sich  freuen  wird,  so  ge- 
steht er  doch  gerne  mit  dem  Dichter  Novalis: 

„Ich  sehe  dich  in  tausend  Bildern, 
Maria,  lieblich  ausgedrückt, 
Doch  keins  von  allen  kann  dich  schildern, 
Wie  meine  Seele  dich  erblickt!" 


Abb.  171.     Maria  als  Kind. 
Altar-Figur  im  Kloster  Rottenbuch.